Sömmerda:Menschen werden gejagt, niemand schreit auf

Übergriffe wie der in Sömmerda sind zu häufig geworden, als dass die Gesellschaft empathisch reagieren könnte. Diese Stille ist beunruhigend.

Kommentar von Cornelius Pollmer, Dresden

Mitten in der Nacht werden in einer thüringischen Kleinstadt drei Asylbewerber gehetzt, Grölparolen sind zu hören, die drei Männer erleiden Verletzungen. Hätte sich all dies vor einem Jahr ereignet, unter Garantie wäre der mediale und politische Apparat angesprungen - appellierende Politiker, verurteilende Zeitungskommentare, Empörungs-Haiku bei Twitter.

All dies aber hat sich am vergangenen Wochenende ereignet, in Sömmerda, und passiert ist im Wesentlichen: nichts. Twitter schweigt, die Ortsmarke Sömmerda wird am Dienstag in der Pressekonferenz der Thüringer Landesregierung nicht einmal gestreift, es fragt auch kein Journalist danach.

So wenig hilfreich kurzfristiges und schlaglichtartiges Interesse bei Vorfällen wie in Sömmerda in der Vergangenheit oft war, so fatal ist die kollektive Gewöhnung, die aus dem Schweigen jetzt abzulesen ist. Dieses Schweigen lässt sich erklären: Zu oft gibt es Über- und Angriffe, als die Gesellschaft auf jeden einzelnen zumindest empathisch reagieren könnte. Zu häufig sind es noch schlimmere Vorfälle als jene in Sömmerda, womöglich spart mancher jetzt an Worten, weil er fürchtet, seine Empörung ein andermal zu brauchen.

Aber nur weil sich Gewöhnung und Schweigen erklären lassen, sind die realen Ereignisse nicht weniger dramatisch. Menschen werden verfolgt und gejagt - und niemand schreit auf. Diese dramatische Stille ist beunruhigend.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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