Kurzkritik:Immer wieder Andere

Lesezeit: 1 min

Moritz Ostruschnjaks "Text Neck" im Schwere Reiter

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Das Schwere Reiter erstrahlt als weiße Fläche - und damit als perfekter Projektionsort, nicht nur für wechselnde Farbspiele, sondern auch für assoziative Transformationen aller Art. Schlichter könnte die Anordnung auf dem Tanzboden nicht sein. Links hinten stehen die Musiker von 48nord an der Gitarre, dem Schlagzeug und dem Bass, drei gestandene Männer mit Vergangenheit, die sich vom Jazzrock ins abstrakte Tongetröpfel und von da ins Elektronische und Sphärische schrauben. Ulrich Müller, der Gitarrist, lässt auch mal den Arm hochwehen in eleganter Girlande und bringt so die Töne seines Theremins in Schwingung. Dennoch sind die Musiker das eher statische Element in Moritz Ostruschnjaks getanzter Reflexion von (menschlicher) Identität im digitalen Zeitalter unter dem Titel "Text Neck". Das ist der medizinische Fachausdruck für die Haltungsdeformation von Leuten, die permanent auf einen Bildschirm starren: Kopf vor wie die Schildkröten, Genick steif. Aua.

In konzentrierter Bewegung sind die beiden Tänzer Alexis Jestin und Isaac Spencer sowie die Tänzerin Anna Fontanet, schwarz gekleidet allesamt, die in ihrer selbstverständlichen Geschmeidigkeit die eindrucksvolle Liste ihrer beruflichen Biografien aufs Schönste bestätigen. An ihrer unteren Gesichtshälfte tragen sie wechselnde Papiermasken mit schiefen oder grinsenden Mündern oder einer Wildkatzenschnauze. Das irritiert, weil sie mit den immer neuen Gesichtern und der mählich in ihren Bewegungen sich verändernden Physis unmerklich zu anderen werden.

Zunächst einmal schlängeln sie sich betont expressiv hinauf und hinunter, als seien sie atmende Scherenschnitte eleganter Reptilien, auf und ab wogend, zweidimensional. Aus einem Dreieck zieht es sie zusammen zu einer ineinander verschlungenen Laokoon-Skulptur, sehr menschlich in ihrem Pathos. Und dann sind sie auch mal kantige, automatisierte Roboter, bevor sie zum Schlussspurt im Kreis ansetzen. Dazu starke Beats als Ende einer starken Stunde.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: