Dokumentation:Wie ein Schimpanse im Käfig

Vom Lieben und Sterben

Bis dass der Tod sie scheidet: Als Robert Wolf seine Freundin Angelika fünf Jahre nach dem Unfall heiratet, weiß er schon, dass er sterben will.

(Foto: Anna Brass/BR)

Unaufgeregt und trotzdem aufwühlend: Der Film "Vom Lieben und Sterben" begleitet einen nach einem Unfall gelähmten Musiker der Band "Quadro Nuevo".

Von Franz Kotteder

Kein Trost, nirgends: Vom Lieben und Sterben ist leider keine dieser Heldengeschichten, in denen einer lernt, mit seinem schweren Schicksal umzugehen. Der Dokumentarfilm von Katrin Nemec ist vielmehr eine ganz normale Tragödie mit einem unausweichlichen Ende. Das alles ist unaufgeregt erzählt, wühlt aber trotzdem auf. Beides passt gut zur Hauptfigur. Die scheint sehr beherrscht zu sein, und doch spürt man den ganzen Film über die brodelnde Unruhe in ihr.

Die Hauptfigur ist Robert Wolf. Der war in seinem früheren Leben ein erfolgreicher Gitarrist, spielte in der Weltmusikformation Quadro Nuevo und in seinem Trio Faro. Er genoss die Konzerte und auch die damit verbundenen Reisen, zum Beispiel nach Istanbul, das kommt als Rückblende auch im Film vor. Nach drei gescheiterten Ehen lernt er die junge Angelika kennen und lieben. Die verehrt ihn, ist ein Fan seiner Musik, und 2007 bekennen sie sich dann auch öffentlich zueinander.

Dann kommt 2008. Das Jahr, in dem alles anders wird. Robert Wolf ist Ende November mit dem Ford Transit unterwegs auf der A 8 zu einem Konzert in Augsburg. Angelika ist zu Hause geblieben, sie verspürt eine merkwürdige Unruhe und will ihn anrufen, aber er geht nicht ans Handy. Am Derchinger Berg bei Friedberg sieht Wolf auf der Gegenseite ein Auto heranrasen, das auf seine Seite der Autobahn gerät. "Ich habe genau gewusst, das ist mein Schicksal", sagt er im Film, "aber ich konnte nichts tun." Der andere rasiert dem Wagen vor ihm das Dach ab und fliegt dann direkt in seine Windschutzscheibe.

Robert Wolf überlebt mit schwersten Verletzungen. Von nun an ist er querschnittsgelähmt, vom Hals an abwärts. An Musikmachen ist nicht mehr zu denken, er ist fortan für jede Kleinigkeit auf Hilfe angewiesen. Angelika hält zu ihm, "weil er meine große Liebe ist"; vielleicht nur deshalb wirkt er im Film oft gefasst und beinahe gelassen. Aber Robert Wolf sagt auch: "Leben ist Bewegung, fühlen, körperlich was wahrnehmen." All das fehlt ihm jetzt. Und als er sich am Jahrestag an den Unfall erinnert, sagt er: "Jetzt habe ich noch vier Stunden und 22 Minuten zu leben", um sich dann zu korrigieren: "also - gesund zu leben."

Der Film zeigt viele Szenen, in denen Wolf von Angelika betreut wird. Sie bringt ihn zu Bett, sie füttert ihn, sie fährt ihn im Auto zum Arzt oder in die Klinik. Man fühlt sich dann unwillkürlich an einen Gefangenentransport erinnert, noch bevor er es zum ersten Mal selbst ausspricht. Er ist gefangen in einem kaputten Körper, der nicht mehr zu gebrauchen ist: So empfindet er das. "Ich bin weder tot noch lebendig", sagt er. Und das Schlimmste ist es, keine Musik mehr machen zu können. Einmal begleitet die Filmemacherin sie in ein Konzert, bei dem seine Freunde seine Kompositionen spielen, aber er fühlt sich "wie ein Schimpanse im Käfig". Sein Gesicht ist ausdruckslos, während die Musik spielt, aber seine Augen zeigen abgrundtiefe Trauer.

Angelika und er ziehen aufs Land, sie heiraten, gut fünf Jahre nach dem Unfall. Aber Robert hat seinen Entschluss bereits gefasst: Er will sterben. "Ich habe immer versucht, ihn das nicht denken zu lassen", sagt sie. Er sagt: "Das Schwierigste war es, Angelika zu sagen, dass ich den Plan gefasst habe." Sie versteht ihn nicht, das gibt sie offen zu. Er findet, Liebe könne man nur erhalten, wenn man zusammen Dinge mache. Er wäre sehr glücklich, sagt er, "dieses Gefängnis loszuwerden".

Wolf macht sein Testament, trifft sich mit einem Arzt und Sterbehelfer, verwirft die Möglichkeit, im Hospiz willentlich zu verhungern, und möchte sein Leben in der Schweiz per Infusion beenden. Aber es gibt viele bürokratische Hürden, alles zieht sich hin. Im März 2015 erkrankt er an Bronchitis, er verweigert die Behandlung mit Antibiotika und stirbt ein paar Tage später an einer Lungenentzündung. Die letzten Stationen dieses Kreuzwegs erspart der Film dem Zuschauer. Das ist auch gut so. Denn Vom Lieben und Sterben wandelt zwangsläufig auch auf einem schmalen Grat zwischen Dokumentation und Voyeurismus. Robert Wolf jedoch hat diesen Film gewollt, "er ist vielleicht ein kleines Stück Ewigkeit für mich".

Vom Lieben und Sterben, BR 22.30 Uhr.

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