Universitäten:Zurück an die Kopierer

Weil es Streit gibt über die Abrechnung, können Studenten künftig nicht mehr digital auf Texte zugreifen

Von Toni wölfl

Studenten in Bayern droht eine Rückkehr in die analoge Universität 1.0, ohne die Vorzüge des digitalen Zeitalters. Wer einen Text fürs Studium braucht, geht in Zukunft wohl wieder zum Kopieren in die Bibliothek, anstatt ihn sich einfach per Mausklick am Computer zu besorgen. Weil die bayerischen Universitäten einen neuen Vertrag mit den Treuhändern wissenschaftlicher Verlage und Autoren ablehnen, heißt es für Studenten vom 1. Januar 2017 an wohl wieder Bücher wälzen statt online lesen. Aber der Reihe nach.

Zum Studieren gehört Lesen. Anders als früher stehen Texte nicht mehr nur in Bibliotheken, Buchläden und Büchereien bereit, sondern werden den Studenten von den Hochschulen auch digital zur Verfügung gestellt. Viele Dozenten laden die Texte in Online-Portale hoch, wie es Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes zu Forschungszwecken erlaubt. Die Studierenden haben dann freien Zugriff darauf. Nun soll sich die Art der Abrechnung ändern. Bislang zahlten die Hochschulen eine Pauschale für all die urheberrechtlich geschützten Texte im Intranet - und zwar an die Verwertungsgesellschaft Wort, quasi die Gema für Autoren. Diese VG Wort gibt die gesammelten Tantiemen an die Urheber weiter. Jetzt aber soll mit den Unis nicht mehr pauschal, sondern pro Textausschnitt abgerechnet werden. 0,8 Cent pro Seite, Student und Semester. Das haben die VG Wort und die Kultusministerkonferenz der Länder im September vereinbart. Seitdem regt sich Widerstand an vielen Universitäten und Fachhochschulen, die eine verwalterische Mehrbelastung fürchten. Denn dann müsste jeder einzelne Textabschnitt eigens gemeldet und extra abgerechnet werden.

Katholische Universität in Eichstätt, 2016

Bücher gibt es genug in der Teilbibliothek "Ulmer Hof" der katholischen Uni Eichstätt. Sie müssen bald wieder analog gelesen werden.

(Foto: Johannes Simon)

"Das ist ein unglaublicher Aufwand, den unsere Lehrenden nicht leisten können", kritisiert die Vorsitzende der bayerischen Universitätenkonferenz, Sabine Doering-Manteuffel. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die VG Wort die Einzelfallabrechnung wolle. Die bayerischen Universitäten würden den Rahmenvertrag mit der VG Wort daher nicht unterschreiben, teilte die Konferenz mit. Auch die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften schließen sich dem Boykott an, sagt die Vorsitzende des Vereins "Hochschule Bayern", Uta M. Feser. Damit ist der Freistaat in guter Gesellschaft: Neben Bayern und Baden-Württemberg lehnen sieben weitere Bundesländer die neue Vereinbarung ab.

Die Zeit drängt, die Klausurenzeit rückt näher. Viele Studenten erhalten derzeit Uni-Mails mit der Bitte, die noch verfügbaren Texte zu sichern. Bis 31. Dezember dürfen die Materialien noch online stehen, am 1. Januar ist Schluss damit, dann gilt der neue Vertrag. Wer ihn nicht unterschreibt, darf keine urheberrechtlich geschützten Texte mehr elektronisch bereitstellen. Nach Weihnachten werden viele Dozenten daher mit dem Löschen der Texte beginnen. Auch das ein großer Aufwand, der den Hochschulen im Freistaat aber als kleineres Übel erscheint.

Unibibliotheken

Die Bibliotheken der elf Universitäten im Freistaat werden stark genutzt - besonders ihr digitales Angebot. Sieben Millionen Ausleihen zählen sie jährlich, dazu kommen 23 Millionen Zugriffe auf elektronische Volltexte wie E-Books. Auf einer Gesamtfläche von mehr als 250 000 Quadratmetern stehen mehr als 31 Millionen Medien bereit. Ihr Spektrum reicht von Handschriften des Mittelalters über aktuelle Handbücher bis hin zu digitalen Zeitschriften. Der Kundenstamm hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, wie auch die Gesamtzahl der Studierenden. Waren es im Jahr 2004 noch gut acht Millionen Bibliotheksbesuche, hat sich deren Anzahl mittlerweile mehr als verdoppelt. Viele Präsenzbibliotheken sind gerade in der Prüfungszeit beliebte Lernorte - oft gibt es zu wenig Sitzplätze. anwo

Als größeres Übel gelten die Folgen des neuen Rahmenvertrags. Welche das sind, kam bei einem Pilotprojekt in Osnabrück zutage. Dozenten scheuen den zusätzlichen Aufwand und überlassen den Studenten einfach selbst die Literaturbeschaffung, so das Ergebnis. Für letztere bedeutet das mehr Arbeit. Haben sich die Lehrenden hingegen entschieden, jeden der Texte pflichtbewusst an die VG Wort zu melden, gingen allein dafür 65 Arbeitsstunden drauf, pro Text dauerte es durchschnittlich knapp vier Minuten. Und eigentlich bräuchte man noch eine Teilzeit-Stelle für den Support, heißt es im Fazit des Testlaufs. Das alles müsste die Uni bezahlen. "Dieser Meldeprozess kostet drei bis vier Mal mehr, als wir an die VG Wort entrichten", sagt die Sprecherin der Universität Passau, Katrina Jordan. "Wir wollen nicht in den Verdacht geraten, wir würden die Urheberrechte nicht achten. Es ist der Aufwand, über den wir reden wollen." Doch bislang sei kein Einlenken der VG Wort zu erkennen, sagt der Sprecher der Universitätenkonferenz, Dieter Heinrichsen.

Die VG Wort sieht das anders. "Wir sind offen für Gespräche mit der Hochschulrektorenkonferenz und den Universitäten, um auf der Grundlage des Rahmenvertrages zügig zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen", sagt geschäftsführender Vorstand Robert Staats. Seit dem Testlauf in Osnabrück sei der Meldevorgang stark vereinfacht worden, die Routine kommt noch dazu. Dozenten müssten nur drei Daten in die Meldemaske eingeben: ISBN-Nummer, Seitenzahl und Teilnehmerzahl der Studenten. Dauert nicht länger als zehn Minuten pro Lehrveranstaltung, meint die VG Wort. Schon seit Beginn der Digitalisierung an Hochschulen strebt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Einzelabrechnung an. 2013 befürwortete der Bundesgerichtshof dieses neue Modell. Die Einnahmen würden so gerechter an Autoren verteilt - übrigens auch an jene Dozenten, die selbst veröffentlichen.

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