Urteil des Europäischen Gerichtshofs:EuGH beendet die maßlose Vorratsdatenspeicherung

  • Der Europäische Gerichtshof hat verfügt, dass die Vorratsdatenspeicherung in Europa künftig unter strengen Vorgaben erfolgen muss.
  • Bereits die Speicherung von Telekommunikationsdaten muss künftig begrenzt werden.
  • Der Zeitpunkt der Entscheidung ist heikel: Gerade in Zeiten des Terrors bedürfen die Prinzipien des Rechtsstaats der Verteidigung.

Analyse von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Zeitpunkt könnte nicht komplizierter sein. Zwei Tage nach dem Anschlag von Berlin, der wahrscheinlich wieder Diskussionen über Ermittlungsbefugnisse anheizen wird, verfügt der Europäische Gerichtshof weitreichende Einschränkungen der Regeln zur Vorratsdatenspeicherung. Das massenhafte Sammeln der Daten gänzlich Unverdächtiger, das vieltausendfache Speichern von Telekommunikations- und Standortdaten ohne jeden Anlass - es verstößt gegen europäische Grundrechte. Im konkreten Fall geht es um die Gesetze Schwedens und Großbritanniens, aber der gern als Paradeinstrument der Fahnder gepriesene Zugriff auf den Datenspeicher muss nach dem Urteil grundsätzlich überdacht und neu geregelt werden - europaweit und auch in Deutschland. Eine generelle, anlasslose Massenüberwachung des Telefon- und Mailverkehrs, wie sie in vielen Ländern Europas erlaubt ist, darf es nach diesem Urteil nicht mehr geben.

Mit diesem spektakulären Schritt vollzieht der in Datenschutzfragen sehr engagierte EuGH eine Abkehr vom Prinzip Heuhaufen: Bisher bedeutete Vorratsdatenspeicherung, einen riesigen Datenberg anzulegen, in dem man, wenn nötig, nach den verdächtigen Datenspuren suchen würde. Das war schon immer hoch umstritten, weil damit massenhaft äußerst sensible Informationen gänzlich Unverdächtiger erhoben wurden. Wer wann und wo mit wem telefoniert oder gemailt hat - aus diesen Daten lässt sich ein präziser kommunikativer Fingerabdruck erstellen, der tiefe Einblicke in die Persönlichkeit erlaubt.

Laut EuGH muss dagegen bereits die Speicherung eingegrenzt werden: Zulässig bleiben danach aber gezielte Datensammlungen, wenn sie auf das "absolut Notwendige" beschränkt sind - etwa bei Personen, die als "Gefährder" eingestuft sind, oder in besonders bedrohten Regionen. In diesen Formulierungen liegen durchaus weitreichende Möglichkeiten, Datenspeicher zur Kriminalitätsbekämpfung anzulegen.

Man weiß nicht, wie viel Nutzen die Sammelei den Ermittlern bringt

Ist es dennoch das falsche Signal in schwierigen Zeiten? Ein Urteil, das den Ermittlern Steine in den Weg legt, statt sie zu stärken, wo sie Stärkung dringend benötigen?

Der Terror, das darf man nicht vergessen, stand den Richtern sehr deutlich vor Augen, als sie in Luxemburg in diesem Verfahren ihre Beratungen aufnahmen. Da war gerade in Nizza ein Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. Doch gerade in Zeiten des Terrors bedürfen die Prinzipien des Rechtsstaats der Verteidigung; dass Not kein Gebot kennt, darf nicht die Leitlinie sein. Ohnehin zeigte sich auch in diesem Verfahren ein merkwürdiges Phänomen, das die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung seit jeher begleitet: Man weiß nicht wirklich, wie viel Nutzen die Sammelei den Ermittlern bringt. Gewiss, die Sicherheitsbehörden liefern immer durchaus plausible Beispiele dafür, dass die Daten zur Aufklärung von Mord- und Terrortaten mithilfe der Daten aufgeklärt werden konnten. Aber valide, übergreifende Studien sucht man vergebens.

Aber der Spruch aus Luxemburg reicht über das Thema Terror hinaus. Denn hinter der Entscheidung steht eine tiefe Sorge um Europa. In einigen ostmitteleuropäischen Staaten ist gerade eine rapide Erosion des Rechtsstaats zu beobachten. Doch in den Händen von Autokraten ist die Vorratsdatenspeicherung ein äußerst heikles Instrument; der Datenpool kann eben nicht nur als bloße Vorsorge genutzt werden, um Ermittlungsansätze zu gewinnen - sondern auch als Infrastruktur zur Massenüberwachung. Denn schon rechtsstaatlich eigentlich tadelfreie Staaten offenbaren bei der Vorratsdatenspeicherung eine gewisse Tendenz zur Maßlosigkeit, wie die Beispiele von Schweden und vor allem Großbritannien, um deren Gesetze es in dem EuGH-Verfahren ging. Die nationalen Behörden griffen zehn- und hunderttausendfach auf ihre Datenspeicher zu.

Eine gewisse Ironie des Urteils liegt darin, dass auch Deutschland seine Regeln zur Vorratsdatenspeicherung wird überarbeiten müssen - obwohl sie mit ihren sehr kurzen Speicherfristen im europäischen Vergleich sehr zurückhaltend ausgefallen sind. Doch der EuGH muss die ganze EU im Blick haben. Es ist also kein Urteil gegen Deutschland, auch keines, dass gegen die Effizienz von Terrorermittlungen gerichtet wäre. Es ist ein Urteil für Europa.

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