Teleshopping:Satz um Satz Umsatz

Die Amerikanerin Judith Williams ist die Königin der Fernsehverkäuferinnen. Produkte, die sie im Homeshopping-TV anpreist, verkaufen sich in Sekunden - vor allem ihre eigenen.

Von Anna Dreher

Judith Williams ist erst vor zehn Minuten angekommen, viel Zeit hat sie nicht mehr. Sie zieht sich um, schaut kurz in den Spiegel, wartet. Im Aufnahmestudio 2 des Teleshopping-Senders HSE24 in Ismaning sind die roten Lämpchen der Kameras längst an, die künstliche Wohlfühlwelt ist perfekt ausgeleuchtet von Dutzenden Scheinwerfern. Während Williams sich vorbereitet, lächelt die blonde Moderatorin im Studio längst mit strahlend weißen Zähnen in die Wohnzimmer Tausender Menschen. Aber eingeschaltet haben sie nicht wegen ihr, das weiß auch sie.

"Moment, ich frage mal nach", beantwortet die Moderatorin die nie gestellte Frage und zwinkert in die Kamera. "Juuuudith, bist du schon da?" Judith Williams kommt hinter den Kulissen vor, geht auf einem weißen Steg in Richtung Kamera. Das Kleid sitzt, das Lächeln auch. Williams weiß genau, was sie jetzt sagen muss und wie sie es sagen muss: die perfekte Begrüßung, unaufdringlich, freundlich, wirksam. Dann erst eigentlich beginnt "Judith Williams' Luxusgeschenke". Eine Stunde steht die 45-Jährige dafür als Expertin vor der Kamera. Ohne Pause oder Skript, bis zu sieben Mal am Tag. Das Konzept ist einfach: Moderator, Experte, Produkt. Mehr Komponenten braucht Teleshopping nicht, um Tag für Tag von acht bis 24 Uhr Tausende Menschen zu faszinieren. Es befriedigt Bedürfnisse, von denen manche Zuschauer vor dem Einschalten noch gar nichts ahnten.

Williams ist die Königin dieser Branche. Keiner in Europa verkauft besser vor der Kamera als sie, keinem schauen die Kunden lieber zu. Außer im deutschsprachigen Raum steht sie auch in Großbritannien vor der Kamera, ihre Produkte werden in Italien, Frankreich, Russland und Australien im Fernsehen angepriesen - und sind oft nach wenigen Minuten ausverkauft, online manchmal sogar noch bevor sie ihre Zuschauer überhaupt begrüßt hat. Während ihrer Sendung zwei Wochen vor Weihnachten gibt es Phasen, in denen fünf Leute pro Sekunde bei HSE24 anrufen. Weil sie Williams vertrauen wie einer Freundin, die weiß, was gut für sie ist. "Ich weiß nicht, woran das liegt. Wahrscheinlich sind es die Ernsthaftigkeit, das Engagement, die Intensität", sagt Williams. "Seit dem Tumor sehe ich das Leben aus einer anderen Perspektive. Ich will jeder Sekunde mehr Bedeutung, mehr Fülle geben. Und dafür bin ich dankbar."

Judith Williams '²bergibt 50000 Euro Scheck an SOS Kinderdorf

Das Lächeln sitzt: Judith Williams vor dem Logo ihrer Marke, die so heißt wie sie.

(Foto: babiradpicture/Chr.Stiefler)

Es war nie das Ziel von Williams, als Moderatorin und Unternehmerin zum Gesicht von HSE24 zu werden. Sie hat sich ein kleines Imperium aufgebaut, ohne vorher gelernt zu haben, wie das geht. Eigentlich wollte die Tochter US-amerikanischer Einwanderer auf viel größeren Bühnen stehen, als Opernsängerin. Als Kind sang sie gemeinsam mit ihrem Vater, dem Opernsänger Daniel Lewis Williams, später studierte sie klassischen Gesang bei Kurt Moll und Brigitte Fassbaender und Ballett an der Londoner Royal Academy of Music. Sie war Papagena in der "Zauberflöte" und Maria in der "West Side Story". Sie war erfolgreich. Bis bei ihr im Alter von 24 Jahren ein Tumor an der Gebärmutter diagnostiziert wurde. Bei der Hormonbehandlung wurde sie vor die Frage gestellt: entweder keine Kinder mehr bekommen können oder ihre Stimme verlieren. Sie entschied sich für Letzteres.

2015 hat ihr Sender 626 Millionen Euro eingenommen. Davon angeblich 150 Millionen Euro nur durch Williams

Dass heute trotzdem sehr viele Menschen wissen, wer Judith Williams ist, liegt an einem Zufall. Auf der Suche nach einem neuen Job landete sie in einem Fitnessstudio und verkaufte dort an der Theke Proteinshakes - mehr als jede Kollegin. "Nicht mehr singen zu können, nicht mehr auf der Bühne zu stehen, das hat mich gedemütigt. Aber Demütigung kann heilsam sein", sagt Williams. "Ich war damals so sehr in dieser anderen künstlerischen Welt, ich weiß nicht, wo das geendet hätte." Damals, sagt sie, hat sie angefangen, nach einem Leitsatz zu leben: Bloom where you are planted. Ewig im Fitnessstudio wollte aber auch sie nicht blühen. Nach dem Tipp einer Bekannten bewarb sie sich 1999 beim englischen Verkaufssender QVC. 2000 wechselte sie zu HSE24. "Ich bin schon komisch angeschaut worden, es war nicht das Schickste, von der Opernbühne ins Teleshopping zu gehen", sagt Williams. "Aber das ist ja nichts Anrüchiges, das machen Millionen Menschen: verkaufen."

Ihre letzte Sendung an diesem Tag wird um Mitternacht enden, aber auch dann wird Williams Produkte mit einer Frische beschreiben, als sei es ihre erste, und Ratschläge geben wie bei dem Lippenpflegestift, den sie am Mittag in der Hand hält. "Nehmen Sie beim Einmassieren den Ringfinger, damit übt man nicht ganz so viel Kraft aus", sagt sie und macht kreisende Bewegungen vor. "Manchmal ist man ja so brutal zu sich. Seien Sie liebevoll, seien Sie sanft, genießen Sie." Wegen solcher Sätze wird Teleshopping oft belächelt und parodiert - auch Williams selbst. Sie nimmt es mit Humor, weil sie sich selbst nicht zu ernst nimmt und wohl auch weil sie weiß, was diese künstliche, oft schrille Teleshopping-Welt neben der immer guten Laune auch ist: umsatzstark. Vergangenes Jahr hat der Sender 626 Millionen Euro eingenommen. Davon angeblich allein 150 Millionen durch Williams, offiziell kommentiert wird diese Zahl nicht.

Judith Williams:

"Ich lache halt auch mal gerne laut. Eine Zeit lang habe ich versucht, mich zu verstellen, aber was für ein Quatsch! Da würde ich ja verrückt werden."

Als Williams zum ersten Mal auf Sendung ging, bewarb sie einen Knoblauch-Zerkleinerer. Sie bereitete sich akribisch vor. Die Sendung endete mit einem Verkaufsrekord. Wenn Williams moderierte, stiegen die Zahlen - das war in mehr als 5000 Sendungen die Regel. Irgendwann aber wollte sie nicht mehr nur Stichwortgeberin sein und die Produkte anderer anpreisen. 2007 gründete Williams ihre eigene Markenwelt aus Schmuck, Mode und Kosmetik. "Ich habe gespürt, dass da noch mehr ist, das war ein Bauchgefühl. Ich wollte nicht mit sechzig auf einer Parkbank sitzen und denken: hätte ich nur", sagt sie. "Ich habe alles, was ich besaß, in die Firma gesteckt und bin ein großes Risiko eingegangen. Du kannst ja auch auf Sendung gehen und nichts verkaufen."

Sie weiß über jede Creme und Hose, jedes Parfum und Amulett genau Bescheid. Sie schläft nicht sonderlich viel, manchmal nur zwei Stunden. Williams hat ein Schönheitsinstitut in München gegründet, tritt als Jurorin in der Sendung "Die Höhle der Löwen" auf, in der Start-ups Investoren für ihre Projekte gewinnen können, ist Botschafterin von SOS Kinderdorf - und hat eine Familie. Seit 2011 ist sie mit Alexander-Klaus Stecher verheiratet, der vor allem aus Rosamunde-Pilcher-Filmen bekannt ist. In Talkshows muss er manchmal als lebende Langzeitstudie zeigen, dass die Cremes von Judith Williams halten, was sie verspricht. Zu stören scheint ihn das nicht. Er weiß, dass seine Frau ein Unikat ist. Sie weiß es auch. "Ich bin immer noch Künstlerin und lache halt auch mal gerne laut", sagt Williams. "Eine Zeit lang habe ich versucht, mich zu verstellen, aber was für ein Quatsch! Da würde ich ja verrückt werden." Auch ohne Kamera ist Judith Williams voller Energie, aber weniger aufgedreht. Sie wirkt wie eine Frau, die viel über das Leben nachgedacht hat, die einfach eine gute Zeit haben will. Und gerne Dinge verkauft.

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