Nepal:Weil sie eine Frau ist

Uttara Saud sits inside a Chaupadi shed in the hills of Legudsen village in Achham District in western Nepal

Sogenannte Menstruationshütten sind in Teilen Nepals noch immer verbreitet. In ihnen werden Mädchen und Frauen oft tagelang weggesperrt.

(Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Wenn die 15-jährige Roshani aus Nepal ihre Tage bekommt, muss sie in einen Schuppen umziehen. Denn Menstruationsblut gilt als unrein. Ihren letzten Aufenthalt hat sie nicht überlebt. Dabei ist der Brauch längst verboten.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Wenn sie bluten, müssen sie raus in die Hütte. Weg, sodass man sie nicht sehen kann. Dass sie ja nichts zerstören, ja kein Unheil über die Familie bringen. Die Rede ist hier nicht von Blut, das aus einer Platzwunde strömt; es geht um das Blut, das in manchen Teilen der Welt als schlimm und schmutzig gilt - und zugleich geht es um das normalste Blut der Welt: das Blut der Frau. Oder nicht so elegisch: das Menstruationsblut.

Wagt sich ein Mädchen oder eine Frau etwa in den ländlichen Gebieten im Westen Nepals, die Regelblutung zu bekommen, weist ihr ein uralter Brauch den Weg nach draußen, in einen meist winzigen Verschlag, in einen Kuhstall; die sogenannte Menstruationshütte, um lexikalisch ganz genau zu sein. Bis die Blutung vorüber ist - was ja auch mal sechs Tage dauern kann - werden die Frauen aus und von ihren Familien verbannt, sie gelten als unrein. Nun ist wieder ein nepalesisches Mädchen in einem solchen Verschlag ums Leben gekommen. Sie hieß Roshani Tiruwa, ihre Leiche wurde am Sonntag in einer Lehmhütte am Rande des Dorfes Gajra gefunden, etwa 440 Kilometer von der Hauptstadt Kathmandu entfernt. Wie die Polizei mitteilte, starb die 15-Jährige offenbar an einer Kohlenmonoxidvergiftung. In der Hütte war es kalt, sie hatte sich Feuer gemacht.

Erst im November dieses Jahres war ein Mädchen in dieser Region Nepals Opfer dieser uralten Tradition geworden, die vor allem von Hinduisten in ländlichen Gebieten im Westen Nepals und im südlichen Grenzgebiet zu Indien praktiziert wird. Die archaische Praktik heißt "Chhaupadi" und besagt, dass weibliche Wesen während der Regel nicht berührt werden und nicht bei ihren Männern im Bett schlafen dürfen. Ganz einfach, weil sie unrein sind, weil sie schmutzig sind - und dem Aberglauben nach Pech über die Familie bringen könnten, etwa Naturkatastrophen, Missernten oder die Isolierung aus der Dorfgemeinschaft. Daher auch die Menstruationshütte, ganz egal, ob Sommer oder Winter. Ganz egal, ob zwölf Jahre alt oder 38. Nicht nur die Kälte ist eine Bedrohung, es sind auch die giftigen Schlangen und die Männer, die nachts in die Verschläge eindringen und die Frauen vergewaltigen.

Chhaupadi - in seiner strengsten Form bedeutet das den Ausschluss der menstruierenden Frau aus dem Leben. Der Tradition nach dürfen sie nicht in die Schule gehen, nicht das Haus betreten, nicht kochen, keine Milch trinken, keine öffentlichen Brunnen benutzen, keine Tiere oder Pflanzen berühren und auch nicht an Festen oder religiösen Zeremonien teilnehmen. Wie streng diese Regeln jeweils eingehalten und praktiziert werden, ist je nach Dorfgemeinschaft und Familie unterschiedlich. Auf der Internetseite des Guardian gibt es etwa eine Bilderstrecke, in der junge Frauen erzählen, was die Eltern ihnen so alles verbieten: Eine erzählt, dass sie keine Lebensmittel berühren dürfe, weil diese angeblich verderben. Eine andere beschreibt, dass ihre Mutter ihr verboten habe, während ihrer ersten Periode in den Spiegel zu blicken, schlechtes Omen.

Seine Tage zu haben, das ist nicht nur in Nepal, sondern auch in Teilen Indiens und im afrikanischen Mali fast schon ein Fluch, ein Fluch der Frauen, ein Fluch der Fruchtbarkeit. Oder anders ausgedrückt: Es ist, als hätte man die Schweinegrippe.

Donald Trump unterstellte einer Reporterin, sie sei aggressiv - weil sie ihre Tage habe

Der Irrwitz an diesem großen Irrwitz ist aber: Chhaupadi wurde 2005 verboten, 2013 wurden viele der kleinen Kuhställe von Aktivisten zerstört, Menschenrechtlern zufolge wird der Brauch in ländlichen Regionen aber immer noch praktiziert. Felix Neuhaus hat sieben Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit in Nepal gearbeitet und ist Programmkoordinator der Hilfsorganisation Care Österreich, die sich in Nepal auch für die Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Gewalt gegen Frauen engagiert. "Es gibt in Nepal zahlreiche diskriminierende Praktiken gegen Frauen. Das beginnt bei den Witwen, die de facto ausgeschlossen sind von der Gesellschaft, und zieht sich über die Kinderheirat bis hin zu Brautgeldzahlungen, bei denen die Familie der Frau hohe Summen an die Familie des Mannes zahlen muss", sagt Neuhaus. Viele Frauen hätten mittlerweile aber ein Unrechtsbewusstsein entwickelt. "Die Gesellschaft ist im Wandel, es gibt auch Chhaupadi-freie Dörfer."

Nepal, Mali, Dörfer halt. Alles weit weg, könnte man meinen. Aber auch im Westen ist das normalste Blut der Welt ein Tabu - oder ein Makel. Man denke nur mal an die Bindenwerbungen, in denen Frauen herumtanzen, als hätten sie nicht Ibuprofen, sondern Ecstasy genommen. Oder man denke an Donald Trump, der einer Moderatorin unterstellte, sie sei aggressiv, weil sie ihre Tage habe. Nicht so gleichberechtigt, aber immerhin muss man nicht in den Kuhstall.

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