Hippokrates:Mann mit Eid

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Hellmut Flashar: Hippokrates - Meister der Heilkunst. Leben und Werk. Verlag C. H. Beck, München 2016. 298 Seiten, 10 Abbildungen. 26,95 Euro. E-Book 21,99 Euro. (Foto: a)

Ein Buch über Hippokrates, den Meister der Heilkunst, von dem der gleichnamige Eid sich herleitet. Aber nicht alle seine Rezepte sind up to date. Der deutsche Philologe Hellmut Flashar schreibt über den großen Arzt der Antike und seinen Eid.

Von Werner Bartens

Homer hat es gewusst und in der um 700 vor Christus verfassten Ilias, dem ältesten Werk der europäischen Literatur, die bis heute gültige Feststellung verewigt: "Denn ein ärztlicher Mann wiegt viele andere auf." Der gebührenden Anerkennung eines fähigen Mediziners war damit schon früh der Boden bereitet.

Hippokrates von Kos, der vermutlich von 460 bis 380 vor Christus lebte, wurde bereits in seiner Zeit für sein Werk und Wirken hoch geachtet. Bis heute gilt er als der berühmteste Arzt der Antike. Der nach ihm benannte Eid wird in jeder Diskussion über die Grenzen der Medizin mahnend erwähnt, auch wenn ihn kein Arzt schwört, sondern der Eid nur noch "an mehreren Universitäten auf schönem Pergamentpapier neben die Promotionsurkunde gelegt" wird, wie Hellmut Flashar schreibt.

Damals war der Beruf des Arztes noch nicht gesetzlich geschützt

Der Altertumswissenschaftler, der lange in München gelehrt hat, widmet Hippokrates eine aufschlussreiche Biografie, in der er die Grundlagen der antiken Heilkunst und die umfangreichen Schriften des Arztes ebenso darstellt und erläutert wie die Missverständnisse und Überhöhungen, die sein Schaffen bis in unsere Zeit begleiten.

Neben seiner philologischen Genauigkeit beeindruckt immer wieder Flashars Sinn für feinen Humor, etwa wenn er bemerkt, dass jene Touristen, die heute auf der Insel Kos den Spuren des Hippokrates nachgehen und das Asklepios-Heiligtum besuchen, leider auf der falschen Fährte sind.

Die Tempelanlage entstand wohl erst nach dem Tod des großen Mannes zu seinem Gedenken. Gewirkt hat der Arzt vermutlich in der alten Hauptstadt Astypalaia an der Südspitze der Insel "ziemlich genau an der Stelle, wo sich heute der Club Méditerranée befindet", der inzwischen einem anderen Hotelbetreiber gehört.

Flashar stellt anschaulich die herausragende Rolle von Hippokrates dar, der als erster Vertreter einer wissenschaftlichen Medizin gelten kann und jegliche Magie und Tempelmedizin ablehnte. Der Beruf des Arztes war noch nicht gesetzlich geschützt, "jeder konnte mit dem Anspruch eines ,Heilpraktikers' auftreten".

In den ihm zugeschriebenen Schriften setzt sich Hippokrates ausführlich mit den Scharlatanen seiner Zeit auseinander, die ihren Patienten mal Bäder verboten, mal bestimmte Speisen wie Aale, Hirsche, Hunde oder Ziegenfleisch und sogar die Mode (kein Ziegenfell und keine schwarzen Kleider) sowie die Körperhaltung (nicht ein Bein über das andere schlagen) reglementieren wollten. Wie unsinnig diese Rezepte sind, zeigt Hippokrates in einer Polemik daran, dass fast alle Afrikaner dieser obskuren Lehre zufolge krank sein müssten, denn sie ernährten sich damals hauptsächlich von Ziegenfleisch und stellten Kleidung, Decken und Schuhe aus dem Fell der Tiere her.

Ausführlich widmet sich Flashar dem hippokratischen Eid, der zwar bis heute als Inbegriff der ärztlichen Ethik gilt, aber eben auch etliche Passagen enthält, die nur zeitgebunden zu verstehen sind und heutigen Doktores nicht zur Nachahmung empfohlen werden. Welcher Arzt würde schon noch seinen Lehrer "seinen Eltern gleich achten", das Leben mit ihm teilen und ihn, "wenn er Not leidet, mitversorgen und seine männlichen Nachkommen wie seine Brüder halten"? Auch der Schwur, "auf keinen Fall den Blasensteinschnitt zu machen" und "keiner Frau ein abtreibendes Zäpfchen zu geben", würde unter Urologen und Gynäkologen diskutiert werden. Darauf, sich fernzuhalten "von sexuellen Handlungen an Körpern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven", könnten sich Ärzteverbände hingegen wohl schnell einigen.

Wieso der Kodex in der damaligen Gesellschaft äußerst sinnvoll war und zudem der Festigung des ärztlichen Berufsstandes diente, wird ebenso deutlich, wie der Einschnitt, den die - heute geläufige, seinerzeit aber erstmals formulierte - ärztliche Schweigepflicht darstellt. Flashar gibt einen Überblick über spätere Modernisierungen des hippokratischen Eides, der im Genfer Ärztegelöbnis von 1948 am ehesten das abbildet, was wir heute unter dem Berufsethos eines "guten Arztes" verstehen. Auch hier zeigt sich der Autor als sensibler Sprachfreund, wenn er bemerkt, dass die französische Originalversion mit Begriffen wie "humanité" und "dignité" einen ungleich ehrwürdigeren Klang hat als die deutsche Übersetzung.

Gerne würde man auch die Vertonungen des Eides hören, so die von 1981 für den Weltkongress der Herzchirurgen, wo die "abrupt abbrechenden Wortfetzen" des vierstimmigen A-cappella-Chores "in den mehrfach wiederholten Ausruf ,Hippokrates' münden".

Auch Mauricio Kagel, der wichtige Vertreter der Neuen Musik, vertonte den Eid, diesmal für das Deutsche Ärzteblatt. Flashar notiert lakonisch: "Es ist ein Klavierstück, merkwürdigerweise für drei Hände, ohne jeden Text, nur vier Minuten dauernd. Ein Bezug zum Eid ist nicht erkennbar." Den stellt der Autor leichtfüßig und lehrreich zugleich hingegen immer wieder her.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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