Bundespräsident Steinmeier:SPD siegt, CDU verliert - das Land gewinnt

Die Suche nach einem Bundespräsidenten war selten die Suche nach dem Besten. Steinmeiers Nominierung ist historisch betrachtet eine schöne Ausnahme - und ein Sieg der Staatsräson.

Kommentar von Heribert Prantl

Das ist ein Triumph für SPD-Chef Sigmar Gabriel; das ist eine Niederlage für die CDU-Chefin Angela Merkel. Daran ist nichts zu deuteln. Das ist so. Aber das sind taktische, das sind parteitaktische Bewertungen. Ausschlaggebend ist etwas anderes: Die Nominierung von Frank-Walter Steinmeier durch die Parteien der großen Koalition ist eine Demonstration der Gemeinsamkeit der Demokraten. Das ist nicht das Edel-Geschwätz, das bei Bundespräsidenten-Angelegenheiten üblich geworden ist. Das ist Faktum, auch wenn diese Demonstration bei Merkel aus der Personalnot der Union heraus geboren ist. Die gemeinsame Nominierung des Sozialdemokraten Steinmeier durch die Union und die SPD ist ein Signal, das weit über das Gewürge der vergangenen Wochen hinausreicht.

In der Geschichte der Republik war die Suche nach dem nächsten Bundespräsidenten selten die Suche nach dem Besten und Klügsten im Land. Das war schon in den frühen Jahren der Bundesrepublik so.

Als Heinrich Lübke 1959 nach Theodor Heuss zum zweiten Bundespräsidenten gewählt wurde, wusste Lübke selbst, dass er nur dritte Wahl war - er aber in das Machtkalkül des Kanzlers Konrad Adenauer gut passte. Neben dem SPD-Kandidaten Carlo Schmid, dem damaligen Bundestagsvizepräsidenten, erschien den Zeitgenossen der Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke so wie ein "dunkler Erdsatellit neben einem Fixstern". Das sah nicht nur der Vorwärts, die Parteizeitung der SPD, so. Der Staatsrechtler Carlo Schmid war der Polit-Star der jungen Republik, der Fein- und Schöngeist der SPD, einer der gelehrten Väter des Grundgesetzes, der mit gewaltiger Bildung und der Freude an mitreißenden, zitatengetränkten Rede aufwarten konnte. "Don Carlos" nannten seine Genossen diesen Carlo Schmid, beeindruckt von seinen intellektuellen Gaben. Aber er wurde - nichts, jedenfalls nichts, was seinen großen Fähigkeiten entsprochen hätte.

Wenn man die Kür von Steinmeier in der großen historischen Perspektive sieht, dann ist er die Wiedergutmachung für die Demütigung der Sozialdemokraten im Jahr 1959. Kaum hatte der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier die zehnjährige Amtsführung von Theodor Heuss mit dem Satz gewürdigt, dass sie die "Unterwerfung der Macht unter den Anspruch des Geistes" gewesen sei, exerzierte die Adenauer-CDU das blanke Gegenteil mit der Wahl von Lübke und der Missachtung von Carlo Schmid. Es ist also nicht so, dass erst Angela Merkel das große Gemauschel - siehe Horst Köhler, siehe Christian Wulff - um den Bundespräsidenten erfunden hätte. Der Erfinder der Präsidial-Intrigen war schon Adenauer. Und es war ein großes Glück für die Bundesrepublik, dass trotzdem wunderbare Präsidenten an die Spitze des Staates kamen - Leute wie Richard von Weizsäcker.

Ihn muss man nennen, wenn nun Steinmeier auf den Schild gehoben wird - nicht deswegen, weil Steinmeier, wie weiland Weizsäcker, für die Gabe der goldenen Rede bekannt wäre: Das ist er nicht. Steinmeier ist erfahren, integer, skandalfrei und beliebt - aber kein gewaltiger Redner, keiner, der es bisher verstanden hätte, "die großen Streitfragen intellektuell ins Schweben zu bringen und handliche Begriffe in den Diskurs zu werfen" - wie der Politologe Hans-Peter Schwarz es einmal als die Aufgabe des Bundespräsidenten beschrieben hat. Aber: Steinmeier ist innenpolitisch gewappnet und außenpolitisch versiert. Er ist einer der besten Chef-Diplomaten, die Deutschland je hatte. Er hat das Talent des politischen Weberschiffchens, eines ehrlichen Maklers - und das sind Gaben, die in diesen Zeiten nicht hoch genug geschätzt werden können. Mit den Gaben die Steinmeier hat, ist er ein Anti-Trump.

Aber das ist es nicht, warum einem Weizsäcker einfällt, wenn es um die Nominierung von Steinmeier geht. Der CDU-Politiker Richard von Weizsäcker war der erste Politiker, der nicht erst für die zweite Amtsperiode als Bundespräsident, sondern schon für die erste von CDU/CSU und SPD gemeinsam gewählt wurde. Das war 1984. Die SPD sagte damals mangels einer eigenen Mehrheit in der Bundesversammlung der Union zu, auf einen SPD-Kandidaten zu verzichten - wenn die Union den Regierenden Bürgermeister von Berlin, also Weizsäcker (CDU) aufstellt. Der war ganz und gar nicht der Wunschkandidat des damaligen Kanzlers Helmut Kohl - aber das Arrangement galt. Weizsäcker wurde Präsident, und bei seiner Wiederwahl im Jahr 1989 stellten auch die Grünen keinen eigenen Kandidaten mehr auf.

Die Kür von Steinmeier im Jahr 2016 ist nun die Wiederkehr des Jahres 1994 - unter umgekehrten parteipolitischen Vorzeichen. Damals, 1984, hatte die SPD keinen Kandidaten, den sie in eine Kampfabstimmung gegen Weizsäcker hätte schicken wollen. Heute hat die CDU/CSU keinen, obschon sie in der Bundesversammlung (anders als die SPD damals) sehr stattlich dasteht. Ein solcher Sprung über den parteipolitischen Schatten ist nicht schlimm, er kann, wie das Beispiel Weizsäcker zeigt, der Auftakt zu einer glänzenden Amtszeit sein.

Steinmeier ist der richtige Kandidat in höchst schwierigen Zeiten. Er ist ein Erfahrungsanker. Die Hoffnungen und Erwartungen, die sich mit einem Bundespräsidenten Steinmeier verbinden, sind nicht gering.

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