Doping im Biathlon:Vergiftete Winterwelt

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Die russischen Fans werden 2017 keine Weltcups im eigenen Land sehen. (Foto: Michal Cizek/AFP)

Die Biathlon-Szene streitet, wie sie mit dem russischen Staatsdoping umgehen soll. Wolfgang Pichler, früher Trainer in Russland, fordert den Rauswurf der ganzen Mannschaft.

Von Volker Kreisl

Es kann gut sein, dass demnächst auch eine jener russischen Biathletinnen auffliegt, die fast nur in Ruhpolding trainiert hatten. Damals, vor den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi, war dies eine Maßnahme von Wolfgang Pichler gegen Doping in seinem russischen Team gewesen: Training weit weg von Russland, dazu eine lückenlose Überwachung der Leistungsdaten, das musste reichen. Der Ruhpoldinger Coach, der das russische Frauenteam zuvor übernommen hatte, war bekannt für seine offene Anti-Doping-Haltung, er hatte also getan, was in seiner Macht stand, und er glaubte, dass seine Sportlerinnen sauber waren. Heute ist er sich da nicht mehr so sicher.

Auch wenn der Wintersport - wie der Sommersport - Skandale hervorbringt, so wird er doch medial als weiße und heile Welt vermarktet. Das funktioniert verlässlich, wie man an den hohen Einschaltquoten im Biathlon erkennen kann. Die Vertreter des Ski-Zweikampfs stehen im Zentrum des Wintersports, und sie präsentieren sich besonders als harmonischer Clan.

Doch nun herrscht Streit in der Familie. Im Biathlon ging es zuletzt nicht mehr um die Sieger eines Rennens, sondern um die Frage, wie man mit dem russischen Staatsdoping umgehen soll. Die Atmosphäre ist vergiftet, beherrscht von Unsicherheit, Misstrauen und Wut gegen die gerade wieder mal plötzlich erfolgreichen russischen Kontrahenten ( Weltcup-Ergebnisse) - und gegen den eigenen Weltverband IBU.

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Am Donnerstagabend beschloss die Föderation zwar erste Konsequenzen, aber die sind zunächst sehr vorsichtig. Über Weihnachten und die kommenden Wochen herrscht also weiterhin Unsicherheit darüber, ob die kommenden Weltcup-Resultate im Nachhinein korrigiert werden müssten - und ob sich die IBU überhaupt traut, wirklich durchzugreifen. 31 verdächtige russische Biathleten gibt es, zwei wurden provisorisch gesperrt, gegen 29 wird weiter ermittelt, und zum Beispiel Pichler hofft nun, dass danach wirklich Beweise vorgelegt werden.

Im Übrigen hat Russlands Verband RBU von selbst den Junioren- und den Erwachsenenweltcup, die für März in Tjumen/ Sibirien geplant waren, zurückgegeben. Das dürfte allein taktisch motiviert sein, denn so, wie sich die Dinge zuletzt entwickelten, wäre ohnehin kaum ein anderer Biathlet dort angetreten. Der französische Weltcup-Dominierende Martin Fourcade, die tschechische Top-Läuferin Gabriela Koukalova und am Ende die gesamte norwegische Mannschaft hatten mit Boykott gedroht.

Dieses Szenario wiederholte sich in fast allen Wintersportarten, in denen Russland erfolgreich ist. Aktiv wurde am Freitag sogar das Internationale Olympische Komitee (IOC), das konkrete Maßnahmen zuletzt eher den Verbänden überließ. Es leitete Disziplinarverfahren gegen 28 russische Teilnehmer der Winterspiele 2014 ein. Die Bobfahrer hatten den Russen die WM in Sotschi bereits vergangene Woche entzogen, am Freitag suspendierte der Ski-Weltverband Fis nun sechs russische Langläufer bis auf weiteres. Auch sie sollen in Verbindung mit Dopingverstößen in Sotschi 2014 stehen.

Und wie die Biathleten haben auch Russlands Langläufer vorgreifend ihr Weltcup-Finale im März in Tjumen abgegeben. Wie die IBU, so lobte auch die Fis den neuen russischen Willen zur Kooperation, auch sie hofft, dass sich nun die Stimmung beruhigt - und auch sie täuscht sich wahrscheinlich.

Denn für eine echte Kooperation, also die gemeinsame Aufklärung der Vergiftung der Winterwelt, wäre als Basis die Einsicht vonnöten, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Doch der aktuell beste Biathlet Anton Schipulin, Staffel-Olympiasieger von Sotschi, sagte nur, dass die Dopingvorwürfe politisch motiviert seien, "Beschuldigungen ohne jede Beweise".

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Auch Russlands Staatschef Wladimir Putin befasste sich am Freitag während seiner Jahres-Pressekonferenz mit dem Thema, er räumte ein, dass Russland ein Problem mit gedopten Sportlern habe wie jedes andere Land. Den Kernvorwurf des kanadischen Doping-Ermittlers Richard McLaren, dass staatliche Kräfte hinter den insgesamt 1000 Dopern oder Doping-Profiteuren stünden, den tat er ab: "In Russland hat es nie ein staatliches Dopingsystem oder Doping-Unterstützung gegeben, das ist einfach unmöglich", sagte Putin.

Konkrete Indizien, E-Mail-Verkehr, manipulierte Proben und Zeugenaussagen, all dies mit dem Hinweis auf "einfache Unmöglichkeit" abzutun, das beruhigt niemanden mehr, sondern führt direkt in die nächste Debatte: die über den Kollektivausschluss. Die Gemüter werden sich auch bei den Biathlon-Weltcups in Oberhof, Ruhpolding und wohl auch bei der WM in Hochfilzen/Österreich kaum beruhigen, denn besonders die jüngere russische Biathlon-Geschichte ist eine Geschichte des Dopings.

Bei den Spielen in Turin wurde Olga Pylewa gesperrt, 2009, kurz vor der WM in Pyeongchang, war das Doping dann klar systematisch: Die drei aufgeflogenen Sportler nahmen alle den gleichen modifizierten Blutbeschleuniger. Dafür erhielt der Verband eine Strafe von 50 000 Euro, und im Jahr 2014, als abermals die RBU drei Dopingfälle hatte, eine Strafe von 100 000 Euro. Das russische Biathlon-Doping hat eine historische und eine politische Dimension durch die naheliegende Verwicklung in Vertuschung in Sotschi. Es ist nahezu unmöglich, nicht davon überzeugt zu sein, dass staatlich gelenktes Doping vorliegt.

Die meisten Trainer im Biathlon und auch Pichler hoffen auf einen Kollektivausschluss: "Jeder hier fordert, dass durchgegriffen wird", sagt er. Anders werde sich in Russland nie etwas ändern. Pichler sagt, er habe zwar ein reines Gewissen, aber dass auch sein Name bald wohl indirekt mit russischem Doping in Verbindung gebracht wird, daran muss er sich gewöhnen: "Ich kann's ja nicht ändern."

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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