Film:Das waren die Kino-Momente des Jahres

Marlon Brando schrumpft zur Spitzmaus, Amy Adams wird Alien-Dolmetscherin und Ryan Gosling lässt einen Bauklötzchenturm aus Immobilienkrediten einstürzen. Die Highlights des Kinojahres 2016.

Von den SZ-Kinokritikern

Der Pate: "Zoomania"

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(Foto: Disney/dpa)

Sein Name lässt die Bewohner der Tierstadt Zootopia erzittern: Mr. Big ist ein gefürchteter Gangster, ein Mächtiger, der im Hintergrund die Fäden zieht. "Ist das Mr. Big?", fragt die Polizei-Häsin Judy Hopps ehrfürchtig ihren Partner, den Fuchs und Trickbetrüger Nick Wilde, als riesige Eisbären einer nach dem anderen den Raum betreten. Aber die Bären sind nur die Leibwache. Der Pate, der - unterlegt mit leisem Mandolinengeschrammel - aus einem Sessel im Schatten heraus nun heiser zu sprechen beginnt, ist eine winzige arktische Spitzmaus im Frack. Wie sich die Maus nun huldvoll die Hand küssen lässt, näselnd von Familienwerten spricht, den mangelnden Respekt der beiden Helden beklagt und sie schließlich ungnädig "kaltmachen" will (eine Falltür öffnet sich hinab zu einem Bassin mit Eiswasser), ist eine herrliche Parodie auf Marlon Brando und "The Godfather". Nicht nur Cineasten amüsieren sich darüber. Über "Zoomania" lachen alle - zusammen! Lust: "Toni Erdmann" von Maren Ade Frust: "Lou Andreas-Salomé" von Cordula Kablitz-Post

Nacktparty: "Toni Erdmann"

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(Foto: dpa)

Man wünscht sich, dieser Toni Erdmann - der gute Geist mit Billigperücke und falschen Zähnen, der so wunderbaren Blödsinn plappert - möge in manch eigenen zähen Alltagsmomenten auftauchen. In Maren Ades meisterhafter Tragikomödie ist dieser Teufelskerl eine Erfindung des Alt-68ers Winfried, der seine Karrieretochter, die bei einem Consulting-Unternehmen arbeitet, mit blankem Unsinn von Effizienzdenken und Lustlosigkeit befreien will und sie bald in immer neue, hochgradig groteske Situationen führt. Der beste Moment ist eine verkorkste Nacktparty mit einem haarigen Zottelwesen als Überraschungsgast, dem Kukeri. So unübersichtlich legen sich hier Beklemmung, Klamauk und poetisches Feingefühl übereinander, dass man als Zuschauer mit den eigenen Gefühlen durcheinandergerät. Bei so viel Fell und Verletzlichkeit weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Man macht schließlich beides gleichzeitig. Lust: "The Lobster" von Yorgos Lanthimos Frust: "Hail, Caesar!" von Joel und Ethan Coen

Sprachkurs: "Arrival"

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(Foto: Photo Credit: Jan Thijs)

Als die Sprachwissenschaftlerin Louise Banks zum ersten Mal vor der Glaswand steht, die sie von den Aliens trennt, mit denen sie reden soll, ist sie eigentlich schon völlig am Ende. Banks, gespielt von Amy Adams, ist gerade die Wand eines senkrechten Tunnels im Inneren eines gigantischen Raumschiffs hochgelaufen. Also keinesfalls ein Alltagsgeschäft, schon gar nicht für eine Linguistin von der Universität. Sie ist sehr blass, atmet schwer. Und dann das: Aus der hellgrauen Nebelsuppe hinter der Glaswand treten ganz vorsichtig zwei schwarze Tentakelwesen hervor, die ganz anders aussehen, als alle Film-Aliens, die man bisher gesehen hat. Eine Mischung aus riesiger Hand, Krake und auf dem Kopf stehendem Baum. Endlich, denkt man als Zuschauer, endlich mal kein schleimiger Standard-Außerirdischer mit großem Kopf und ausdruckslosen Augen, sondern etwas wirklich Fremdes. Louise Banks denkt das wahrscheinlich auch: Sie, die aufgrund ihrer hervorragenden Arbeit als Wissenschaftlerin geschickt wurde, um mit den Aliens zu reden, erstarrt in Sprachlosigkeit. Lust: "Brooklyn" von John Crowley Frust: "Independence Day 2: Wiederkehr" von Roland Emmeric

Essensschlacht: "Captain Fantastic"

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(Foto: AP)

Ganz autark leben die sechs Kinder zwischen sieben und 18 Jahren mit ihrem Vater in der Wildnis. Sie haben gelernt, ihr Essen selber zu jagen und zu pflanzen, aber auch jede Menge Nahrung fürs Gehirn zu bekommen. Der Tod der Mutter zwingt den naturverbundenen Clan in die Zivilisation zurück, in einen Clash der Kulturen und Lebensweisen, der irritierend, traurig, wütend und komisch ist. Grandios ist, dass Matt Ross diesen Film nicht als Polemik gedreht hat, sondern aus der Unsicherheit eines Vaters heraus, der sich fragt wie man seine Kinder in Zeiten von Konsum und elektronischer Kommunikation erziehen soll. Gespiegelt sind all diese Zweifel im Gesicht von Hauptdarsteller und Filmvater Viggo Mortensen, der seinen Way of Life eisern gegen den biederen Schwiegervater verteidigt, nur um dann im Gras sitzend selbst damit zu hadern, ob er für seine Kinder wirklich das Beste tut. Am großen Familienesstisch lassen die eigensinnigen Kids aus dem Wald die domestizierten Stadtkinder mit ihrer ganzen Elektronik jedenfalls ziemlich alt aussehen. Lust: "Toni Erdmann" von Maren Ade Frust: "Salt and Fire" von Werner Herzog

Nummer 63: "Die Überglücklichen"

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(Foto: dpa)

Grün und hellblau schimmert die Toskana, zwei Frauen sprinten durchs Gelände. Die eine in flatterndem Satin, lachend, ein rosa Schirmchen in der Hand; die andere guckt weniger begeistert, rennt aber mit. Im Hintergrund steht Publikum, es wird gewinkt und geschrien, die Rufe gehen unter in der Musik, die die Läuferinnen begleitet. Deren Ziel ist der Linienbus Nummer 63, der in der Nähe hält. Man möchte sie anfeuern, ganz hingerissen von der Bewegung, den Farben, dem Frohsinn der Szene. Obwohl man da schon verschiedene Dinge weiß: Man weiß, dass die zwei Frauen gerade aus der Psychiatrie weglaufen. Man ahnt, dass ihre Busfahrt böse enden wird. Aber so groß ist hier die Illusionskraft des Kinos, dass man das Unheil dieses Ausbruchs ignoriert. Man sieht stattdessen nichts als einen Aufbruch ins Glück. Lust: "Wild" von Nicolette Krebitz Frust: "Schweinskopf al dente" von Ed Herzog

Träumer: "Cemetery of Splendour"

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(Foto: Rapid Eye Movies)

Irgendwo im ländlichen Thailand sind Soldaten angerückt, um Stromleitungen zu verlegen. Bald werden sie von einer geheimnisvollen Schlafkrankheit befallen und liegen schnarchend auf einer Pflegestation. Im Schlaf, so erfahren wir, träumen sie von alten Königspalästen, die einst auf dem Gebiet ihrer Grabungen standen. Nun war lange Zeit über das Kino eine große Traumfabrik. In "Cemetery of Splendour" von Apichatpong Weerasethakul aber sehen wir niemals die Träume, nur die Träumenden. Ein Medium hält Kontakt mit ihnen. Einmal führt es eine Frau durch einen Wald in der Nähe. "Siehst du? Roter Marmor", sagt das Medium zur Frau, während die Kamera mürbes Laub auf dem Waldboden zeigt. So lernt man, den Dingen ihr verborgenes Traumleben abzulesen. Etwa wenn mürbes Laub von rosa Marmor träumt. Lust: "The Hateful Eight" von Quentin Tarantino Frust: "Nocturnal Animals" von Tom Ford

Bauklötze: "The Big Short"

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(Foto: Jaap Buitendijk/Paramount Pictures/AP)

Hinterher ist man ja immer klüger, aber es ist dann doch erschreckend einfach, wie man die Ursachen der Finanzkrise von 2008 erklären kann. Adam McKays Film "The Big Short" erzählt von ein paar superschlauen Bankern, die vorher schon auf den Zusammenbruch gewettet haben, was erstens wirklich so passiert ist und hier zweitens nicht zur Geheimwissenschaft verklärt wird. Bestes Beispiel: Jared Vennett, gespielt von Ryan Gosling, der bei der Deutschen Bank arbeitet, will die Zukunft erklären. Geht das auch so, dass es ein Fünfjähriger verstehen kann, wird er gefragt. Um diese Herausforderung lässt er sich nicht zweimal bitten. Er bringt einen Bauklötzchenturm aus Immobilienkrediten zum Einsturz, die nach unten hin immer fauler werden. Nicht sonderlich vertrauenerweckend, aber sehr eindrucksvoll. Lust: "Arrival" von Denis Villeneuve Frust: "The Revenant" von Alejandro González Iñárritu

Elefant: "Grüße aus Fukushima"

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(Foto: Majestic /Mathias Bothor)

Doris Dörrie überträgt ihre Faszination für Japan auf die Geschichte einer jungen Deutschen, die ins verstrahlte Katastrophengebiet von Fukushima reist. Marie will ihrer Lebenskrise entfliehen und den Menschen in den Notunterkünften helfen. Die Begegnung mit einer alten Geisha verdichtet die Reise zum zauberhaften Poem der Lebenslektionen. Sie lernt, wie man kehren, sitzen und den Tee mit ritueller Hingabe bereiten muss. "Sie sind so elegant", sagt sie zur Alten und erhält eine Antwort, die sie im Innersten trifft: "Du bist ein Elefant, zu groß für mein Haus!" Ja, Marie trampelt irgendwie durchs Leben, hysterisch aufbrausend und voller Selbstmitleid. Nun lernt sie kennen, was tiefste Verzweiflung und Trauer bedeuten. Sie versteht, dass es bei der Teezeremonie nicht um Eleganz geht, sondern um eine innere Haltung, die dem Leben Kontur und Würde verleiht. Lust: "Toni Erdmann" von Maren Ade Frust: "Willkommen bei den Hartmanns" von Simon Verhoeven

Ausbruch: "Wild"

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(Foto: Heimatfilm)

Wie dieser Wolf in die Plattenbau-Wohnung gekommen ist, wo Ania ihn gefangen hält - das wird in "Wild" alles sehr logisch erklärt. Die junge Frau hat ein altes Buch über die Lappjagd studiert, sie hat ein ganzes Waldstück mit bunten Bändern verhängt, an denen sich Wölfe nicht vorbeitrauen, sie hat das Tier in die Enge getrieben und mit einem Einschläferungs-Pfeil aus dem Blasrohr betäubt. Nun hat der Wolf ein eigenes, sorgfältig verschlossenes Zimmer mit Guckloch in der Wand, durch das sie ihn beobachten und füttern kann. Umso unvergesslicher dann, wie die Regisseurin Nicolette Krebitz diese sichere Einhegung auflöst. Plötzlich bewegt sich der Wolf frei in der Wohnung und kommt ihr unfassbar nahe, es muss ein Traum sein. Dann springt er mit solcher Wucht gegen seine Zimmerwand, dass ein ganzes Stück herausbricht und den Weg für ihn freigibt, Plattenbau eben. Wenn Ania schließlich vor ihm in den Müllschlucker flüchtet, wird sie wie durch einen dunklen Vortex-Tunnel in eine andere Realität gesaugt - und wieder einmal demonstriert das Kino seine Macht, seine neue, ganz eigene Logik zu schaffen. Lust: "Toni Erdmann" von Maren Ade Frust: "The Last Face" von Sean Penn

Schwertkampf: "The Assassin"

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(Foto: Delphi Filmverleih)

Seit 2007 hat man gewartet auf einen neuen Film von Hsiao-Hsien Hou. Dann kam im vorigen Jahr, im Wettbewerb von Cannes, "The Assassin", ein Jahr später erst ein zaghafter Kinostart bei uns. Das Warten ist dem Film eingeschrieben, das Zögern, die Unentschiedenheit. Das ganze Kino nichts als ein Aufschub. Eine Frau, ausgebildet zur perfekten Killerin, soll einen Provinzherrscher töten, aber der ist auch der Mann, den sie einst liebte, jetzt ist er verheiratet, hat eine Familie. Der Film bindet Begegnungen aneinander, Konfrontationen und Kämpfe, ganz markant, aber ohne sie je an ein Ende zu führen. In einer dieser kaum erklärlichen Szenen treten sich zwei Frauen gegenüber, die Killerin und eine Frau mit Maske, sie schwingen die Schwerter gegeneinander, vehement aber ohne die Verbissenheit der Männer bei ihren Balzkämpfen. Es geht um Liebe. Ein Birkenwald ist der Schauplatz, der luftig und geschlossen zugleich wirkt. Es gibt einen langen Blick hinauf in den Himmel, auf ziehende Wolken. Absolute Freiheit, von Barthes beschrieben als "Bruch in unserem inneren Monolog, der für unsere Person konstitutiv ist". Lust: "Ma Ma" von Julio Medem Frust: "Batman v Superman: Dawn of Justice" von Zack Snyder

Bunker-Blues: "10 Cloverfield Lane"

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(Foto: Paramount)

Wenn hübsche, leicht bekleidete Mädchen sich angekettet in einem Bunker wiederfinden, besteht Grund zur Panik. Oder? Das Kellerverlies, in dem diese Horrorkomödie von Dan Trachtenberg spielt, ist zunächst einmal rein ästhetisch ein Albtraum. Bunkerbesitzer Howard, der Konserven hortet und Mädchen ankettet, ist nicht nur ein pessimistischer Apokalyptiker, der auf den Weltuntergang wartet, sondern auch überzeugter Partykeller-Kleinbürger. Eine Dusche mit Entenmustervorhang und eine Brettspielsammlung hat er unter die Erde gebracht, und natürlich seine geliebte Jukebox. Schnaufend und ächzend bewegt sich der dicke Howard, der vom Kinokoloss John Goodman gespielt wird, durch sein Reich. Aber sobald ein paar flotte Töne aus der Musikbox erklingen, lehnt sich der schwerfällige Monolith brummend und summend nach vorne und wackelt mit seinem gewaltigen Hinterteil im Takt, als wäre es plötzlich ein federleichter Cheerleader-Popo. Eine Tanzeinlage, über der man fast das Säurefass vergisst, das bald darauf zum Einsatz kommt. Lust: "Der Nachtmahr" von Akiz Frust: "Rogue One" von Gareth Edwards

© SZ vom 22.12.16 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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