Sharing-Economy:Mein Kleid ist dein Kleid

Sharing-Economy: Leihen statt Kaufen - funktioniert nicht nur bei Filmen, auch bei Kleidern.

Leihen statt Kaufen - funktioniert nicht nur bei Filmen, auch bei Kleidern.

(Foto: Illustration: Claudia Klein)

Besitz war gestern, das gilt zunehmend auch für Mode. Kleidung auszuleihen statt zu kaufen ist nicht nur nachhaltiger - man ist auch immer topaktuell angezogen.

Von Silke Wichert

Wer kauft noch Musik? Es gibt doch Spotify. Wer stapelt noch DVD-Boxen im Regal? Dafür haben wir jetzt Netflix. Eigenes Auto? Ja, okay, da sind noch ein paar, ist seit Drive Now oder Uber aber eigentlich auch überholt. So viel haben wir in den letzten Jahren gelernt: Besitz war gestern, Zugang ist heute. Man muss die Sachen nicht gleich kaufen, man muss nur wissen, wo man sie leihen oder nutzen kann.

Und dann stehen wir mal wieder vor unserem vollgepackten Kleiderschrank und sehen: Da zumindest ist noch ganz schön viel eigenes Zeug drin. Liegenschaften im wahrsten Sinne des Wortes. Aber Kleidung ist ja auch etwas ganz anderes, viel persönlicher, intimer, mit hautnahen Erinnerungen verbunden. Kein schnöder Gebrauchsgegenstand! Und trotzdem, im Gegensatz zu vielen anderen Dingen, ständig in Gebrauch.

Gut, den Mantel da hinten hat man zwar seit vorvorletztem Winter nicht angehabt. Die Paisley-Bluse höchstens einmal. Die Culottes, wo noch das Preisschild dran hängt - tja, doof, der Trend ist jetzt ja auch schon längst wieder vorbei.

Wäre es vielleicht auch bei Mode schlauer, mal zu leihen, statt zu kaufen? Angebote dazu gibt es jedenfalls immer mehr, und nicht nur für Designer-Handtaschen wie beim Internetunternehmen Bag borrow or steal, das das Geschäftsmodell schon länger betreibt.

Mittlerweile geht es vor allem um sogenannte "Fashion Rentals" wie Girl meets Dress, Chic by Choice, Armarium sowie das größte, aber bislang nur auf dem amerikanischen Markt agierende Rent the Runway. Das Start-up wurde 2009 von zwei Harvard-Absolventinnen gegründet. Seitdem haben sie 126 Millionen Dollar an Risikokapital eingesammelt und mehr als 300 Designer im Programm, darunter Giambattista Valli, Balenciaga oder Paul Smith. Marken, die sich die meisten Frauen normalerweise nie leisten könnten.

Für zehn bis zwanzig Prozent des Verkaufspreises dürfen sie jetzt zumindest so tun als ob. Nach wahlweise vier oder acht Tagen geht das Paket kostenfrei wieder zurück. Wer das Kleid ruiniert, muss den vollen Preis bezahlen, wer für fünf Dollar vorher eine Versicherung abschließt, darf auch mal kleckern.

Mittlerweile hat Rent the Runway mehr als fünf Millionen Mitglieder, die so viel ausleihen, dass das Unternehmen nun die größte chemische Reinigung der USA betreibt. Ein gerade im Logistikzentrum eingetroffenes Kleid kann noch am gleichen Tag zur nächsten Kundin. Die Nachfrage ist so groß, dass momentan angeblich 2000 Kleider gereinigt werden - pro Stunde.

Fashion-Flatrate für 139 Dollar monatlich

Nichts anderes als der alte Kostümverleih, nur eben online, da winkten viele in der Branche in den letzten Jahren immer wieder ab. Vermieten funktioniere allenfalls für Abendgarderobe, die man nur ein paar Mal im Jahr braucht. Wer leiht sich schon Pullover? Jeans? Eine Sommerbluse?

Offenbar mehr Leute, als man denkt. Rent the Runway führte im April den Service "Unlimited" ein. Kurz: Das Netflix für Mode. Abonnenten zahlen 139 Dollar im Monat und dürfen sich dafür drei Teile aussuchen, die sie nach Hause geschickt bekommen. Sind diese einmal zurückgesandt, darf man sich die nächsten drei aussuchen, und so weiter und so fort, unbegrenzt eben. Um Cocktailkleider geht es hier nicht mehr, so viele Abendeinladungen hat nicht mal Amerikas First Lady.

Le Tote, auch aus den USA, bietet ebenfalls bereits eine Fashion-Flatrate an, allerdings kann man die Sachen hier auch kaufen, wenn man sich partout nicht mehr trennen möchte. Außerdem wurde gerade Schwangerschaftskleidung eingeführt; die wird ja ziemlich sicher nicht ewig getragen.

"Sich mit fremden Federn schmücken" könnte man das Prinzip nennen, an das sich die Leute anscheinend allmählich gewöhnen. Weil vor allem die jüngere Generation, die Airbnb und Blablacar nutzt, immer weniger in Besitzständen denkt und viele schon seit Längerem im Freundeskreis alles mögliche tauschen.

Vor allem aber auch, weil der Markt für Second-Hand-Mode gerade boomt, was wiederum damit zu tun hat, dass die Leute zu viele Sachen in ihren Kleiderschränken haben und ständig etwas davon loswerden wollen - um Geld und Platz für Neues zu haben. Selbst die Deutschen kaufen nach Umfragen aktuell bis zu fünf neue Teile pro Monat.

Kleidung teilen - ganz schön nachhaltig

"Uns fiel auf, dass die meisten Leute nur die Hälfte oder sogar weniger ihrer Sachen wirklich tragen. Viele sind deshalb frustriert", sagt Elin Larsson, Sustainability-Beauftragte des schwedischen Labels Filippa K. In Schweden treffe das bereits auf sieben von zehn Menschen zu, weshalb Filippa K in ausgewählten Läden zusätzlich Leasing anbietet, neuerdings auch in der Boutique in Berlin-Mitte.

Ein Look aus der aktuellen Kollektion, für vier Tage, zu einem Fünftel des Verkaufspreises - perfekt für die Instagram-Generation, die sich pausenlos im Netz zeigt, und dabei ja unmöglich ständig dasselbe tragen kann. Ein Look ist optisch schnell verbrannt. Zudem wechseln die Trends mittlerweile so schnell, dass mithalten mit normalen Budget kaum mehr möglich scheint. Oder nur mit "Fast Fashion", also billig produzierter Mode.

Vielleicht ist die Idee eines Grundbestands im Kleiderschrank (Basics, Lieblingsteile, besondere Fundstücke), der dann mit geliehenen Trend- und Designerteilen vorübergehend aufgemotzt wird, gar nicht so abwegig? Oder sogar: ziemlich gut? Man könnte einfach mal diese Volantröcke ausprobieren, von denen man zwar glaubt, dass sie modisch gesehen eine Nummer zu groß sind, aber wer weiß? Bei Musik hört man ja auch erst mal irgendwo rein und schaut dann, ob es auf die Playlist kommt.

Wir wären, wenn wir das wollten, zumindest immer topaktuell angezogen. Im Grunde wäre es ein bisschen wie bei den Hollywoodstars, den It-Girls und Models, die die meisten ihrer hübschen Kleidchen und Schmuckstücke ja auch nur über Nacht von den Marken geliehen bekommen und am nächsten Morgen wieder zurückgeben müssen. Der alte Spruch "Hast du was, dann bist du was": Wo genau steckt da drin, dass man was dauerhaft haben, also besitzen, muss?

Aus- und Verleihen ist schon deshalb nachhaltiger, weil ein einmal gefertigtes Kleidungsstück im Idealfall mehrere Dutzend Mal getragen wird, von zig verschiedenen Personen. Die Kleiderei in Hamburg ist genau aus diesem Gedanken vor dreieinhalb Jahren entstanden. Den beiden jungen Gründerinnen ging es nie um Designerkleider, sondern darum, dass jeder, auch Schüler und Studenten, Zugang zu einem "never-ending Kleiderschrank" haben können.

Seit sie vor eineinhalb Jahren vom kleinen Laden auf online umgestiegen sind, trägt sich das Modell auch wirtschaftlich. Für 34 Euro pro Monat kann sich jeder, deutschlandweit, vier Teile pro Monat aussuchen. Nachfrage: steigend.

Luxusdesigner erschließen sich neue Zielgruppen

Ebenso nachhaltig wäre es, würden die Firmen selbst leasen - und das Produkt am Ende recyceln. So wie der Niederländer Bert van Son mit seinem Label Mud Jeans. Für 20 Euro wird man bei Mud Mitglied und zahlt dann 7,50 Euro pro Monat für eine Jeans. Macht jährlich: 110 Euro. Nach zwölf Monaten darf man sich entscheiden, wie beim Autoleasing, nur besser: Entweder man möchte die Jeans behalten, dann gehört sie einem jetzt. Oder man bekommt für 7,50 Euro ein neues Modell und schickt die alte zurück.

"Für mich ist die Jeans ein wertvoller Rohstoff", sagt van Son. "Wir benutzen ausschließlich hochwertige Biobaumwolle, die extrem teuer ist." Jede alte Hose wird deshalb zu 100 Prozent recycelt, jede neue Mud-Jeans enthält bereits ein Viertel "altes" Gewebe, bald werden es sogar bis zu 50 Prozent sein. So könne er umweltfreundlicher, aber eben auch wirtschaftlicher produzieren.

Dieses Prinzip einmal weitergedacht: Wie wäre es, wenn man sich die dicke Daunenjacke eines großen Labels nur mieten würde? Statt 800 Euro würde das neueste Modell vielleicht 400 Euro kosten, und danach wird die Jacke in den Winter auf der anderen Halbkugel verliehen. Oder man bekäme als Leasingpartner, der seine Jacke irgendwann zurückgibt, ein neues Modell zum Vorzugspreis, und die Daunen würden von der jeweiligen Marke wiederverwendet.

Dieses "Cradle-to-Cradle-Prinzip", das bereits bei technischen Geräten ein großes Thema ist, wird auch in der Mode noch wichtiger werden, glaubt van Son. Die Kundenbindung stärkt solch ein geschlossener Kreislauf auch.

Und was ist mit den Modehäusern, die selbst nicht verleihen, deren Sachen aber bei Anbietern wie Rent the Runway im Sortiment sind? Was haben sie davon, außer dass womöglich bald alle weniger kaufen, weil sie lieber mieten? Zum Beispiel kommen sie mit einer neuen Zielgruppe in Kontakt, die sich ihre Sachen bisher nie leisten konnte, am Ende aber vielleicht doch mal ein Teil richtig besitzen will.

Ein Lieblingsstück für den Grundbestand. Im besten Fall sogar zum Durchs-Leben-Tragen.

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