Editorial:Was tun, wenn die Welt untergeht

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Die Kinder- und Jugendliteratur engagiert sich, reagiert auf die Veränderungen in der Gesellschaft.

Von Roswitha Budeus-Budde

In diesem Herbst wurden viele Kinder wieder zu begeisterten Lesern. Die sich nicht davon abschrecken ließen, dass J. K. Rowling ihre neue Harry-Potter-Folge in "das verwunschene Kind" als Theaterscript veröffentlichte (Carlsen) und Cornelia Funke mit der Fortsetzung des Drachenreiters "Die Feder eines Greifs" (Dressler) schon einige Leseroutine erfordert.

Neben diesen Blockbustern waren auch die marktbeherrschenden Œuvres wieder reihenweise vertreten - diese endlosen Variationen zu Gregs-Tagebüchern, die immer noch die Jungs zum Lesen bringen sollen, und die nicht endende Begeisterung der Mädchen für Fantasy-Geschichten mit einem Schuss Romantik. Auffallend aber, dass die realistische Jugendliteratur eine neue, sehr offene und engagierte literarische Form gefunden hat, um auf die Veränderungen in der Gesellschaft zu reagieren. Zwar zählte im Kinder- und Jugendbuch die Freundschaft mit Migrantenkindern schon längst zum literarischen Repertoire, neu aber ist, dass sich immer mehr Titel mit Krieg, Flucht und Emigration auseinandersetzen, mit den Erfahrungen und Erlebnissen, die diese Kinder als Freunde und Schulkameraden in den Alltag hier mitbringen. Es ist eine Literatur, die deutlich politische Positionen bezieht, auch zum aktiven Widerstand gegen bürokratische Hürden aufruft, wie die Hamburger Schulgeschichte "Tayo bleibt" von Irene Margil und Andreas Schlüter (Carlsen), nach einem wirklichen Fall erzählt. Da gelingt es den Schülern und den Lehrern eines Gymnasiums, ihren Mitschüler, einen jungen Nigerianer, vor der Abschiebung zu retten.

Eine Geschichte, die Mut macht. Aber auch die andere Wirklichkeit in Deutschland, der Hass und die Gewalt gegen Fremde werden in der Jugendliteratur nicht ausgespart. Peer Martin erzählt davon in seinem nach Recherchen in Ostdeutschland verfassten Flüchtlingsdrama "Sommer unter schwarzen Flügeln" (Oetinger). Zu hart als Lesestoff für Jugendliche, dieser Romeo-und-Julia-Roman, in der das Mitglied einer rechten Schlägerbande sich in eine junge Frau aus einem Asylantenheim verliebt? Die Jugendjury hat dieses Buch mit dem Jugendliteraturpreis 2016 ausgezeichnet.

Vielleicht inspirierte Peter Härtling zu seinem neuen Buch "Djadi Flüchtlingsjunge" die Erinnerung an die politische Stimmung der 68er-Jahre, eine antiautoritäre Zeit der Kinder- und Jugendliteratur. Deren Einsatz für die Rechte der Kinder setzt sich jetzt im Engagement vieler Jugendbuchverlage fort. Damals schrieb Härtling mit "Krücke", seine eigene Fluchtgeschichte. Jetzt erzählt er von einem fremden Kind, einem unbegleiteten Jungen, der, in Frankfurt gestrandet, in einer Alten-WG aufgenommen wird.

Von geglückter Integration geben auch die jungen Migranten in Barbara Warnings Dokumentation "Heimisch und doch fremd" (Ravensburg) ein Zeugnis. Hier findet sich auch die Anekdote aus dem Jugoslawien-Krieg: "Was machst du, wenn morgen die Welt untergeht? Dann packe ich meine Koffer und gehe mit meiner Familie nach Deutschland!"

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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