Deutsche Firmen:Wolfsburg ist überall

Der Abgasskandal von VW und anderen hat auch gezeigt, dass die Unternehmen hierzulande unter autokratischen Führungsstrukturen und einem altväterlichen Selbstbewusstsein leiden. Das muss sich ändern.

Von Ulrich Schäfer

Viel war in diesem Jahr darüber zu lesen, was bei Volkswagen alles schiefgelaufen ist - und warum dieses besondere Unternehmen ganz besondere Probleme hat: diese Arroganz, diese Überheblichkeit, diese sehr speziellen Eigentümer, hier die Porsches und die Piëchs - dort das Land Niedersachsen. Und dazu noch die Bewahrer von der IG Metall.

Das alles ist ja einerseits richtig. Bei VW haben sie viel zu spät erkannt, dass Größe allein kein Wert ist; und dass selbst der erfolgreichste Autokonzern der Welt in Gefahr geraten kann, wenn er am scheinbar Bewährten zu lange festhält - in diesem Fall am Diesel und an veralteten Führungsstrukturen. Niemand hat diese Arroganz des Erfolgs besser auf den Punkt gebracht als Ferdinand Piëch, der Patriarch aus Salzburg, als er sich über einen seiner Meinung nach nicht allzu bedeutsamen Konkurrenten lustig gemacht hat: Tesla aus Kalifornien, dessen batteriebetriebene, halbautonome E-Autos angeblich leicht in Flammen aufgingen.

Andererseits: Man macht es sich zu leicht, wenn man allein auf VW zeigt und so tut, als gehe es hier um ein lokales Problem östlich von Braunschweig. Denn tatsächlich ist Wolfsburg (fast) überall.

Der autokratische Ingenieurschef ist ein Typus der Vergangenheit

Bei VW mag die Selbstherrlichkeit besonders groß gewesen sein, aber im Grunde war die Attitüde, ganz genau zu wissen, wie es geht (und zwar nur so!), quer durch die deutsche Wirtschaft zu beobachten. Man war sich - ehe die Digitalisierung zum Thema wurde - absolut sicher, dass die deutschen Ingenieure, groß geworden in der Tradition eines Werner von Siemens oder Carl von Linde, absolut perfekte Produkte schaffen können: Autos, Maschinen oder Kraftwerke. Und genauso glaubte man, dass die Unternehmen ihre tollen Produkte mit großem Erfolg in die Welt verkaufen können. Deutschland, der stolze, allzu stolze Exportweltmeister - dies wurde auch befördert durch die Politik. Wer in Berlin regierte (und in Hannover sowieso), sonnte sich gern im Erfolg immer neuer Ausfuhrrekorde.

In Wolfsburg war man von der Überlegenheit der deutschen Ingenieurskunst besonders überzeugt. Die Ingenieure an der Konzernspitze - bis zur Dieselaffäre Martin Winterkorn, früher Ferdinand Piëch - liebten es, sich noch um das letzte Detail in den Autos zu kümmern. Sie begriffen deshalb viel zu spät, wie sehr sich die Welt der Wirtschaft gerade verändert: durch superschnelle Computer und künstliche Intelligenz, durch hochintelligente Sensoren und die Elektromobilität, aber auch durch eine dezentralere Form der Unternehmensführung. Anderswo, etwa bei BMW, verstand man dies etwas früher; aber auch dort brauchte es seine Zeit.

Dann aber kam der Abgasskandal. Ein Ereignis, das für die deutsche Exportindustrie noch disruptiver war als die Digitalisierung, weil es den gesamten Ruf von Made in Germany bedrohte. Disruptiv, dieses inzwischen auch von der Kanzlerin verwendete Schlagwort aus dem Silicon Valley, bedeutet ja, dass sich in der Wirtschaft etwas auf einen Schlag verändert. Das kann die Technologie betreffen - oder aber das gesamte Geschäftsmodell.

Bei VW betrifft es beides. Denn nicht bloß Dieselantriebe, sondern Verbrennungsmotoren insgesamt haben keine Zukunft mehr; in China, dem größten Automarkt der Welt, drohen die Städte schon mit Fahrverboten, und die Regierung zwingt den Herstellern eine E-Auto-Quote auf. Hinzu kommt, dass Tesla, aber auch andere Firmen aus dem Valley, mit Macht am selbstfahrenden Auto arbeiten - und damit viel früher begonnen haben.

Aber auch die Art, das Unternehmen zu führen, muss sich bei VW ändern (und nicht nur dort). Von oben herab: Das funktioniert nicht mehr in einer Welt, in der man schnell auf technologische Veränderungen reagieren muss - und in der die jungen Talente (auf die kommt es im digitalen Zeitalter besonders an) mehr Freiraum und auch mehr Wertschätzung erwarten als früher.

Aus Wolfsburg dagegen, aber nicht nur von dort, hat man immer wieder Geschichten gehört, wie hierarchisch und autokratisch alles organisiert ist; und wie es Mitarbeitern erging, deren Arbeit den Oberen nicht gefiel, weil sie Fehler gemacht haben. In so einer Kultur der Null-Fehler-Toleranz gedeiht das Duckmäusertum, es werden die Ergebnisse so zurechtgebogen, wie es von oben gewünscht wird - und sei es, indem man Abgastests fälscht.

Am Ende könnte der Abgasskandal daher auch etwas Gutes bewirken. Nämlich dann, wenn man dies bei VW und anderen deutschen Unternehmen zum Anlass nimmt, die eigene Führungskultur und den eigenen Erfolg beständig zu hinterfragen. Die Arroganz des Exportweltmeistertums muss durch ein wenig mehr Demut ersetzt werden - zumal der Exportweltmeister eh längst China heißt.

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