Stuttgart 21:Schatten am Ende des Tunnels

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Arbeiten an einem Tunnel des Bahnprojekts Stuttgart 21. Der Kopfbahnhof soll mit mehreren Tunneln und Durchlässen in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof verwandelt werden. (Foto: Johannes Simon)

Sogar der grüne Oberbürgermeister fand lobende Worte zum ersten Tunneldurchschlag von Stuttgart 21. Doch nun klagt die Bahn gegen die Projektpartner wegen der Mehrkosten. Wer wird die Milliarden letztlich zahlen?

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

So ein Tunneldurchschlag ist ein bewegender Augenblick. Symbolisch fällt die letzte Wand, dahinter wird es Licht, jahrelange Schufterei hat sich gelohnt. So war das auch am Montag, als der erste Tunnel des Bahnprojekts Stuttgart 21 gefeiert wurde. 33 Monate Bauzeit, dreieinhalb Kilometer von Bad Cannstatt bis zum nördlichen Ende des künftigen Tiefbahnhofs. "Ein Zeichen, dass in unserem Land nicht Zweifler, Neinsager und Miesepeter die Oberhand haben, sondern die Mutigen und die Tatkräftigen", beschwor der stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl (CDU). Stuttgart 21 tue der Stadt gut, sagte der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn, langjähriger Gegner des Tiefbahnhofs. Die Bahn-Leute trauten ihren Ohren kaum. Endlich alles gut bei Stuttgart 21?

Ein einzigartiger Vorgang: Der Staatskonzern verklagt ein Bundesland

An diesem Freitag erlebt Stuttgart 21 einen weiteren Tunneldurchschlag. Hinter der Wand tun sich allerdings die Schattenseiten dieses Projekts auf, das durch stetige Kostensteigerungen Schlagzeilen macht. Um zu vermeiden, dass ihre Ansprüche verjähren, reicht die Bahn beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage gegen die Projektpartner ein. Sie sollen sich an den zusätzlichen Kosten beteiligen, nach derzeitigem Stand rund zwei Milliarden Euro. Die Adressaten: das Land Baden-Württemberg, die Stadt und der Flughafen sowie die Region Stuttgart.

Ein einzigartiger Vorgang: Der Staatskonzern verklagt ein Bundesland. Die Bahn betrachtet Baden-Württemberg als eigentlichen Gesprächspartner; die anderen Partner würden nur vorsorglich verklagt, weil sich die Landesregierung nicht zu ihrer Verantwortung bekenne. Deshalb hat nun die Regierung Kretschmann kalte Füße bekommen. Wird das Land, sollte es vor Gericht der Bahn unterliegen, am Ende allein auf den zusätzlichen Kosten sitzenbleiben? Um ihrerseits die Verjährung von Ansprüchen zu vermeiden, hat die Landesregierung in aller Eile Feststellungsklagen gegen die Stadt, den Flughafen und die Region vorbereiten lassen.

Jeder klagt gegen jeden bei diesem Projekt, das Kritiker schon lange für unterirdisch halten, weil es viel zu teuer und verkehrspolitisch unsinnig sei? Zumindest sichert sich nun jeder gegen jeden ab.

Um ihre Klagen nicht einreichen zu müssen, hat die Landesregierung die anderen drei Projektpartner zu formellen Gesprächen über die mögliche Kostenverteilung geladen. Solche Gespräche sollen "verjährungshemmende Wirkung" ausüben; eine Zahlungsverpflichtung würde vorab niemand anerkennen. Am Donnerstagabend beriet der Stuttgarter Stadtrat darüber. Es wurde allgemein erwartet, dass die Räte dem Vorschlag von Oberbürgermeister Kuhn zustimmen und grünes Licht für die Gespräche geben würden. Für diesen Freitag ist der erste Termin anberaumt.

Wer hat die besseren Karten im Milliardenspiel? Als die Bahn und ihre Partner 2009 den Finanzierungsvertrag unterzeichneten, kalkulierten sie mit drei Milliarden Euro. Sie vereinbarten darüber hinaus bereits die Verteilung von Kostensteigerungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Zu 65 Prozent kommen die Partner, zu 35 Prozent die Bahn dafür auf. Nach diesem Schlüssel will die Bahn nun auch die neuerlichen Zusatzkosten von zwei Milliarden (gesamt mittlerweile: 6,5 Milliarden) verteilt wissen, die der Bahn-Aufsichtsrat 2013 abgesegnet hat. Juristisch kann sie sich aber nur auf die "Sprechklausel" im Finanzierungsvertrag berufen: Bei weiteren Kostensteigerungen verpflichtet sie die Landesregierung zu Gesprächen. Die will aber nur sprechen - und nicht zahlen.

Die Regierung Kretschmann steht auf dem Standpunkt, die von ihr vertraglich zugesicherten 930 Millionen Euro seien eine freiwillige Leistung, alles weitere sei Sache der Bauherrin Bahn. Die Bahn beharrt in der Begründung ihrer Klage darauf, es handle sich um ein Gemeinschaftsprojekt. Der Bau eines Tiefbahnhofs diene "nicht primär einer Optimierung der Eisenbahninfrastruktur"; man verfolge dadurch vielmehr "städtebauliche sowie verkehrs- und wirtschaftspolitische Ziele". Bis das Verwaltungsgericht entscheidet, können Jahre vergehen. Möglicherweise fahren dann schon Züge durch den Cannstatter Tunnel.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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