Ernährung:So erkennen Verbraucher guten Fisch

Ein Drittel der Ozeane ist überfischt. Umweltorganisationen raten vom Verzehr vieler Fische ab. Ist das wirklich notwendig? Eine Anleitung für den aufgeklärten Fischesser.

Von Katharina Brunner und Wolfgang Jaschensky

Einfach zu haben ist nur der Karpfen. Egal woher er kommt, egal wie er gefangen wurde, Karpfen geht immer, ohne Einschränkung. "Wenn Fisch, dann dieser" heißt es über dem Karpfen in grüner Schrift auf einer Greenpeace-Broschüre, die dem ökologisch bewussten Fischesser den Weg durch die irrwitzige Vielfalt an essbaren Meerestieren weisen will.

In die grüne Kategorie fallen nur zwei weitere Fische, der Hering und der Afrikanische Wels. Aber wer diese Fische bedenkenlos essen will, muss sich mit dem Kleingedruckten auseinandersetzen. Nicht erlaubt sind beim Hering zum Beispiel die Unterart des Norwegischen Frühjahrslaichers von der Procupine Bank. Das ist ein Gebiet vor der westlichen Küste Irlands. Das ist aber auch nur eine von fast 20 Ausnahmen beim Hering.

Wer aber studiert die Verpackung seines Schlemmerfilets aus der Tiefkühltheke schon so genau, wie der Ratgeber verlangt? Zwar ist auf vielen Packungen aufgedruckt, woher der Inhalt kommt und wie er gefangen wurde. Doch es gibt so viele Arten und Unterarten, Fanggebiete und Fangmethoden, dass es auch engagierten Biomarkt-Einkäufern mit Geografiediplom schwer fallen dürfte, den Durchblick zu behalten.

Fisch ist reich an Proteinen, arm an Kalorien und passt so hervorragend in die gesundheitsbewusste kulinarische Gegenwart. Foodblogs, Ernährungsratgeber und Ärzte bescheinigen Fisch in seinen verschiedensten Formen hervorragende Eigenschaften: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Fisch als wesentliche Quelle für langkettigen n-3 Fettsäuren, verschiedene Vitamine und Jod für ein bis zwei Fischmahlzeiten die Woche.

Wer nicht nur Karpfen auf dem Teller haben und trotzdem verantwortungsvoll einkaufen möchte, muss besser verstehen, wie der Fisch auf den Teller kommt - und was das mit den Beständen in den Weltmeeren macht.

Wie die Fischindustrie funktioniert

Über die globalen Fischbestände wacht die Welternährungsorganisation FAO der Vereinten Nationen. Sie hat die Fischwelt in 19 Fanggebiete eingeteilt und ermittelt für jede Region so genau es geht, wie viele Fische dort gefangen werden.

Seit langer Zeit an der Spitze: Der Nordwestpazifik vor Russland und China mit mehr als 22 Millionen Tonnen im Jahr 2014. Diese Zahl ist eine grobe Einschätzung. Es ist unmöglich, eine genaue Buchhaltung über Milliarden von Fischen zu führen. Forscher der FAO fahren deshalb auf Fischkuttern mit, beobachten Fischer bei ihrer Arbeit und versuchen so zu überschlagen, wie viel Tonnen wo aus den Meeren geholt werden. Zweitens sagt die Zahl nichts darüber aus, ob diese Region überfischt ist - geschweige denn, ob ein bestimmter Fischbestand in dieser Region gefährdet ist.

Um das bewerten zu können, kategorisiert die FAO in einem zweiten Schritt die Fischbestände nach Regionen als überfischt, maximal genutzt und unterfischt.

Die Kategorie "Unterfischt" ist gut, da sind sich alle einig, da haben auch Umweltschützer nichts gegen Fischfang einzuwenden. Solche Bestände gibt vor allem in abgelegenen Gebiete nahe der Antarktis oder weit draußen im pazifischen Ozean.

Die Kategorie "Überfischt" ist schlecht, auch da sind sich fast alle einig - abgesehen von denjenigen, die weiter in diesen Gewässern fischen. Weltweit bekommen laut FAO 2014 etwa 30 Prozent aller Bestände diesen Warnhinweis. Besonders betroffen ist der Mittel- und Südatlantik vor den Küsten Südamerikas und Afrikas.

Umstritten ist der große Bereich der "maximal genutzen" Fanggebiete. Laut FAO betrifft das etwa 60 Prozent. Die Bestände sind gerade noch im Gleichgewicht. Die Fischindustrie und einige Forscher halten Fischfang in diesen Gebieten für gerechtfertigt. Christopher Zimmermann vom industrienahen Thünen-Institut für Ostseefischerei sagt etwa: "Wer die Weltbevölkerung ernähren will, muss bis an die Grenze des Machbaren gehen." Umweltschützer und einige andere Wissenschaftler sehen das kritisch, denn das Gleichgewicht kann jederzeit kippen.

Wie Fabrikschiffe mit riesigen Netzen fischen

Das Klischeebild vom bärtigen Seebär im Norwegerpulli auf seinem Fischkutter, der frühmorgens aufs Meer hinaustuckert, um Dorsch und Makrelen heimzubringen, hat fast nur noch im Tourismusprospekt Platz. Käptn Iglu sieht heute ganz anders aus.

Vier Millionen Schiffe kreuzen im Moment über die Meere und Binnengewässer der Welt, um Fische zu fangen. Darunter Holzboote von philippinischen Fischern und Kutter von Stralsunder Ostseefischern. Und Trawler, die Riesenschiffe von global agierenden Konzernen.

40 000 der vier Millionen Schiffe sind solche Trawler, etwa ein Prozent. Doch dieses eine Prozent zieht mehr als die Hälfte aller Fische aus dem Meer. Für die lokalen Fischer bleibt kaum noch etwas übrig. Das kann man bedauern, wenn man an den kleinen philippinischen Fischer denkt.

Man kann das aber auch positiv sehen, wie der Ozeanforscher Rudi Voss von der Universität Kiel: "Diese Schiffe arbeiten sehr effizient. Sie produzieren große Mengen an Protein zu günstigen Preisen. Das ist wertvoll, wenn wir an die Ernährung der Weltbevölkerung denken."

177 Meter lang sind manche dieser Giganten. Und damit doch viel kleiner als ihre Netze, in die locker mehrere Jumbo-Jets passen:

Einen Trawler darf man sich weniger als Schiff denn als Fabrik vorstellen. Mit den gigantischen Netzen holt ein Schiff auf seinen Fangzügen pro Tag zwischen 300 und 500 Tonnen Fisch aus dem Meer. An Bord sind bis zu 20 Arbeiter beschäftigt, die den Fang sofort weiterverarbeiten. Sie schneiden Filets aus den Fischen, pressen mit Walzen den letzten Rest Fleisch von den Gräten, sie sortieren Köpfe und Schwänze aus, die zu Düngemittel verarbeitet werden, und werfen die nutzlosen Gedärme über Bord.

In Kühlcontainern gelagert wechseln die Filets auf ein Transportschiff und landen irgendwann in einem Hafen. In Deutschland meist Bremerhaven: Pangasius-Filet aus dem Mekongdelta in Vietnam oder Alaska-Seelachs aus der Beringsee. "Fische sind die globalste Handelsware überhaupt", sagt Rudi Voss.

Von Bremerhaven geht der gefrorene Fisch mit dem Lastwagen in die Fischfabrik. Zum Beispiel zur "Deutschen See", dem größten deutschen Fisch-Importeur. 700 Angestellte. 22 Standorte. 35 000 Abnehmer für jährlich 60 000 Tonnen Fisch. Hier wird der Fisch geschnitten, geräuchert oder zu Salat verarbeitet. Dann wieder Kühltransporter, Autobahn nach München, Berlin oder Hamburg, wo er gegessen wird.

Welche Fische wir essen - und welche wir essen sollten

Fisch ist gesund. So gesehen ist das eine gute Nachricht: Wir verzehren immer mehr Fisch. 2014 waren es weltweit im Durchschnitt knapp über 20 Kilogramm pro Kopf. Fast doppelt so viel wie noch vor 50 Jahren.

Wer mehr Fisch isst, muss mehr fischen. Immer wieder heißt das: Fangen, bis der Bestand bedroht ist. Die Zeiten, in denen Fischfang ein harmloser Eingriff in ein intaktes Ökosystem ist, sind schon lange vorbei.

Ein Beispiel von der deutschen Ostseeküste: Der Kabeljau gilt dort seit 20 Jahren überfischt. "Und 2015 passiert, was wir befürchtet haben: Er hat kaum mehr Nachwuchs produziert", sagt Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Der Kabeljau schwimmt immer noch millionenfach in der Ostsee, die Population sank aber so sehr, dass sich sein Bestand nur noch substanziell erholt, wenn endlich weniger Kabeljau gefischt wird. Um solche Situationen zu verhindern, versuchen Industrieländer mit Fangquoten die Bestände zu kontrollieren.

Weil trotzdem immer mehr Regionen überfischt sind, fahren die Fangflotten immer weiter hinaus auf die Ozeane und vermarkten neue Fischarten. Der heute in Deutschland so beliebte Alaska-Seelachs war in den 80er-Jahren in Deutschland kaum zu bekommen. Trotz dieser Maßnahmen stößt die Fischerei an ihre Grenzen, seit 20 Jahren stagniert der Wildfang. "Weitere Steigerungen sind schlicht nicht mehr möglich", sagt Rudi Voss von der Uni Kiel. Auch weil die Politik die Mengen begrenzt. In der EU regulieren Fangquoten die Fischwirtschaft.

Um die wachsende Nachfrage auf dem Weltmarkt zu befriedigen, kommt inzwischen die Hälfte der Fische aus der Aquakultur, einer Art Massentierhaltung im Wasser:

Einer der bekanntesten Zuchtfische ist der Lachs. Die Raubtiere wachsen bis zur Schlachtung in Wasser-Gehegen heran - und müssen dabei mit Fisch gefüttert werden. Es gilt die Faustregel: Ein Kilo Lachs braucht zwei bis fünf Kilo tierische Nahrung wie Fischmehl. Experten nennen das Konversionsrate.

Die Aquakultur sei immer noch deutlich besser als in anderen Massentierhaltungen, sagt Zimmermann vom Thünen-Institut. Umweltschützer sehen das viel kritischer: "Bei Fischarten, die selbst auf tierisches Protein angewiesen sind, ist auch Aquakultur nicht nachhaltig", sagt Thilo Maack von Greenpeace. Hinzu kommen Probleme, wie man sie aus der Landwirtschaft kennt: Wohin mit dem Dreck? Wie können Krankheiten verhindert werden, die sich in den Gehegen schnell verbreiten?

Auch die Aquakulturen werden die Probleme der Fischerei auf den Weltmeeren nicht lösen können.

So können Verbraucher ökologisch korrekt einkaufen

Von den mehr als 700 essbaren Fischarten weltweit landet nur ein Bruchteil bei Händlern und in Supermärkten. In Deutschland sind das vor allem Alaska-Seelachs, Hering, Thunfisch und Lachs, der beliebtesten Fisch der Deutschen. Marktanteil: 20,5 Prozent.

Bei Greenpeace ist der Lachs in der roten Kategorie - "Finger weg, nicht nachhaltig". Wer mit gutem Greenpeace-Gewissen Lachs essen will, muss sich auf die Suche nach Wildfang aus dem Nordpazifik machen.

Der Alaska-Seelachs hat zwar mit dem richtigen Lachs so wenig zu tun wie Äpfel mit Erdäpfeln, teilt mit seinem teuren Namensvetter aber zwei Eigenschaften: Er ist begehrt bei den Deutschen - Marktanteil 20 Prozent - und trägt das Umweltschützer-Siegel "Finger weg". Der Pollack, wie der Alaska-Seelachs eigentlich heißt, ist in Fischstäbchen oder Schlemmerfilets verarbeitet.

Fischexperte Zimmermann stellt vielen Fischkonsumenten in Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus: "Sie wollen ihren Fisch möglichst ohne Gräten und Geschmack, möglichst billig und möglichst weiß." Alles Kriterien, die der Alaska-Seelachs erfüllt. Zimmermann plädiert für mehr frischen, regionalen Fisch. Nur jedes zehnte in Deutschland verkaufte Kilo war 2015 unverarbeitet. Mehr als jedes zweite Kilo dagegen waren Konserven oder Tiefkühlware.

Für den Bestand ist es freilich egal, ob der Hering frisch oder als "Bratheringsfilet in feiner Marinade" auf den Teller kommt. Wer ökologisch bewusst einkaufen will, hat mehrere Möglichkeiten.

Wer auf Fisch nicht verzichten mag, aber nur wirklich unbedenkliche Fische essen möchte, der orientiert sich am besten an Fischratgebern.

Die Umweltorganisationen Greenpeace und WWF veröffentlichen jedes Jahr eigene Ratgeber - und kommen darin zu unterschiedlichen Ergebnissen. Greenpeace ist strenger: Erfüllt ein Fisch bei Greenpeace ein Kriterium nicht, fällt er durch. Der WWF arbeitet mit einem Ampelsystem. Und trotz der klaren Ja-Nein-Logik von Greenpeace und dem Rot-Orange-Grün-Schema von WWF lesen sich die Ratgeber wie Beipackzettel. Für fast jede Fischart gibt es Ausnahmen je nach Region, Subregion oder Fangmethode.

Einfacher zu verstehen sind Zertifikate. Wie bei anderen Biolebensmitteln lassen sich Produzenten mit Siegeln bescheinigen, dass ihre Produkte nachhaltig sind. Drei der bekanntesten Siegel:

Das MSC-Siegel ist in Supermärkten weit verbreitet: Auf vielen verpackten Tiefkühlprodukten ist das blaue Logo zu sehen. MSC vergibt ihr Zertifikat in Zusammenarbeit mit WWF an Fischereien, die drei Kriterien erfüllen müssen: Die Bestände nachhaltig bewirtschaften, das Ökosystem aufrechterhalten und ein effektives Fischereimanagement betreiben. Greenpeace lehnt das MSC-Zertifikat nicht grundsätzlich ab, fordert aber Verbesserungen.

Analog zum MSC - nur für Fische aus Aquakultur.

Naturland zertifiziert seit zwanzig Jahren Betriebe in Deutschland, Afrika und Asien, die zusammen über 15 verschiedene Fischarten im Sortiment haben. Die meisten davon sind Zuchtfische wie Forellen oder Pangasius. Wer das Siegel des Verbands des ökologischen Landbaus auf sein Produkt drucken will, muss neben Richtlinien zur Verarbeiten auch seiner Verantwortung nachkommen.

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