Personenkontrollen:Berlin will sich von HIV-Register verabschieden

Personenkontrollen bei Drogensüchtigen: Die Polizei nutzt HIV-Register zum Selbstschutz, das Land Berlin schafft die Speicherung nun ab. Andere Bundesländer geraten unter Zugzwang.

Von Ronen Steinke

Manche Freunde wandten sich ab, als sie erfuhren, dass Carsten Schatz HIV-positiv ist, wollten keinen Kontakt mehr und sagten das auch so. Beim Zahnarzt gab es plötzlich keine Termine mehr, beim Arbeitsamt keinen Job. "Wenn jemand Krebs hat, haben alle Mitleid", sagt Schatz, heute ist er Linken-Politiker im Berliner Landesparlament, der erste offen HIV-positive Abgeordnete in Deutschland. Bei Aids sei das oft anders, da mischten sich moralische Vorwürfe mit hinein. Das kann ja, heißt es dann, nur mit Ausschweifung und Leichtsinn zu tun haben, mit Drogen oder wenigstens schwulem Sex.

Was nur wenige wissen: In Deutschland werden HIV-Infizierte in einem Polizei-Register gespeichert. Das ist kein Überbleibsel aus den finsteren Achtzigerjahren, als im Spiegel der aufstrebende CSU-Abgeordnete Horst Seehofer zitiert wurde, man solle Aidskranke "in speziellen Heimen" sammeln, gar "konzentrieren". Vielmehr ist es eine noch sehr junge Maßnahme. Sie folgt einem Beschluss der Innenministerkonferenz vor genau fünf Jahren, und sie funktioniert in der Praxis so: Personenkontrolle, dann ploppt neben dem Namen der Person der Warnhinweis auf: "ANST", ansteckend. Und der Polizist ist gewarnt.

Ein Erfolg gegen die Stigmatisierung von HIV-Positiven

Das Land Berlin will das jetzt beenden, die Berliner Linkspartei und die Aids-Hilfe feiern das als Erfolg gegen die Stigmatisierung von HIV-Positiven; SPD, Grüne und Linke haben sich in ihrem druckfrischen Koalitionsvertrag darauf geeinigt. In anderen Bundesländern hat das einen gewissen Zugzwang ausgelöst. In Nordrhein-Westfalen wurden die Grünen auf das Thema aufmerksam. Sie konfrontierten den Innenminister ihres Koalitionspartners SPD, Ralf Jäger. Der hat nun am Dienstag eine eilig zusammentrommelte Bund-Länder-Expertengruppe losgeschickt. Sie soll mit den 16 Ländern und Experten etwa des Robert-Koch-Instituts und des Nationalen Aids-Beirats über den Fortbestand des Polizei-Registers beraten.

Dass Polizisten sich vor Ansteckung schützen wollen, erkennen alle an. Polizisten kämen nicht umhin, mit Drogenabhängigen oder anderen, die "keine Infektionsprophylaxe" betreiben, in "körperlich dynamischen Kontakt" zu geraten, formuliert das Düsseldorfer Innenministerium in einem internen Schreiben. "Die Sorge kann jeder nachvollziehen", sagt Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe. Aber er wendet ein: In Deutschland seien inzwischen 80 Prozent der HIV-Infizierten in medikamentöser Behandlung. Das bedeutet, dass sie nicht mehr ansteckend sind.

Bayern registriert fast jeden HIV-Positiven

"Die Übertragung von HIV oder Hepatitis im Rahmen polizeilicher Tätigkeit ist generell sehr unwahrscheinlich", argumentierten im vergangenen Jahr einige Aids-Hilfe-Organisationen in einer gemeinsamen "Münchner Erklärung" gegen die Register-Speicherung. Reale Beispiele gebe es nicht. Und wenn ein Polizist bei einem Einsatz in gefährlichen Kontakt mit Körperflüssigkeiten gerät, dann gilt ohnehin der Rat, den auch Ärzte beherzigen, wenn sie sich beispielsweise mit der Nadel eines HIV-Infizierten gestochen haben: Es gibt heute Medikamente, die bei sofortiger Einnahme über die Dauer von vier Wochen eine Ansteckung verhindern können - das sogenannte PEP.

Daran führt im Ernstfall kein Weg vorbei, auch dann nicht, wenn im HIV-Register gar kein Eintrag zu finden war. Denn der besagt wenig. Bayern registriert fast jeden HIV-Positiven, aber zum Beispiel Nordrhein-Westfalen nur sehr wenige. Die Länder melden alle Namen an die gemeinsame Datei Inpol, sodass die Information bundesweit abrufbar ist. So sind derzeit polizeibekannt: 14 000 HIV-Infizierte aus Bayern, aber nur etwas mehr als 800 aus Nordrhein-Westfalen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: