Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt:Die Behörden hätten Amri packen können

Terroranschlag Berlin - Fahndungsfoto Anis Amri

Das Bundeskriminalamt sucht mit Fahndungsfotos nach Anis Amri.

(Foto: dpa)

Anis Amri war ein Gefährder, er ist aber nicht wie einer behandelt worden. Das Ausländerrecht hätte nur richtig angewendet werden müssen, stattdessen nahmen die Behörden offenbar das Risiko in Kauf.

Kommentar von Heribert Prantl

Anis Amri war ein Gefährder, er ist aber nicht wie ein Gefährder behandelt worden. Die Behörden ließen den Mann, von dem bekannt war, dass er sich Waffen beschaffen wollte, gewähren - bis er offenbar untertauchte und dann, wie es aussieht, zum Attentäter wurde.

Anis Amri war ausreisepflichtig, hatte aber eine Duldung, weil die zur Abschiebung nötigen Papiere noch nicht vorlagen. Eine solche Duldung ist auf das Bundesland beschränkt, in Amris Fall war das Nordrhein-Westfalen. Trotzdem hielt sich der Mann, wie die Behörden wussten, oft in Berlin auf. Ihnen war, wie gesagt, bekannt, dass der Mann sich Waffen beschaffen wollte. Es hätte eine Abschiebungsanordnung nach Paragraf 58 a Aufenthaltsgesetz erlassen werden müssen, "zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit" samt striktesten Meldeauflagen bei der Polizei - am besten täglich!

So ist das im Gesetz vorgesehen. Überschrift: "Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit". Der Aufenthalt Anis Amris wäre dann auf einen engen Bezirk, zulässig auch ein Stadtviertel, beschränkt gewesen. Der Verstoß gegen eine Meldepflicht und Aufenthaltbeschränkung ist eine Straftat, also kriminell; da können, zur Verteidigung der Rechtsordnung, Strafen ohne Bewährung verhängt werden. Das heißt: Man hätte den Mann dieser Straftat wegen in U-Haft nehmen und während der U-Haft die Papiere für die Abschiebung besorgen können. Das alles ist nicht geschehen. Warum nicht? Die Ausländerbehörde tat nichts; und die Strafverfolger kümmerten sich nicht darum, dass die Ausländerbehörde nichts tat.

Kann man Gefährder packen? Man kann, wenn man will

Auch die Justiz nahm die Reiserei des Gefährders wie selbstverständlich hin. Überforderung? Oder haben Sicherheitsbehörden in dem Mann einen Informanten gesehen, einen, dessen Überwachung weitere Kontakte erschließt? Haben die Behörden das Risiko Amri in Kauf genommen, weil man sich von seiner Überwachung Erkenntnisse erhoffte? Und hat die überwachende Behörde anderen Behörden nichts gesagt, weil man die Erkenntnisse für sich haben wollte? Solche Behördenrivalitäten kennt man aus der Geschichte des NSU.

Die Schilderung des nicht genutzten Instrumentariums ist wichtig, weil dies zeigt, dass man das Recht nicht auf den Kopf stellen muss, um Gefährder zu packen: Man kann, wenn man will. Und die geschilderten Paragrafen sind nicht die einzigen, die zu Gebote stehen. Die Abschiebehaft ist geschärft worden; diese Haft kann bis zu sechs Monate dauern, in Sonderfällen bis zu einem Jahr. Lasch ist das nicht. Das Recht ist scharf; man muss es anwenden.

Mit Flüchtlingsrecht hatte der Fall Amri (anders als die öffentliche Debatte das nahelegt) in den letzten Monaten nichts mehr zu tun. Das Flüchtlingsrecht hatte ordentlich funktioniert: Der Asylantrag des Mannes war ziemlich schnell abgelehnt worden, schon im Juni 2016. Seitdem gilt das allgemeine Ausländerrecht, seitdem aber reihen sich die Behörden-Fehler. Die Zupack-Instrumente des Ausländerrechts lagen da; die Behörden ließen sie ungenutzt.

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