"Futur II" von Ja, Panik:Die paar Lebendigen in einer mausetoten Welt

Ja, Panik Futur II

Protest und Dandytum, Ironie und Verzweiflung liegen bei der Gruppe Ja, Panik sehr nah beieinander.

(Foto: Ja, Panik)

Wie unterwandert man die eigene Geschichte? Mit "Futur II" haben Ja, Panik eine Band-Autobiografie geschrieben, die auf ganz wunderbare Weise Verwirrung stiftet.

Von Luise Checchin

Es gibt kaum ein literarisches Genre, das so sehr am Versprechen des Authentischen hängt, wie das der Autobiografie. Es gibt kaum eine deutschsprachige Band, die das Versprechen des Authentischen mit so viel Freude unterwandert, wie Ja, Panik. Wenn also die Gruppe Ja, Panik eine Autobiografie veröffentlicht, dann klingt das nach einem Experiment, dem beizuwohnen sich lohnen könnte.

"Futur II" - vollendete Zukunft - nennt sich dieses Experiment. Es feiert den zehnjährigen Geburtstag der Österreicher, die sich als Schülerband im Burgenland gründeten, von da erst nach Wien, dann nach Berlin zogen und sich im Laufe des letzten Jahrzehnts den Ruf einer der klügsten Indie-Bands im deutschprachigen Raum erspielten.

Wer wollte, konnte dem Experiment tatsächlich beiwohnen, denn mit "der Party zum Buch" tourten Ja, Panik in den vergangenen Tagen durchs Land. Die "Party" war eigentlich ein gemütlicher Leseabend, aber sie begann mit einer Einlage, die "Futur II" recht treffend zusammenfasst. Da schlurft ein Mann mit Vogelmaske, schwarzer Strumpfhose und Zorro-Mantel auf die Bühne. Irgendwie nachdenklich, aber nicht unelegant schiebt er seine riesigen Klauen-Pantoffeln über das Parkett. Der Vogelmann tanzt zu den spröden Bassklängen eines Songs namens "Futur II", dem Lied zum Buch also. Darin findet sich eine Zeile, die wiederum das zehnjährige Bestehen der Gruppe Ja, Panik recht treffend zusammenfasst. "Es geht noch immer um die paar Lebendigen in einer mausetoten Welt", heißt es da. Und um das Lebendigsein in einer Gesellschaft, die Lebendigsein nicht gerade zur Priorität erhebt, darum geht es in den Texten der Gruppe ja tatsächlich schon immer.

Protest und Dandytum, Ironie und Verzweiflung

Mit scheppernder Wut besangen Ja, Panik zunächst den Zusammenhang von Angst und Geld, verzweifelten dann 2011 auf "DMD KIU LIDT" großartig an einem Gefühl, das Sänger Andreas Spechtl die Traurigkeit als Manifestation des Kapitalismus im eigenen Leben nannte, und hinterfragten zuletzt auf "Libertatia" die Idee einer utopischen Insel-Gemeinschaft. Dabei gelingt Ja, Panik seit jeher das seltene Kunststück, Kapitalismuskritik auf völlig unpeinliche Weise vorzutragen. Und das hat eben einiges mit dem Widerwillen gegen alles Authentische zu tun, der sich allen voran in der Künstlichkeit von Spechtls Sprache niederschlägt, dem Hin und Her zwischen deutschen und englischen Textfragmenten. Protest und Dandytum, Ironie und Verzweiflung liegen bei Ja, Panik sehr nah beieinander.

Wie also stellen sich die Unterwanderer Ja, Panik bei der Unterwanderung der eigenen Bandgeschichte an? Und was hat das alles mit dem tanzenden Vogel zu tun?

"Futur II" ist eine Bandbiografie, deren Entstehung sich scheinbar miterleben lässt. Die Setzung, die dem Publikum präsentiert wird, ist die folgende: Im Sommer 2016 verbringen die Ja, Panik-Mitglieder einen Monat damit, ihre Vergangenheit zu befragen, jeder an einem anderen Ort, kommuniziert wird per E-Mail. Der Bassist Stefan Pabst soll im sogenannten "Ja, Panik-Archiv" in Berlin Nachforschungen anstellen, Schlagzeuger Sebastian Janata in der Wiener Dependance. Keyboarderin Laura Landergott, die erst 2014 zu Ja, Panik stieß, reist durch Europa und befragt Weggefährten der Gruppe. Sänger Andreas Spechtl schließlich residiert in einer nicht näher benannten südlichen Stadt, wo er das Recherchierte synthetisiert und ihm den nötigen emotionalen und theoretischen Überbau verleiht.

"Futur II" ist also vielmehr ein Briefroman, der sich einen autobiografschen Mantel übergeworfen hat. Denn dem Realitätsgehalt des Geschriebenen ist natürlich kein Stück zu trauen. Das Buch wimmelt nur so vor unzuverlässigen Erzählern und Erzählungen, oszilliert zwischen Realität und Fiktion.

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Es gibt das "Archivmaterial", das Pabst vorgibt zu Tage zu befördern - alte E-Mails, Bandfotos, eine Auflistung aller 256 gespielten Ja, Panik-Konzerte, eine statistische Auswertung des "Karriereprogramms" der Gruppe. Es gibt die anekdotischen Erinnerungsschnipsel Spechtls an eine Jugend im katholischen Burgenland und die wilden Zeiten der Band. Doch je weiter sich die Geschichte entspinnt, desto stärker kippt sie ins Surreale.

Ein irrlichterndes Etwas, das Verwirrung sät anstatt Sinn zu stiften

Da wäre einmal die kafkaesk anmutende Beschaffenheit des "Berliner Archivs", in dem sich Pabst vergräbt. Eine ominöse höhere Instanz scheint hier Psycho-Spielchen mit dem Frühstücksmenü des Bassisten zu spielen, die Aktenberge und die rätselhafte Vieleckigkeit des Archivraums tun das Ihrige, um den Gemütszustand weiter zu zersetzen. Schlagzeuger Janata wiederum zieht in Wien die Eskapade der Archivarbeit vor und fabuliert in schönster Rocko-Schamoni-Manier von Dachgeschosspartys, nächtlichen Ausflügen nach Tiflis und Teilzeit-Taxifahrern, die sich hauptberuflich als Prinz von Südossetien verdingen. Das Ganze gipfelt im Zusammenbruch des Sängers Spechtl, dessen melancholische Flaneurexistenz im Süden ins Wanken gerät, nachdem er Bekanntschaft mit einem Wagner-besessenen Vogel macht.

"Futur II" ist ein Anti-Authentizitätsprojekt geworden, ein irrlichterndes Etwas, das Verwirrung sät, anstatt Sinn zu stiften. Damit passt es ganz wunderbar zu seinen Verfassern und kommt noch dazu sehr viel unterhaltsamer daher als die gewöhnlichen biografischen Selbstbespiegelungen.

Doch nur weil "Futur II" sich so wunderbar irrwitzig und komisch liest, heißt das nicht, dass es sich hier um Nonsens handelt. Denn neben aller Fabulierlust tauchen durchaus auch ernstgemeinte Fragen auf, die Fragen eben, die Ja, Panik schon seit einem Jahrzehnt beschäftigen: Wie leben in einer durchökonomisierten Welt? Wie darin Kunst machen? Und was für welche? Allein schon dieser Fragen wegen gilt es zu hoffen, dass die Geschichte der Gruppe Ja, Panik noch lange unvollendet bleibt.

Futur II - Die Gruppe Ja, Panik, Verbrecher Verlag, 272 Seiten, 16 Euro.

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