Asylpolitik:Dramen bei der Abschiebung

Demo gegen geplante Abschiebung am Frankfurter Flughafen

Die "deutsch-afghanische Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Bereich der Migration" ermöglichte die Abschiebung.

(Foto: Susann Prautsch/dpa)
  • 30 abgelehnte Asylbewerber sind bei der "ersten bundesweiten Sammelabschiebung" aus Deutschland nach Afghanistan geflogen worden.
  • Unter ihnen waren acht Flüchtlinge aus Bayern.
  • Die Abschiebung eines Flüchtlings aus München wurde vom Bundesverfassungsgericht verhindert.

Von Dietrich Mittler

Am frühen Donnerstagmorgen kurz vor fünf Uhr ist Rahmat Khan auf dem Flughafen von Kabul gelandet. Er hätte gerne darauf verzichtet, Zeitzeuge eines historischen Ereignisses zu werden. Khan und weitere etwa 30 abgelehnte Asylbewerber waren am Mittwochabend im Rahmen der "ersten bundesweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan" abgeflogen, wie das Innenministerium bekannt gab.

In Kabul ließ Khan seinen Arbeitskollegen im niederbayerischen Markt Essenbach ein erstes Lebenszeichen zukommen. "Er sagte, er fürchte hier um sein Leben und werde sich baldmöglichst nach Pakistan absetzen", sagte Waltraud Retzer, die als Sekretärin in der Essenbacher Firma Monzel arbeitet. Khan hatte sich dort als fleißiger und zuverlässiger Mitarbeiter einen Namen gemacht. Seine unerwartete Abschiebung habe alle Kollegen schockiert, sagte Retzer.

Nach Angaben des bayerischen Flüchtlingsrats haben sich im Laufe der Abschiebung am Mittwoch regelrechte Dramen abgespielt. Einer der betroffenen Afghanen fiel, als er der Abschiebung entkommen wollte, in Dingolfing von einem Balkon im ersten Stock. Wie die Polizeiinspektion Straubing bestätigte, musste er nach diesem Sturz - der Balkon befindet sich in gut vier Metern Höhe - im Krankenhaus versorgt werden.

"Wegen des Verdachts auf innere Verletzungen", wie Stephan Dünnwald, einer der Sprecher des Flüchtlingsrats, sagte. In Panik habe der Afghane die Klinik verlassen. Flüchtlingshelfer konnten ihn ausfindig machen. "Er irrte durch die Gegend und war nur noch halbwegs ansprechbar. Ich hoffe aber, dass ihm nichts Ernstes passiert ist", sagte Dünnwald.

Bei der Abschiebung wurde offenbar auch in Kauf genommen, dass sich unter den Betroffenen psychisch Kranke befanden. So etwa Saleh Mohammad Z., der nach Angaben des Flüchtlingsrats "schon seit Jahren psychisch angeschlagen und regelmäßig auf Medikamente angewiesen ist". Beim Versuch, der schon lange befürchteten Abschiebung durch eine Flucht nach Frankreich zu entgehen, sei er festgenommen worden.

In der Haft habe er einen Suizidversuch unternommen, wurde aber nach Angaben des Flüchtlingsrats "wohl gleich aus dem Krankenhaus nach Frankfurt zur Abschiebung gebracht". Dünnwald sagte: "Wir appellieren an Ministerpräsident Horst Seehofer, solchen Abschiebungsexzessen Einhalt zu gebieten."

An der bundesweiten Abschiebung nach Afghanistan hatten sich nach Auskunft des Innenministeriums auch die Bundesländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und das Saarland beteiligt. Ermöglicht habe sie eine Anfang Oktober erfolgte "deutsch-afghanische Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Bereich der Migration".

Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Afghanistan

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) widersprach der Kritik, die abgelehnten Asylbewerber würden zurück in einen kriegerischen Konflikt abgeschoben, in dem ihr Leben nicht sicher sei: "Bedrohungen durch radikale Kräfte sind nicht allein ein Problem Afghanistans, sondern auch in vielen Teilen der Welt leider allgegenwärtig", sagte Herrmann.

Darüber hinaus sorgten afghanische Sicherheitskräfte mit Unterstützung deutscher Bundeswehrsoldaten und Polizisten "für die Sicherheit der dort lebenden Menschen und für eine weitere Stabilisierung des Landes". Das rechtfertige auch eine Rückführung abgelehnter Asylbewerber "in gesicherte afghanische Provinzen".

Nach Angaben des Innenministeriums saßen im Flugzeug nach Kabul letztlich nur noch acht der ursprünglich elf vorgesehenen Flüchtlinge aus Bayern. Drei konnten folglich der Abschiebung in letzter Minute entgehen - darunter Saleh Mohammad Z. sowie auch Sabur Frotan, der die zurückliegenden Wochen in Mühldorf am Inn in Abschiebehaft verbracht hatte. Frotans Fall hatte für Aufsehen gesorgt, weil sich dessen Münchner Kollegen intensiv für seinen Verbleib eingesetzt hatten.

Vor dem Flug nach Kabul hat Sabur Frotan dann aber letztlich nur die Intervention seiner Münchner Anwältin Juliane Scheer beim Bundesverfassungsgericht bewahrt. Das Gericht setzte die Abschiebung aus. Nun soll über Scheers Verfassungsbeschwerde entschieden werden.

Ausdrücklich offen ließ das Gericht indes die Frage, "ob angesichts der aktuellen Lage in Afghanistan Abschiebungen derzeit verfassungsrechtlich vertretbar sind". Das Auswärtige Amt verlautbart unterdessen: "Vor Reisen nach Afghanistan wird dringend gewarnt." Wer dennoch reise, müsse "sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein".

Frotans Anwältin sagt, sie habe am vergangenen Freitag im Landtag eine Petition eingereicht. Doch die ist, wie Rahmat Khans Schicksal zeigt, kein Schutz. Dessen Kollegen hatten eine Petition veranlasst, über die noch nicht entschieden ist. Die Grüne Christine Kamm empfindet das als empörend: "Es wird das Petitionsrecht aller Bürgerinnen und Bürger missachtet." Das Innenministerium betonte, sich zu solchen Details noch nicht äußern zu können: "Derzeit werten wir die Abläufe aus."

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