Tiefseekabel:Wer diese Kabel durchtrennt, legt die Welt lahm

Seekabel Landing station

Regale voller großer Batterien: Sie springen ein, wenn in der Datenkabel-Station an Englands Küste der Strom ausfällt. In Wirklichkeit ist der Raum grau, aber Fototechnik lässt ihn bunt erstrahlen.

(Foto: Tata Communications)

Fast alle Daten zwischen Kontinenten fließen durch Glasfaserkabel auf dem Meeresgrund. An der englischen Westküste liegt ein Knotenpunkt. Zu Besuch an einem geheimen Ort.

Von Björn Finke

Das kleine Vorhängeschloss baumelt an der Seite des grauen Kastens. Russell Poole nutzt sein Handy als Taschenlampe, um die Zahlenkombination besser lesen zu können. Er öffnet Schloss und Kasten. Zum Vorschein kommen sehr dünne, bunt ummantelte Kabel, durchnummeriert von eins bis acht. "Das sind vier Paare von Glasfasersträngen", sagt der Ingenieur über das Brummen der Klimaanlage hinweg. Diese acht geradezu erschreckend filigranen Stränge bilden zusammen TGN Atlantic, ein Datenkabel, das von England über den Grund des Atlantik nach New Jersey in den USA läuft.

Etwa 350 dieser Glasfaserkabel liegen auf dem Grund der Ozeane - ohne dieses weltumspannende Kabelnetz würde das World Wide Web, das Internet, nicht funktionieren. Denn solche Kabel wickeln fast den kompletten Datenverkehr zwischen den Kontinenten ab: Besuche von Webseiten, Telefonate, E-Mails. Die Alternative zu den Leitungen, Satelliten, sind teurer und bringen weniger Leistung. Der Kasten mit den bunten Kabeln, die Ingenieur Poole zeigt, befindet sich nahe der englischen Westküste in einer unscheinbaren grauen Halle in einem ebenso unscheinbaren Gewerbegebiet. In dieser sogenannten Landing Station, deren Chef Poole ist, erreichen neben TGN Atlantic noch zwei weitere Seekabel das Festland.

In der Station werden die Daten für den blitzschnellen Transport über den Meeresgrund vorbereitet, und ankommende Datenpakete werden in Richtung London weitergeleitet. Den genauen Standort zu nennen, ist aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. Schließlich verbirgt diese Fabrikhalle so etwas wie ein Tor zum Internet für Großbritannien und den Rest Europas.

Auch der GCHQ soll die Kabel schon angezapft haben

Draußen am Zaun weist nur ein kleines Schild auf den Eigner hin: Tata Communications. Der Tochter des indischen Mischkonzerns Tata gehört ein weltumspannendes Glasfasernetz, und TGN Atlantic, das Kabel zwischen England und New Jersey, ist ein wichtiger Teil davon. Das Unternehmen verdient sein Geld damit, die Standorte internationaler Konzerne zu vernetzen und andere IT-Services zu erbringen - dabei helfen eigene Glasfaserleitungen. Außerdem zahlen Telekom- und Internet-Firmen dafür, das Netz mitnutzen zu dürfen.

Im Südwesten Englands gibt es neben Tatas Landing Station noch einige andere Endpunkte von Atlantikkabeln. Eine gewisse Berühmtheit erlangte das Kabel TAT-14, das beim Badeort Bude in Cornwall ankommt. Die Deutsche Telekom ist an der Leitung aus den USA beteiligt. Von Cornwall führt TAT-14s Weg weiter bis ins Städtchen Norden in Ostfriesland. Aus Unterlagen des früheren US-Geheimdienstlers Edward Snowden geht hervor, dass der britische Dienst GCHQ die Datenflut von TAT-14 in Bude angezapft haben soll.

Diesel für einen möglichen Ausfall

In der Landing Station von Tata Communications gehen neben dem Kabel nach New Jersey ein Kabel nach Spanien und Portugal und eins via Portugal nach Afrika ab. Bevor die Daten auf die lange Reise geschickt werden, müssen sie aufbereitet und die Signale verstärkt werden. Für das Kabel nach Amerika liegen weitere 149 Signalverstärker auf dem Grund des Atlantik. Sie stellen sicher, dass die Lichtblitze in den winzigen Glasfasern auf dem anderen Kontinent ankommen. Ihren Strom beziehen die Verstärker aus dem Seekabel.

Die Elektronik, welche die Daten reisefertig macht, verbirgt sich in langen Reihen von Schaltschränken. Neonröhren tauchen die fensterlose Halle in kaltes Licht. Bunte Kabelstränge laufen die Decke entlang und winden sich dann zu den Schränken hinab. Wer vor den Geräten steht, dem föhnt der Luftstrom der Kühlungen die Haare. Der nächste Raum ist voller großer Batterien, eng gepackt auf zwei Regalebenen. "Bei einem Stromausfall liefern diese für vier Stunden Ersatz", sagt Stationsleiter Poole. Reicht das nicht, springen die zwei Dieselgeneratoren im Raum daneben an. Im Tank lagert genug Diesel, um 16 Tage lang einen Ausfall zu überbrücken.

Die größte Gefahr sind Fischer mit Schleppnetzen

Doch Poole bereitet nicht das englische Stromnetz Sorgen, sondern die Gefahr, die den Kabeln nahe der Küste auf dem Meeresgrund droht: "Fischer mit Schleppnetzen sind die größte Bedrohung für die Kabel", sagt der Manager, der die Station mit sechs Angestellten betreibt. Der Verlauf ist zwar auf Seekarten eingezeichnet, trotzdem sei es bereits zu Beschädigungen gekommen, sagt er.

Die eigentlichen Seekabel sind nicht breiter als ein Klebestift. In Küstennähe erhalten sie allerdings einen dicken Mantel aus Stahl, um sie vor Ankern und Netzen zu schützen. Ist ein Kabel defekt, fahren Spezialschiffe auf den Atlantik, welche die Leitungen vom Meeresgrund hochheben und reparieren. Das ist teuer und aufwendig - genau wie die Verlegung.

Das Geschäft mit den Kabeln ist lukrativ

Viele Kabel wurden in den Neunzigerjahren auf dem Meeresgrund versenkt, in der Euphorie des Dotcom-Booms. Als die Internetblase platzte, gab es zu viel Kapazität für zu wenig Daten. Tata Communications kaufte das Atlantikkabel und andere Verbindungen im Jahr 2005 vom kriselnden US-Anbieter Tyco. "Damals haben die Seekabel im Atlantik Verluste gemacht, wegen der Überkapazitäten", sagt Claude Sassoulas, der Europa-Chef von Tata Communications. "Das ist heute ganz anders, die Nachfrage ist groß."

Kein Wunder, schließlich wächst das Datenvolumen rasant. Immer mehr Menschen verbringen immer mehr Zeit online; sie schauen Fernsehen über das Internet oder führen Videotelefonate. Unternehmen greifen via Internet auf Software zu statt die Programme auf den Rechnern in den Büros zu speichern. Vernetzte Maschinen senden sich gegenseitig Daten.

Google, Facebook und Microsoft verlegen eigene Leitungen

Trotzdem arbeitet TGN Atlantic, das Kabel nach Amerika, noch längst nicht am Limit. Denn Fortschritte bei der Übertragungstechnik haben dazu geführt, dass die Betreiber über die gleichen alten Kabel ein Vielfaches der früheren Datenvolumen schicken können. Europa-Statthalter Sassoulas sagt, Tata werde daher vorerst keine weiteren Seekabel verlegen: "Wir haben ausreichend Kapazität."

Dafür investieren andere. Im Sommer wurde ein neues Kabel zwischen den USA und Japan in Dienst gestellt. Die Bauzeit betrug zwei Jahre. Hinter dem 300 Millionen Dollar teuren Projekt steht unter anderem Google. Rivale Facebook und das Software-Unternehmen Microsoft lassen gemeinsam ein Kabel zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten verlegen. Die Verbindung soll in einem Jahr in Betrieb gehen. Die Webkonzerne wissen: Für gute Geschäfte im Internet brauchen sie gute Verbindungen auf dem Meeresgrund.

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