Justizvollzug:Raus aus dem Knast, rein in die Armut

Justizvollzug: Pro Jahr werden in den deutschen Gefängnissen Waren im Wert von weit mehr als 100 Millionen Euro hergestellt, etwa Spielzeug in München-Stadelheim.

Pro Jahr werden in den deutschen Gefängnissen Waren im Wert von weit mehr als 100 Millionen Euro hergestellt, etwa Spielzeug in München-Stadelheim.

(Foto: Claus Schunk)

Die meisten der 64 000 Häftlinge in Deutschland arbeiten hinter Gittern, doch einen Anspruch auf Rente erwerben sie damit nicht. Eine Gefangenen-Gewerkschaft will das nun ändern.

Von Sebastian Fischer

Meistens hat er gern gearbeitet, obwohl er ahnte, dass es faktisch umsonst sein würde. Hubertus Becker hat Elektroteile zusammengeschraubt, er war Buchhalter einer Druckerei, später studierte er, und Bücher schrieb er auch, insgesamt mehr als 20 Jahre lang. Und deshalb hat Becker die Wut gepackt, als er in der vergangenen Woche seine erste Rentenüberweisung las. 43 Euro. Mehr wird er wohl nie bekommen.

Becker hat ein paar Jahre lang in der Bundeswehr gedient, aber anschließend hat er nie in Freiheit gearbeitet. Er saß insgesamt 24 Jahre lang im Gefängnis, weil er auf mehreren Kontinenten mit Rauschgift gedealt und in den Neunzigerjahren versucht hatte, für die Oetker-Entführer das Lösegeld zu waschen, das machte ihn berühmt. Zuletzt saß er bis November 2013 wegen Hehlerei hinter Gittern. Es ist das Problem dieser Geschichte über Hubertus Becker, 65, und all die anderen Gesetzesbrecher, die wie er für ihre Rechte streiten, dass sie nicht als Sympathieträger taugen - und deshalb keine Lobby haben. Rund 64 000 Strafgefangene gibt es derzeit in Deutschland. Die meisten von ihnen arbeiten, doch einen Rentenanspruch haben sie nicht. Im Alter droht ihnen Armut.

"Resozialisierung ist nur eine Worthülse", sagt Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (DV). Er ist einer der wenigen Menschen, die für die Einbeziehung Strafgefangener in die gesetzliche Rentenversicherung eintreten. Ein Recht, das die Bundesregierung "grundsätzlich für sinnvoll hält", wie es auf Anfrage beim Arbeits- und Sozialministerium heißt. Ein Recht, das schon in den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 vorgesehen ist, aber mit Übergangsvorschriften aufgeschoben wurde. Das Inkrafttreten der Regelungen wurde einem Bundesgesetz vorbehalten, das aber wurde nie erlassen.

Auf der Tagesordnung der zuständigen Justizministerkonferenz, die sich noch im Jahr 2015 mit dem Thema befasste, fehlte der Punkt beim Treffen im November. Eine Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialminister soll nun nach Lösungen suchen. Deren Hauptkonferenz fand in der vergangenen Woche statt, doch auch dort war die Rente für Häftlinge kein Thema. Aus dem sächsischen Sozialministerium heißt es, die Arbeitsgruppe werde im Frühjahr erstmals tagen. "Ein Fortschritt", sagt DV-Vorstand Löher einerseits, doch er bleibt skeptisch.

"Das Thema ist nicht sexy, und es gibt keine Lobby", sagt ein Ministerialbeamter

Das Problem, sagt ein Sprecher des Arbeitsministeriums, sind die Kosten. Die Länder müssten die Rentenversicherungsbeiträge übernehmen und haben "finanzielle Vorbehalte, gegen die eine Initiative der Bundesregierung zurzeit keine Aussicht auf Erfolg hätte". Die Antwort des Bundes auf das lange bekannte Problem ist seit Jahren dieselbe, und sie werde sich auch in Zukunft nicht ändern, heißt es aus Ministeriumskreisen. "Das Thema ist nicht sexy und es gibt keine Lobby, die stark genug ist", sagt der Mitarbeiter eines Landesjustizministeriums, der nicht genannt werden möchte.

Dass der aktuelle Zustand nicht zufriedenstellend ist, mag kaum jemand bestreiten. Denn er ist kaum mit dem Strafvollzugsgrundsatz vereinbar, dass eine Freiheitsstrafe keine negativen Folgen über die Haft hinaus haben solle. Becker, der verurteilte Drogenschmuggler und Geldwäscher, bezieht Grundsicherung von 404 Euro im Monat und bekommt hie und da Geld für Vorträge und Veröffentlichungen, er lebt im Touristenörtchen Bacharach am Rhein, er hat Freunde, die ihm helfen. "Irgendwie geht's", sagt er, doch er kenne viele ehemalige Mithäftlinge, die nicht zurechtkämen und die nur solche Freunde hätten, die sie irgendwann fragen, ob sie beim nächsten Überfall Schmiere stehen können. Laut einer Studie des Bundesjustizministeriums wird fast jeder zweite Straftäter rückfällig.

1,50 Euro Stundenlohn: Für Firmen ist die Beschäftigung im Gefängnis attraktiv

2014 haben sich in Berlin erstmals Gefangene zu einer Gewerkschaft zusammengeschlossen. Deren Sprecher Oliver Rast kritisiert nicht nur die fehlende Rentenversicherung, er fordert eine komplette Einbeziehung in die Sozialversicherung und zudem Mindestlohn für die Gefangenen. Für Unternehmen ist die Beschäftigung hinter Gittern attraktiv, auch weil Häftlinge lediglich rund 1,50 Euro in der Stunde verdienen. Pro Jahr sind die Dienstleistungen und hergestellten Waren im Knast geschätzt weit mehr als hundert Millionen Euro wert - ein Missverhältnis, sagt Rast. Doch einzig die Linke hat bislang die Forderungen der nicht offiziell als Gewerkschaft anerkannten Vereinigung in einem Beschluss unterstützt, ansonsten ist die Rückendeckung aus der Politik rar. Die Skeptiker befürchten, dass ein Bundesgesetz, das die Arbeit im Gefängnis teurer macht, die Arbeitgeber vertreibe. Außerdem, sagt die Industrie, sei die Arbeit hinter Gittern weniger effizient. DV-Vorstand Löher schlägt als Kompromiss vor, die Gefangenen auf Basis eines fiktiven Arbeitsentgelts zu versichern, und so zumindest die Rente zu garantieren.

Mit Ideen wie dieser und mit dem wachsenden Druck zivilgesellschaftlicher Gruppen wird sich im Frühjahr die Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialminister beschäftigen müssen. Hubertus Becker wird vor allem für seine alten Mithäftlinge hoffen, dass sie eine Lösung finden. Doch dass er wirklich daran glaube, könne er nicht sagen.

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