Szene München:Seltsame Worte zu unpassenden Zeiten

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Es gibt nicht nur das Jugendwort des Jahres, auch Erwachsene beteiligen sich am sprachlichen Fortschritt - in der Gastronomie immer wieder zu beobachten.

Kolumne von Andreas Schubert

Das Schöne an der Sprache ist, dass sie sich ständig verändert. Das alljährlich wieder neu ausgerufene Jugendwort des Jahres - ein PR-Gag eines Wörterbuchverlags - zählt hierbei explizit nicht dazu, wie sich vor allem dieses Jahr zeigte. Kein Mensch kannte es, und jetzt ist es auch schon wieder vergessen. Wer den Sprachwandel wirklich erleben will, braucht bloß ab und an auszugehen.

Je nach Milieu und Bildungsstand des U-25-Publikums taucht man dann in eine linguistisch völlig andere Welt ein, man denke nur an das heute übliche Superlativpräfix "Ends-" oder die nice Anglisierung von Alltagswörtern. Doch nicht nur Jugendliche machen da mit. Auch Ältere beteiligen sich am sprachlichen Fortschritt, was zum Beispiel in der Gastronomie immer wieder zu beobachten ist. So wurde man neulich in einer Kneipe, deren Personal heillos überfordert war, Zeuge eines Bedeutungswandels (semantic shift).

Kein Schwein wollte eine Bestellung aufnehmen, zur Erklärung hieß es seitens der Bedienung nur, tschuldigung, es sei eben gerade "Primetime". Hmm, Hauptsendezeit? Wo doch so gar nichts rausgesandt wird? Oder soll man es mit "günstigster Zeitpunkt" übersetzen, wo es für die Bedienung doch im Moment ungünstig ist zu bedienen? Oder mussten die Kellner dringend was am Fernseher anschauen? Egal, es ist auf jeden Fall gut, sich so etwas zu merken, immer wenn gerade nichts hinhaut, ist eben dann Primetime. Klingt allemal besser als Chaos.

Kein Fall von Bedeutungswandel, sondern ein kürzlich ganz neu gehörter gastronomischer Terminus war der "Bonierstopp" - zufälligerweise gegen 20 Uhr, also zur Primetime. Sie könne jetzt keine Bestellung aufnehmen, weil Bonierstopp sei, sagte die Bedienung eines Wirtshauses im Westend. Ein hübsches Wort, das in drei Silben den Satz "lasst mich in Ruhe, die an der Bar und in der Küche sind unfähig und ich schmeiß jetzt dann gleich alles hin", ausdrückt. Das nennt man übrigens Sprachökonomie. Was man daraus lernt: Wer nichts auf die Reihe bringt, sollte an der Gästefront immerhin noch eine Endsausrede parat haben.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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