Schutzkleidung und Statussymbol:"Der Arztkittel gehört zum Ritual"

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Der britische Gesundheitsminister möchte den weißen Arztkittel aus Hygienegründen abschaffen. Von dieser Idee hält Günther Jonitz von der Bundesärztekammer gar nichts.

Markus C. Schulte von Drach

Der Gesundheitsminister in London empfiehlt britischen Ärzten, auf ihre weißen Kittel zu verzichten. Diese erhöhen angeblich das Risiko, Krankheitserreger von einem Patienten zum nächsten zu tragen. In Deutschland gibt es zu dieser Maßnahme Zustimmung - aber auch deutlichen Widerspruch. Etwa von Günter Jonitz, dem Vorsitzenden des Ausschusses Qualitätssicherung der Bundesärztekammer. Jonitz ist außerdem Präsident der Ärztekammer Berlin.

Statussymbol und Schutzkleidung: der weiße Kittel. (Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Warum tragen Ärzte überhaupt weiße Kittel?

Günther Jonitz: Um sich vor Krankheitserregern zu schützen, die vom Patienten ausgehen können. Auf dem weißen Stoff kann man selbst kleinste Verunreinigungen erkennen und den Kittel dann austauschen.

sueddeutsche.de: Ist der weiße Arztkittel nicht vielmehr ein Statussymbol?

Jonitz: Natürlich hat er auch Symbolfunktion. Er zeigt dem Patienten: Jetzt kommt der Experte. Solche Symbole und Insignien finden wir doch in allen Bereichen der Gesellschaft: Uniformen, Dienstwagen und so weiter.

sueddeutsche.de: Ist das denn für den Patienten wichtig?

Jonitz: Die Beziehung zwischen Patient und Arzt ist stark emotional gesteuert. Sie müssten einmal erleben, wie gerade ältere Menschen reagieren, wenn sie den Doktor nicht am weißen Kittel erkennen können. Er hat erhebliche suggestive Wirkung, die zur Heilung des Patienten beiträgt. Und so ein schicker Arztkittel sieht außerdem richtig gut aus - auch wenn es nur eine Uniform ist.

sueddeutsche.de: Nun geht der Gesundheitsminister in Großbritannien davon aus, dass gerade über den Kittel Krankheitserreger von einem Patienten zum anderen geschleppt werden. Der Arztkittel als Infektionsrisiko?

Jonitz: Das Risiko ist klein, wenn die notwendigen Hygienestandards eingehalten werden. Bei hochinfektiösen Patienten wird spezielle Schutzkleidung verwendet, die nach dem Kontakt gewechselt wird.

Aber für alle anderen Patienten reicht ein normaler Kittel völlig aus - vorausgesetzt, er wird in regelmäßigen Abständen oder wenn er erkennbar schmutzig ist, ausgetauscht. Und wenn der Arzt statt dem Kittel andere Kleidung trägt, können Erreger auch über diese transportiert werden.

sueddeutsche.de: In Großbritannien sieht man das offenbar anders.

Jonitz: Dort ist die Situation auch eine andere. In britischen Krankenhäusern ist die Infektionsrate mit vielfach resistenten Erregern um ein Mehrfaches höher als im übrigen Europa. Aber mit den Kitteln hat das nichts zu tun. Die tragen wir in Deutschland ja auch. Ich halte die Aktion des Gesundheitsministers für ein Ablenkungsmanöver in Richtung Ärzteschaft.

sueddeutsche.de: Muss es denn unbedingt ein Kittel sein, den die Ärzte tragen? Kommt der nicht eher mit schmutziger Bettwäsche oder der Kleidung des Patienten in Berührung als etwa eine Jacke?

Jonitz: Kurze Jacken, Blusen oder Hemden können unter Umständen tatsächlich praktischer sein als lange Kittel. In den USA werden solche Kleidungsstücke in Intensivstationen oder Rettungsstellen schon verwendet.

sueddeutsche.de: Warum kürzen wir dann nicht alle Kittel zu Jacken?

Jonitz: Weil jeglicher Beleg dafür fehlt, dass der Patient durch eine solche kostenträchtige Maßnahme tatsächlich profitiert. Das Geld, das man hierfür bräuchte, würde woanders fehlen. Außerdem dient der klassische Arztkittel eben nicht nur als Funktionskleidung, sondern gehört gewissermaßen zum Ritual. Er hat, wie gesagt, eine wichtige hilfreiche Symbolfunktion.

sueddeutsche.de: Viele Ärzte verzichten allerdings bereits auf den Kittel.

Jonitz: Für den Hausarzt, den seine Patienten gut kennen, ist er vielleicht nicht so wichtig. Ein Problem stellen die Kittel an sich jedenfalls nicht dar. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass die Kleidung regelmäßig gewaschen wird. Leider versuchen manche Krankenhäuser hier zu sparen.

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