Jelena Issinbajewa:Super-Patriotin als oberste Dopingjägerin

Jelena Issinbajewa: Einst als "Zarin der Lüfte" bekannt, nun mit neuer Funktion als oberste Dopingjägerin: Jelena Issinbajewa.

Einst als "Zarin der Lüfte" bekannt, nun mit neuer Funktion als oberste Dopingjägerin: Jelena Issinbajewa.

(Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Überraschend wurde die einstige Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa zur Präsidentin der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada berufen.
  • Die Personalie zeigt, wie wenig ernst es die Russen mit dem angekündigten Zugehen auf den Rest der Sportwelt meinen.
  • Selbst IOC-Chef Thomas Bach zeigte sich irritiert.

Von Christian Brüngger

An diesem Donnerstag wird das nächste Kapitel im Umgang des Weltsports mit dem McLaren-Report geschrieben, der viele Belege zusammentrug, wie der russische Sport zwischen 2011 und 2015 betrog: Der Vorstand des Biathlon-Weltverbandes IBU lässt sich von einer Expertenkommission unterrichten, die den Bericht geprüft hat, in dem 31 russische Biathleten vorkommen sollen. Anschließend will die IBU über "einschlägige Disziplinarmaßnahmen" entscheiden. Diese könnten bis zum Kollektiv-Bann reichen.

Der Druck auf die Funktionäre ist gewaltig. Der Franzose Martin Fourcade, einer der Stars der Szene, hat einen Boykott ins Spiel gebracht, falls der Verband sich zu nachsichtig zeige. Der russische Biathlon-Verband geht dagegen davon aus, dass der Großteil der Betrüger bereits bestraft worden sei - oder dass sie nicht mehr aktiv seien. Und Anton Schipulin, der bei Winter-Olympia 2014 in Sotschi mit der Biathlon-Staffel Gold gewann, versichert: "Mein Gewissen ist rein." Wie die Russen mit den Vorwürfen umgehen, nicht nur im Biathlon - das bleibt das überwölbende Thema.

Selbst IOC-Chef Thomas Bach zeigt sich irritiert

Bisher zeigten sich die Beschuldigten eher trotzig als einsichtig. Vor allem eine Figur steht für diese Haltung: die einstige Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa. Zwei Tage vor dem Erscheinen des jüngsten McLaren-Berichtes zu den Vorgängen in Russland wurde die 34-Jährige überraschend zur Präsidentin der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada berufen.

Selbst Thomas Bach zeigte sich irritiert. "Ich glaube, es wäre hilfreich gewesen, wenn es im Vorfeld einer so wichtigen Personalentscheidung einen Meinungsaustausch zwischen der Welt-Anti-Doping-Agentur und der Rusada gegeben hätte", ließ der Chef des Internationalen Olympischen Komitees IOC die Welt über die FAZ wissen. Tatsächlich ist die Personalie Issinbajewa in Zusammenhang mit der Betrugsaffäre nicht nur eine der schillerndsten, sondern auch eine der vielsagendsten.

Im August dieses Jahres reiste die zurückgetretene Stabhoch-Weltrekordhalterin mit sechs anderen russischen Sportgrößen zum Luftwaffenstützpunkt ihres Landes in Syrien. Über ihre Eindrücke in Khmeimim nahe Latakia, von wo aus die russischen Bomber in die Luft donnern, um ihre tödliche Fracht dann auch über der Bevölkerung abzuladen, resümierte Issinbajewa: "Jeder Start eines Jets war wie ein Wiegenlied für uns, auf das wir warteten, um einschlafen zu können."

Diese bizarren Lobpreisungen reichten der Super-Patriotin aber noch nicht. Nachdem sie mit den Soldaten eine Art Fitnessprogramm durchgeführt hatte - von den eigenen Staatsmedien breit und fröhlich dokumentiert -, urteilte sie über die Soldaten: "Sie sind zugänglich, zugleich so stark, sicher. Echte Männer. Hier ist es überhaupt nicht schrecklich, hier ist alles durchdrungen von einem solchen Patriotismus, einem solchen Stolz, Mut, von Heldentum."

Die Betrugsaffäre? "Diskriminierung unserer Nation"

Jelena Issinbajewa, aufgewachsen in bescheidensten Verhältnissen in Wolgograd, erst Kunstturnerin, dann als erfolgreichste Stabhochspringerin der Geschichte rasch die "Zarin der Lüfte" genannt, hat nach ihrem Rücktritt also umgehend die nächste Rolle gefunden: oberste Cheerleaderin der Nation. Dabei lebte Issinbajewa selbst lange im Ausland: Den Großteil ihrer Karriere über wohnte sie in Italien und Monaco. Erst für die Heim-WM 2013 in Moskau kehrte sie zurück; nach zähen Athletenjahren holte sie - viel umjubelt - ihr drittes WM-Gold. Danach kündigte sie an: "Jetzt möchte ich ein Baby", und rechnete in jenem August 2013 gleich vor: "Neun Monate ein Baby im Bauch, neun Monate Stillen. Das macht 18 Monate. Also kann ich in Rio dabei sein."

Das Kind, eine Tochter, kam Ende Juni 2014 zur Welt. Mit der Olympia-Teilnahme im August 2016 allerdings wurde es nichts. Denn der systematische Doping-Betrug in Russland, den der erste McLaren-Bericht im Sommer offenlegte, führte zum Ausschluss des russischen Leichtathletik-Verbandes. Issinbajewas Haltung zur Causa? "Wir werden beschuldigt für Dinge, die wir nicht gemacht haben. Ich sehe das als Diskriminierung unserer Nation, weil wir Russland sind."

Funktionäre des Leichtathletik-Weltverbandes bezeichnete sie als "Scheißkerle"

Sie zog mit ihrem Fall bis vor den Internationalen Sportgerichtshof. Sie sei stets sauber gewesen und toleriere die Kollektivstrafe nicht, argumentierte Issinbajewa. Sie fiel durch. Wie sie in dem korrupten System selbst stets sauber geblieben sein sollte, konnte sie nicht überzeugend belegen. Issinbajewa urteilte: "Ich bin um den Start betrogen worden." Die Funktionäre des Leichtathletik-Weltverbandes bezeichnete sie als "Scheißkerle", das Stabgold in Rio stünde eigentlich nur ihr zu und sei entwertet.

Einen Auftritt in Rio hatte sie dann trotzdem. Issinbajewa kandidierte für die Athletenkommission des IOC und schaffte den Einzug. Zugleich wurde sie als Präsidentin des suspendierten russischen Leichtathletik-Verbandes gehandelt. Ihre Kandidatur zog sie jedoch zurück, nachdem sie zur Leiterin der Rusada ernannt wurde, die von der Welt-Anti-Doping-Agentur derzeit suspendiert ist und neu aufgebaut werden soll.

Die Ernennung von Issinbajewa belastet diese Vorhaben schon einmal schwer und offenbart somit, wie wenig ernst es die Russen mit dem angekündigten Zugehen auf den Rest der Sportwelt meinen. Die Personalie hätte nur in Absprache mit der Wada erfolgen sollen, so steht es in deren Auflagen an die Rusada. Die obersten Dopingbekämpfer reagierten deshalb verschnupft auf die prominente Neu-Chefin des zentralen russischen Sportgremiums. Issinbajewas Grußbotschaft an die künftigen Kollegen und Helfer: "Wir tolerieren diese beweislosen Anschuldigungen, wir würden ein Staatsdoping betreiben, künftig nicht mehr."

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