Prozess:Sohn verklagt Arzt, weil der seinen Vater nicht sterben lassen wollte

Ärzte in öffentlichen Verwaltungen beklagen Nachwuchsmangel

Am Montag wird der Fall vor dem Landgericht München I verhandelt.

(Foto: dpa)
  • Ein Hausarzt hat über Jahre versucht, das Leben eines schwerkranken Münchners zu erhalten.
  • Der Sohn wirft ihm vor, die Qualen ohne Aussicht auf Besserung hinausgezögert zu haben, und klagt auf Schadensersatz.
  • Der Fall wird von Montag an vor dem Landgericht München verhandelt, endgültig wohl aber erst vor dem Bundesgerichtshof entschieden.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ein Hausarzt tat jahrelang alles, um einen schwerkranken Mann am Leben zu erhalten. Nach dessen Tod hat ihn nun der Sohn des Münchners auf Schmerzensgeld verklagt. Die ungewöhnliche Klage klingt nur im ersten Moment widersinnig. Rechtsanwalt Wolfgang Putz erläutert: "Mit dem Prozess möchte der Sohn erreichen, dass erstmals ein Arzt dafür haften muss, dass er ohne Indikation, also gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, eine lebensverlängernde Behandlung über Jahre durchführte, die den Vater quälte und an einem erlösenden Tod hinderte. Am Montag wird der Fall vor dem Landgericht München I verhandelt.

Der Münchner war im Alter von 66 Jahren dement, litt unter vielfältigen bedrohlichen Erkrankungen. Seit 2006 konnte er ausschließlich über eine fest verlegte Sonde künstlich ernährt werden. Von 2010 an kamen vielfältige Komplikationen dazu - der schon lange Zeit nicht mehr kontaktfähige Senior litt oft unter Schmerzen. Der Mann hatte keine Patientenverfügung hinterlassen. Der Sohn sagt nun, dass die Behandlung seines Vaters zumindest in der letzten Lebensphase nicht mehr vom Facharztstandard gedeckt war: Dafür habe es keine ärztliche Indikation mehr gegeben, "damit war die Behandlung rechtswidrig". Tatsächlich schreibt auch ein vom Gericht bestellter Sachverständiger: "Grundsätzlich bestand bereits beim Legen der Sonde im Jahre 2006 kein Therapieziel mehr im eigentlichen Sinne. Es gab keinerlei begründete Hoffnung und Aussicht auf eine Besserung des Zustandes."

Aber hätte der Arzt die künstliche Ernährung einfach einstellen dürfen? Er und sein Anwalt sagen: Nein. Die Diskussion darüber, zusammen mit dem Sachverständigen, wird zentraler Punkt der mündlichen Verhandlung sein. Medizinrechtsexperte Putz: "Es stellt sich die Frage, ob hier vom Arzt etwas ganz Neues oder aber eine uralte Selbstverständlichkeit der Medizin verlangt wird." Schließlich habe schon vor 2400 Jahren der Arzt Hippokrates formuliert: "Im Unheilbaren muss der Arzt sich auskennen, damit er nicht unnötig quäle." Aber auch aktuelle ärztliche Leitlinien der einschlägigen Fachgesellschaften geben seiner Meinung nach dem klagenden Sohn recht.

Eine Schadensersatzpflicht für eine nicht indizierte oder nicht gewollte künstliche Lebensverlängerung würde nach Meinung des Juristen in Deutschland die gesamte Medizin und Pflege am Lebensende dramatisch verändern. Es ist daher zu erwarten, dass dieser Fall voraussichtlich erst vom Bundesgerichtshof endgültig entschieden wird.

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