Pilotprojekt:Fahrradfahrer sollen mehr Vorteile bekommen

Münchner Ringparade für Fahrradfahrer, 2016

So frei wie bei der Ringparade auf dem Mittleren Ring ist die Fahrt für Fahrradfahrer in München selten. Ein Pilotprojekt könnte das ändern.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Für Radler könnte es künftig generelle Vorfahrt auf Fahrradstraßen, eine Grüne Welle in der Maxvorstadt und Grün-Pfeile nur für Fahrradfahrer geben.
  • Doch dafür braucht es eine Sondererlaubnis des Innenministers.

Von Dominik Hutter

Radler sollen künftig deutlich schneller und sicherer durch die Großstadt kommen. Dafür will Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle auch auf unkonventionelle Regelungen zurückgreifen, die derzeit in der Straßenverkehrsordnung gar nicht vorgesehen sind: generelle Vorfahrt auf Fahrradstraßen sowie den Grünen Pfeil ausschließlich für Radler. Stimmt der Kreisverwaltungsausschuss des Stadtrats am Dienstag Böhles Plänen zu, soll zudem in der Schellingstraße erstmals eine Grüne Welle für Radfahrer getestet werden. Dieser Versuch ist als einziger der geplanten auch schon nach der aktuellen Rechtslage zulässig.

Angst vor juristischen Konsequenzen muss Böhle nicht haben: Die Straßenverkehrsordnung sieht in Einzelfällen Ausnahmen - etwa für Pilotversuche - vor, die allerdings vom bayerischen Innenministerium genehmigt werden müssen. Auf diesen Passus will sich Böhle berufen und nach einem positiven Stadtratsvotum bei Minister Joachim Herrmann am Odeonsplatz vorstellig werden. "Es gibt Anhaltspunkte, dass das Ministerium mitmacht", sagt Böhle. Herrmann habe im Februar bei einem Fachtreffen ausdrücklich seine Unterstützung für Modellprojekte zur Förderung des Radverkehrs signalisiert.

Nächster Schritt wäre dann, die Straßenverkehrsordnung zu ändern; darauf will das Kreisverwaltungsreferat (KVR) über den Städtetag hinarbeiten - einen positiven Ausgang der Versuche vorausgesetzt. Andernfalls müsste die Stadt am Ende der Testphase ihre Schilder wieder abschrauben. Böhle will dieses Risiko eingehen: "Irgendeiner muss die Initiative ergreifen."

Das Besondere an einer Fahrradstraße ist, dass die ganze Fahrbahn zum Radweg wird. Andere Fahrzeuge dürfen dort nur unterwegs sein, wenn Schilder dies ausdrücklich erlauben.

Die bislang 58 Münchner Fahrradstraßen liegen allesamt in Tempo-30-Zonen, und dort gilt prinzipiell rechts vor links. Für Radfahrer wirkt das wie eine Bremse, und weil viele die Regelung missachten, kommt es immer wieder zu Unfällen. Eine Vorfahrtsstraße für Radler gilt daher im KVR als vergleichsweise übersichtliche Lösung. Theoretisch wäre es zwar denkbar, die Fahrradstraßen offiziell aus den Dreißiger-Zonen herauszunehmen.

Dies hätte aber einen Schilderwald an allen Kreuzungen zur Folge und könnte die Tempo-30-Bereiche so zerreißen, dass der vorgeschriebene Zonencharakter verloren ginge. Bleibt also nur die juristische Extrawurst - denn Böhle will unbedingt erreichen, dass Fahrradstraßen attraktiver werden. Die Initiative dafür kam fraktionsübergreifend aus dem Stadtrat.

Stimmt auch Innenminister Herrmann der Idee zu, stellt die Stadt zunächst auf der 4,5 Kilometer langen Route von Nymphenburg über den Olympiapark zum U-Bahnhof Petuelring Vorfahrtsschilder für Räder auf. In der Clemensstraße werden zusätzlich die Kreuzungen umgebaut. Und im Neubaugebiet Freiham soll erstmals in München ein ganz neuer Fahrradstraßen-Typus zum Einsatz kommen: für Autos komplett gesperrt. Die sonst üblichen Zusatzschilder "Autos frei" werden dort einfach nicht montiert und Radfahrer haben an sämtlichen Kreuzungen Vorrang.

Was Fahrradstraßen bewirken

Nach Einschätzung des KVR hat sich das Prinzip Fahrradstraße sehr bewährt. Auf den Routen seien immer mehr Radler unterwegs, die so die gefährlichen Hauptstraßen meiden können. Eine Evaluierung der bestehenden Trassen habe zudem ergeben, dass die Unfallzahlen sinken, weil alle Verkehrsteilnehmer mehr aufeinander achten. Dafür ist allerdings der Anteil schwerer Unfälle gestiegen, vor allem an den Ein- und Ausfahrten der Fahrradstraße. "Die genaue Ursache dafür kennt man nicht", berichtet Böhle. Dennoch fühlen sich laut Befragungen 50 Prozent der Radfahrer in einer Fahrradstraße viel sicherer oder zumindest sicherer als auf anderen Routen. Und das, obwohl ein Großteil der Verkehrsteilnehmer die Schilder zuvor nicht einmal zur Kenntnis genommen hatte. Laut dem Evaluationsbericht wusste nur knapp die Hälfte aller Auto- und Radfahrer, dass sie sich in einer Fahrradstraße befinden - "wobei die Kenntnisse über deren Regelung gering waren".

Ebenfalls verbessern will Böhle die Gestaltung der Fahrradstraßen. So soll das derzeit noch eher bescheidene Hinweisschild auf die Größe einer Zone-30-Tafel anwachsen. Und wo möglich, könnte auch der für Radfahrer nervige Kleinsteinbelag durch glatten Asphalt ersetzt werden - wie kürzlich in der Preysing-/Ecke Wörthstraße bereits geschehen.

Als weitere Neuerung will Böhle den ursprünglich aus der DDR übernommenen Grünen Pfeil, der vorsichtiges Rechtsabbiegen auch bei Rot erlaubt, an 15 Kreuzungen testen, in der Kapuzinerstraße etwa, in der Lindwurmstraße und am Rotkreuzplatz. Dafür gibt es bereits ein von Fachleuten entworfenes Schild mit großem Radler-Emblem - damit Verwechslungen mit dem Auto-Grünpfeil ausgeschlossen sind.

Komplizierter, als es sich zunächst anhört, dürfte der Pilotversuch mit der Grünen Welle in der Schellingstraße werden. Denn damit es auch klappt mit dem Dauergrün, müssen alle mit möglichst ähnlichem Tempo unterwegs sein - das ist bei Radfahrern deutlich schwieriger als im Autoverkehr. Böhle will es trotzdem versuchen: zwischen Luisen- und Ludwigstraße, also in Fahrtrichtung Uni. Auf der Strecke rollt heute schon ein beschleunigter Bus, die Begeisterung der Münchner Verkehrsgesellschaft für den Velo-Test hält sich daher in Grenzen.

Um brauchbare Ergebnisse zu erzielen, will das Kreisverwaltungsreferat vier Szenarien ausprobieren: Grüne Welle für Radler und Grüne Welle für Autos, und das jeweils mit und ohne Vorrangschaltung für den Bus. Es gehe nicht um einen Laborversuch, sondern um realistische Erfahrungen, erklärt der Kreisverwaltungsreferent. Deshalb habe man sich für eine Straße samt Bus und kreuzender Tram entschieden.

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