Theater:Die singenden Abfallentsorger

Theater: Der erste Auftritt des Chores nach der Sintflut.

Der erste Auftritt des Chores nach der Sintflut.

(Foto: Peter Schinzler)

In der Laien-Oper "Die Stadt" spielen zwei Frauen und sieben Männer der Münchner Abfallwirtschaft den Gilgamesch-Epos nach.

Von Martina Scherf

Ton, Steine, Wasser, Müll. Das ist das Bühnenbild. Zwei Frauen und sieben Männer der Münchner Abfallwirtschaft. Das sind die Darsteller. Der 4000 Jahre alte Gilgamesch-Epos. Das ist die Geschichte. Die Münchner Theatermacher Nélida Béjar und Björn Potulski haben wieder eine Oper mit Laiendarstellern inszeniert, "Die Stadt" ist ihr fünftes gemeinsames Projekt. Und wieder geht es um die Ur-Fragen der Menschheit, um Freiheit, Verantwortung und die Doppelbödigkeit moderner Zivilisation. Nirgendwo sind diese Fragen so kondensiert wie in den Städten. Und nirgends manifestiert sich der Wahnsinn globalisierten Lebens so sinnbildlich wie im Müll einer Großstadt.

"Macht es mit Mut", Nélida Béjar steht in grauen Röhrenjeans und dicker Jacke vor dem Chor der Müllmänner und -frauen und dirigiert ihn mit sanftem Druck. "Ich hätte gerne einen richtig starken Ton." Es ist kalt in der Halle 2 der Münchner Abfallbetriebe, wo hochwertiger Sperrmüll, vom neuen Flachbildfernseher bis zum Pelzmantel, zum Wiederverkauf angeboten wird. Sie haben die Halle für die Proben zur Verfügung gestellt bekommen. Seit einem Jahr treffen sie sich hier jedes Wochenende. Anfangs nur Freitagabends, seit Herbst auch jeden Samstag und Sonntag.

Das Bühnenbild haben sie aus getrockneten Lehmziegeln gebaut. Fünf Tonnen Lehm und jede Menge Sperrmüll, ein paar Eimer Wasser und Plastikfolie, auf diesem Boden nimmt das Schicksal seinen Lauf. "Der Gilgamesch-Text hat mich seit jeher tief berührt", sagt Nélida Béjar. Dieser uralte Text aus Mesopotamien, der um die Frage kreist, wohin menschliche Hybris führt.

Gilgamesch, der König der Stadt Uruk, folgt nicht mehr dem Willen der Götter, er will die Unsterblichkeit und opfert dafür seinen besten Freund.

"Für mich ist es auch ein Epos über die Todesfurcht", sagt die Komponistin. Dünn, blass, mit ernsten Augen steht sie jetzt am Synthesizer und spielt noch einmal die Tonfolgen für den Chor. Die Anstrengung der vergangenen Monate ist ihr anzusehen. Ihre kleine Tochter Alba schaut zum Papa hinüber, Björn Potulski, der jetzt im Regiestuhl sitzt und kritisch jede Geste seiner Darsteller beobachtet.

Theater: Nelida Bejar und Björn Potulski bei den Proben in der Halle 2 des Abfallwirtschaftsbetriebs.

Nelida Bejar und Björn Potulski bei den Proben in der Halle 2 des Abfallwirtschaftsbetriebs.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit acht Jahren arbeiten Béjar, 37, und Potulski, 40, zusammen. Die gebürtige Spanierin ist freie Komponistin, Potulski hat Theaterwissenschaften und Politik studiert und arbeitet im Brotberuf in der Verwaltung des Münchner Flughafens. Das Theater ist seine Leidenschaft, seit Schülertagen schreibt und inszeniert er Stücke.

Auf der Suche nach dem Sinn im Leben

Häufig geht es darin um den Verlust von Transzendenz. "Ich habe mich im Alter von 14 Jahren taufen lassen, das war damals ziemlich uncool", sagt Potulski. Er steht dazu, "mit allen Zweifeln". Konsum und Technik könnten nicht alles sein im Leben, die Menschen seien doch ganz offensichtlich auf der Suche nach Sinn.

Als er für "Exodus", eine Oper über Migration, angelehnt ans Alte Testament, jemanden suchte, der ihm die Musik schrieb, "da wurde mir Nélida empfohlen". Er bemerkte zuerst nur, wie sehr ihre professionelle Arbeit sein Theater musikalisch voran brachte. Erst nach zwei Jahren intensiver Zusammenarbeit kam dann die Liebe ins Spiel. Mittlerweile sind die beiden verheiratet - und die kleine Alba ist inzwischen auch dabei.

"Wir behandeln sie genauso wie Profis, hier wird niemand geschont"

Das Arbeiten mit Laiendarstellern sind sie gewohnt, es gehört zu ihrem Programm. Für "Exodus", das Stück tourte durch Europa, haben sie Flüchtlinge gecastet, "deren Kriegserfahrungen hat das Publikum unmittelbar gespürt", und einen Soldaten der maltesischen Marine, der an vorderster Front Menschen aus dem Meer rettet. Für "Zum Ewigen Frieden", 2010 im Gasteig uraufgeführt, haben sie alte und junge Menschen aus Polen, Italien und Deutschland zusammen auf die Bühne gebracht, die sich über Krieg und Frieden austauschten. Dann folgte 2012 ein Musiktheater am Münchner Flughafen, mit Packern als Chor, und zuletzt "This New Ocean", eine Globalisierungsoper, aufgeführt im Münchner Cuvilliés-Theater und in Soweto. Mit Piloten und Flugbegleitern aus aller Welt als Darstellern, die extra für die Proben jeden Freitag eingeflogen waren.

Und jetzt also der Chor der Münchner Müllentsorger. Zwei Frauen und sieben Männer sind aus der Gruppe derer, die anfangs dem Aufruf gefolgt waren, übrig geblieben. Sie haben durchgehalten, "und es hat sich gelohnt", sagen sie stolz fast wie aus einem Mund. Zwei singen in einem Chor, zwei machen privat Musik, aber keiner hat Bühnenerfahrung. Da sind Ali Riza Karadeniz, der werktags seine Tour im Müllauto rund um den Rotkreuzplatz fährt, und sein Kollege Kenan Yol. Yol ist Kurde, er spielt zu Hause die Sas, zusammen mit seinem türkischen Freund, dem Schlagzeuger und Fuhrunternehmer Hakki Sengül. Die anderen arbeiten in der Verwaltung des Abfallwirtschaftsamtes.

"Wir behandeln sie genauso wie Profis, hier wird niemand geschont", sagt Potulski. Er hüpft jetzt mit dünnen Beinen wie ein Faun über die Bühne, macht die Gesten vor, hebt hier ein Kinn, schiebt dort zwei Körper enger zusammen. Und die Darsteller geben ihr Bestes. Sie singen auf Englisch - nach der Erst-Übersetzung des Epos -, sie schreiten oder torkeln, sie agieren einzeln und als Gruppe und rollen ausgestreckt über den holprigen Steinboden, auch wenn es blaue Flecken kostet.

Die Sintflut ist das zentrale Motiv dieser Oper. Müllfahrer Ali Karadeniz spielt den weisen Urahn von Gilgamesch, den Weltenretter Uta-napisti, der als Einziger die Sintflut überlebt hat. Er hat aus der Katastrophe Kraft und Weitblick geschöpft. "Ich bin der Einzige, der nicht singt", sagt Karadeniz und grinst. Ein Mann wie ein Bär. "Wir haben die Rolle an ihn angepasst", sagt Béjar, "er hat eine starke Bühnenpräsenz."

Der Tod auf der Bühne - und in der Realität

Vergänglichkeit und Tod, darum dreht sich diese Inszenierung. "Wir haben an Kriegserfahrungen der Münchner gedacht, ans Leben und Sterben in der Stadt", erzählt Potulski. Und dann hat sie der Tod ganz unmittelbar eingeholt. Mitten in den Proben verloren sie ihr ungeborenes Kind, das im Mutterleib die Proben von Anfang an mitbekommen hatte. Die Oper ist jetzt Lucia gewidmet.

"Ich dachte zuerst, ich könnte danach nicht mehr weitermachen", sagt Nélida Béjar und nimmt die kleine Alba auf den Arm. Sie haben es dann aber durchgezogen. "Einige Szenen sind unter dem Eindruck dieser Todeserfahrung entstanden, das machte die Arbeit für uns unheimlich intensiv", sagt Béjar. Potulski wirkt höchst fokussiert auf den jeweils nächsten Schritt seiner Regieanweisungen. "Ich funktioniere", sagt er, "aber die Erschütterung ist geblieben. Und manchmal kämpfe ich mit den Tränen." Aber wenn man im Theater ist, fügt er hinzu, "dann ist man eben ganz präsent im Hier und Jetzt, mit allen Gefühlen".

Diese Erfahrung, mitten in der Arbeit an der Oper, hat die kleine Familie noch enger zusammengeschweißt. Aber auch die Gruppe. "Kurz nachdem Nélida ihr Baby verlor, hab' ich meine Zwillinge bekommen", sagt Ali Karadeniz, der große, starke Mann, "da habe ich sehr viel an sie gedacht."

"Die Stadt" wird von Mittwoch, 14., bis Sonntag, 18. Dezember, jeweils 20 Uhr, im Schwere-Reiter aufgeführt; Dachauer Straße 114

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