Nachruf:"Man kann sich nicht zu gut anziehen"

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Anna Wintour mag berühmter sein, Franca Sozzani aber war die stärkere ästhetische Kraft: zum Tod der Frau, die fast 30 Jahre lang Chefin der italienischen "Vogue" war.

Nachruf von Thomas Steinfeld

Im vergangenen September kam Franca Sozzani zu den Filmfestspielen nach Venedig. Sie wollte der Uraufführung eines Dokumentarfilms beiwohnen, den ihr Sohn über das Leben seiner Mutter gedreht hatte. Die langen blondierten Haare, die ihr viele Jahre lang wellenförmig bis fast zur Brust gereicht hatten, waren deutlich kürzer. Der immer schon zarte Körper war nun mager, was von einem weißen, engelhaften Kleid verhüllt wurde. Zu dieser Zeit muss Franca Sozzani schon sterbenskrank gewesen sein.

Der Film aber zeigt Leben und Werk der Frau, die fast 30 Jahre lang die italienische Ausgabe der Modezeitschrift Vogue geleitet hat, als ein Wesen von großer Lebendigkeit, freundlich und energisch, zugleich aber von einem Eigensinn, der sich um seinen Erfolg nur bedingt kümmert. "Die Gnade der großen Liebe wurde mir nicht gegeben", lautet einer der erstaunlichen Sätze in diesem Film. Um so mehr konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit.

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Von Silke Wichert

Mode als Instrument

Mode ist etwas anderes als Stil. "Man kann sich nicht zu gut anziehen", soll Franca Sozzani gesagt haben, "ebenso wenig, wie man nicht zu gebildet sein kann." Der Satz dürfte sich weniger auf ihren akademischen Abschluss in Literatur und Philosophie bezogen haben als auf ihre Vorstellung von Mode: Kleidung diente ihr dazu, ganze Atmosphären aufzubauen.

Sie benutzte sie, um Erfahrungen, die von vielen Menschen geteilt wurden, angenehme wie unangenehme, auf die Wahrnehmung eines Menschen in seinen Anziehsachen zu konzentrieren. Mode war ihr ein Instrument, um Assoziationen zu schaffen. Anna Wintour, die Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, mag berühmter sein. Franca Sozzani, die Tochter eines Ingenieurs aus Mantua, aber war die stärkere ästhetische Kraft.

Künstler zogen durch ihre Kreise

Unter ihrer Regie entstand eine lange Reihe von Ausgaben der Vogue, die Mode weniger präsentierten, als dass sie diese mit dem scheinbar nur schlecht Vereinbaren zusammenbrachten: In einem Heft zeigte sie ausschließlich schwarze Models, mit einem anderen übte sie Widerstand gegen die kosmetische Chirurgie, ein weiteres Heft widmete sie den fülligen Frauen und deren Kleidung.

Mit einigen Supermodels, vor allem mit Naomi Campbell, war sie befreundet (überhaupt hatte sie an der Entstehung dieses Typs von Model großen Anteil), später berühmten Fotografen wie Steven Meisel oder Bruce Weber soll sie die Konventionen ausgetrieben haben, und durch ihre Kreise zogen Künstler wie Kanye West oder Marina Abramović, der Sammler und Industrielle François-Henri Pinault oder Lapo Elkann, der schrille Erbe der Fiat-Dynastie.

Ein "bescheuertes Nadelkissen" nannte sie einmal der Fotograf Oliviero Toscani. Das war ein Kompliment, und sie wird es als solches verstanden haben. Am vergangenen Donnerstag starb Franca Sozzani im Alter von 66 Jahren.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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