Reaktionen auf den Populismus:Der Liberalismus im Kampfanzug

Restaurant will keine AfD-Mitglieder

Verbotsaufkleber am Berliner Restaurant "Nobelhart & Schmutzig".

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Die offene Gesellschaft muss lernen, mit ihren Feinden umzugehen - "AfD unerwünscht"-Aufkleber helfen da wenig. Das zeigt der Fall eines Berliner Restaurants.

Essay von Jens Bisky

Am südlichen Ende der Friedrichstraße wird der AfD Unverträglichkeit attestiert. Ihre Mitglieder würden bei einem geselligen Berliner Abend unzumutbar stören. So lässt sich die Reihe von Verbotsaufklebern an der Eingangstür des Restaurants "Nobelhart & Schmutzig" verstehen. Unerwünscht sind Kameras, Mobiltelefone, Waffen und neuerdings die AfD. Seit der Tagesspiegel darüber berichtet hat, tobt auf der Facebook-Seite des Etablissements ein kleiner Weltanschauungskampf: Die einen begrüßen das politische Signal, die anderen schimpfen oder vermissen Toleranz oder, na klar, erinnern an die Jahre 1933 bis 1945. Die naheliegenden Fragen werden nur selten gestellt: Wie wird das Verbot durchgesetzt? Prüft der Koch vor Einlass die Parteiausweise oder trifft es nur die AfD-Fernsehgesichter.

Die Linksjugend Solid bietet Sticker an: "AfD wählen? Kannste schon machen, aber dann biste halt rassistisch." Auch sexistisch, homophob und unsozial sind im Angebot. Derlei mag vielleicht die eigenen Reihen stärken, wird aber den Populisten nicht schaden. Sie gewinnen ihre Kraft zu großen Teilen aus der Verachtung der guten Gesellschaft, aus Regelverletzung, Geschmacklosigkeit und dem Dauergejammer, wie übel ihnen mitgespielt werde. Klar: Gewalt gegen Frauke Petrys Auto, gegen Parteitagsbesucher oder AfD-Abgeordnetenbüros sind nicht hinzunehmen und selbstverständlich Fälle für den Staatsanwalt. Aber muss man die Populisten deswegen mit den Samthandschuhen anfassen, die sie niemals anziehen würden?

Auf dem großen Berliner Familienfest, der CSD-Parade, war die AfD aus guten Gründen unerwünscht. Sie hat für diese Ablehnung hart gearbeitet. Und doch überzeugen Sticker, Ausladungen, demonstrative Ablehnung nicht. Den Freunden der offenen Gesellschaft steht der Kampfanzug schlecht. Statt die Populisten zu treffen, befördern sie, unwillentlich, will man hoffen, Polarisierung und Lagerbildung, mithin von niemandem zu beherrschende Prozesse der Radikalisierung.

Populisten glauben den Volkswillen zu kennen. Aber woher?

Zur Erinnerung: Populismus ist ideologisch promisk, und er ist nicht "irgendwas mit Volk". Nach der bündigen Definition des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller ist er antielitär und antipluralistisch. Populisten beziehen sich auf das Volk, als sei es eine eindeutige, einsinnige moralische Größe, deren Willen allein sie kennen und exekutieren können, am liebsten unter Umgehung oder Ausschaltung all der checks and balances, die das Leben in modernen Gesellschaften sicher und erträglich machen. Wer die Meinungen der Populisten nicht teilt, ist eben ein "Volksverräter", korrupt, verlogen oder dumm, einer, der zum Wohle des Volkes ausgeschaltet werden muss. Obwohl es Populisten schon sehr lange gibt, reagieren die Freunde der offenen Gesellschaft, also von repräsentativer Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat, auffallend unbeholfen auf die Anmaßung der Hohepriester des Volkswillens.

Es ist schlechte Routine, den Populismus als ein fremdes Phänomen zu behandeln, ihn also zu exotisieren und zu verrätseln, als sei er außergewöhnlich, unerwartet, unnormal, ja eigentlich unmöglich. In der kommenden Woche erscheint die neue Nummer der Zeitschrift Mittelweg 36. Darin rekapituliert der Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Wolfgang Knöbl, die seit Jahrzehnten andauernden soziologischen und politikwissenschaftlichen Debatten über den Populismus. Von Anfang an, so Knöbl, war der Begriff mit modernisierungstheoretischen Erwartungen verbunden. Grob: Ökonomisches Wachstum führt zwangsläufig zu kulturellen und politischen Veränderungen und über kurz oder lang zu einem demokratischen politischen System. Da erscheint der Populismus dann als Pathologie, eine vorübergehende Abweichung.

Um das Erschrecken darüber zu mildern, wird gern Motivforschung betrieben, werden Ängste und Sorgen erkundet oder genauer: vermutet, werden Globalisierungsverlierer getätschelt. Knöbl hält die Verlierer-These für beliebig. Mit ihr lasse sich nahezu alles erklären, "weil es kaum jemanden geben dürfte, der sich subjektiv nicht als Verlierer des sozialstrukturellen Wandels wahrnimmt". Zeitgenossen können daraus lernen, dass es gescheiter wäre, Populisten und ihre Wähler wie Erwachsene zu behandeln. Sie sind keine Fälle für Therapeuten oder Sozialarbeiter. Die Auseinandersetzung gehört in die politische Arena, in erster Linie in die Parlamente.

Man mag die Ansichten nicht teilen, aber wenn es, wie gegenwärtig, viele gibt, die den Euro abschaffen wollen, die keine Einwanderung wünschen, dann ist es gut, wenn diese parlamentarisch vertreten sind. Anders als oft befürchtet, kommt man ihnen mittels parlamentarischen Streits nicht entgegen. Sie werden gewiss nicht "entzaubert", da Petry, Höcke, Gauland, Trump, Le Pen keinen Zauber besitzen. Aber sie können gestellt werden, und die entscheidenden Fragen hoffentlich auch: Wie ihre politischen Ziele erreicht werden sollen, ohne Rechtsstaat, Pressefreiheit, Demokratie zu zerstören. Oder stimmt es etwa nicht, dass wer "Volksverräter" sagt, auch Galgen bauen, dass wer "Lügenpresse" ruft, Journalisten die Fresse polieren will? Wer vom "Völkischen" fabuliert, plant Vertreibungen ebenso wie der, der einen Boateng nicht in der Nachbarschaft haben will. Oder? Und woher kennen diese Leute den "Volkswillen"?

Es hilft nichts, die Endkampfhysterie einfach auszublenden

In den Neunzigerjahren gab sich die "freie Welt" der Illusion hin, offene Gesellschaften, die Ehe von Kapitalismus und Demokratie seien unvermeidlich, Ziel und Endpunkt der Geschichte. Für diese Illusion ist heute ein hoher Preis zu zahlen. Freie Gesellschaften müssen nun lernen, wie selten, gefährdet und unwahrscheinlich sie sind. Sie müssen auf Feinderklärungen reagieren, auch auf die der Populisten, die so rasch nicht verschwinden werden, die nicht Monster von irgendwo, sondern Nachbarn, Kollegen, Verwandte sind.

Es wäre ein vernünftiges Ziel des Streits mit ihnen, der populistischen Endkampfhysterie ihren Platz als das normale Unbehagen in der Kultur zuzuweisen und die Hohepriester des Volkswillens als Zeitgenossen mit allerlei Meinungen zu behandeln, denen man sich nicht unterwirft. Ob und wie dies gelingt, ist ungewiss, aber die Weine im "Nobelhart & Schmutzig" werden nicht schmecken, wenn man vor der Gegenwart die Tür verschließt.

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