Kirche und Faschismus:Die Geschäfte des Vatikans mit dem Teufel

Papst Pius XI., 1933

Papst Pius XI. (1857-1939) hieß eigentlich Achille Ratti

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Pius XI. begeisterte sich für Italiens "Duce" Mussolini, wie Kirchenforscher David I. Kertzer dokumentiert. Skrupel überkamen den Papst erst kurz vor seinem Tod - wegen Hitler.

Rezension von Hans Woller

Sein Name kommt nur auf einer Seite vor, gleichwohl ist Rolf Hochhuth in David Kertzers Studie über Papst Pius XI. und den italienischen Faschismus omnipräsent. Sein Drama "Der Stellvertreter" war in den 1960er-Jahren ein Welterfolg; die von Hochhuth provozierten Debatten über Pius XII. und den Holocaust sind seither nicht zur Ruhe gekommen. "Hitlers Papst" garantiert noch immer Schlagzeilen.

Aber gilt das auch für seinen Vorgänger Pius XI.? Kertzers deutscher Verlag knüpft mit dem Titel "Der erste Stellvertreter" jedenfalls an Hochhuths Skandalstück an, und auch der Kirchenhistoriker Hubert Wolf schlägt in seinem Vorwort nicht gerade leise Töne an: "Ohne Römische Kurie kein Faschismus, ohne Achille Ratti kein Benito Mussolini, ohne Pius XI. kein Duce". Pius XI. sei der "erste Stellvertreter" gewesen, "der den Faschismus und damit vielleicht auch den Nationalsozialismus überhaupt erst möglich machte". Geschichte kann so einfach sein.

Achille Ratti war von 1922 bis 1939 Papst. In diese Zeit fielen Ereignisse von welthistorischer Relevanz: die Machtergreifung Mussolinis, die Lateranverträge von 1929, das Konkordat mit dem Deutschen Reich 1933 und die Rassengesetze des faschistischen Regimes 1938. Überall war der Papst - so oder so - beteiligt.

Die Literatur darüber füllt ganze Bibliotheken, ohne dass die Forschung zu einem Konsens gefunden hätte; auch Pius XI. steht schon lange im Zentrum eines zähen Meinungsstreits. Daran hat sich nach der Öffnung der Vatikanischen Archive für die Amtszeit von Pius XI. im Jahr 2006 wenig geändert. Zahlreiche Forscher haben seither Neues über die Politik des Vatikans zutage gefördert.

Mussolinis Agenten saßen überall

Kertzer bereichert diesen Kenntnisstand, während ihm der Faschismus und Mussolini ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Er hat sich nämlich nicht damit begnügt, die neu zugänglichen kirchlichen Akten zu konsultieren. Kertzer zieht auch staatliche italienische Dokumente heran, unter denen die Berichte faschistischer Spitzel im Herzen des Katholizismus besonders brisant sind. Mussolinis Agenten saßen überall, sie hörten mit und schrieben auf, was ihnen in der Gerüchtekirche des Vatikans zu Ohren kam.

Was kann Kertzer nicht alles auftischen! Hinter den Mauern des Kirchenstaates toben erbitterte Machtkämpfe, der Papst wird abgeschirmt, überspielt und ausgeschaltet, in seiner Nähe treiben Päderasten ihr Unwesen.

Moralisches Versagen mag man der Kirche hier vorwerfen und diesen Vorwurf mit guten Gründen erneuern, wenn es um das Verhältnis zum Faschismus geht. Das ist Kertzer aber nicht genug. Angetrieben und mitgerissen von einem rätselhaften Enthüllungsfuror spricht er von "Partnerschaft", gar von einem "geheimen Pakt" zwischen Papst und Mussolini, der namentlich für den "Duce" lebenswichtig gewesen sei.

Die Belege für diese prallen Thesen sind allerdings dünn. Das, was Kertzer und andere vor ihm ausgegraben haben, eignet sich nicht zum Bildersturz. Es dient höchstens der Ergänzung einer alten öffentlichen Debatte über die politischen Do-ut-des-Geschäfte zwischen der katholischen Kirche und dem faschistischen Regime.

Nicht wenige dieser Geschäfte hatten mit weltanschaulichen Affinitäten zu tun; Kirche und faschistischer Staat waren sich einig in der Ablehnung von Kommunismus und Demokratie; beim Papst selbst muss schließlich eine gehörige Portion Patriotismus in Rechnung gestellt werden.

Pius XI. begeisterte sich für Mussolinis Visionen von italienischer Pracht und Größe und räumte dem "Duce" deshalb viel Kredit ein. Mussolini griff der Kirche finanziell unter die Arme, er erlaubte Kreuze in den Schulen und ließ, auf einen Wink des Vatikans, unliebsame Bücher aus dem Verkehr ziehen. Die Kirche revanchierte sich, indem sie kritische Stimmen im eigenen Lager unterdrückte und dem Regime ihren Segen erteilte. Die Verklärung Mussolinis als "Mann der Vorsehung" war nur eine von vielen dieser verbalen Entgleisungen.

Keine Frage: Viele der von Kertzer beschriebenen Geschäfte und Kompromisse waren faul. Namentlich gilt das für die fast wortlose Hinnahme der Rassengesetze von 1938, die Juden das Leben in Italien unmöglich machen sollten. Pius XI. war selbst nicht frei von antisemitischen Ressentiments. Juden zu diskriminieren, brachte ihn nicht um den Schlaf. Er duldete sogar fanatische Judenfeinde in seiner Umgebung, die noch in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre ihr Gift im Osservatore Romano und der Civiltà Cattolica, dem Kampfblatt der Jesuiten, verspritzten.

Am Ende seiner Tage haderte Pius XI. mit sich

Kirche und Faschismus: Diktatoren und Polit-Partner: Adolf Hitler (li) und der italienische Ministerpräsident und Duce Benito Mussolini auf der Fahrt durch Florenz

Diktatoren und Polit-Partner: Adolf Hitler (li) und der italienische Ministerpräsident und Duce Benito Mussolini auf der Fahrt durch Florenz

(Foto: DB/dpa)

Von hier aus war es nicht weit zu dem von Kertzer mit Recht angeprangerten Deal vom 16. August 1938. Der Papst verpflichtete sich darin, zur Judenpolitik Mussolinis zu schweigen, während der "Duce" im Gegenzug versprach, die Katholische Aktion in Ruhe zu lassen, jene Laienorganisation, die dem Papst besonders am Herzen lag, weil er in ihr ein wichtiges Instrument zur Rechristianisierung Italiens erblickte.

Das heißt aber nicht, dass die Kooperation zwischen Papst und "Duce" ungetrübt gewesen wäre. Sie stand von Beginn an im Zeichen lauernder Skepsis; man traute einander nicht über den Weg.

Kertzer verschweigt die daraus resultierenden Konflikte nicht, er gibt ihnen aber analytisch kein Gewicht. Dabei kann auch er nicht übersehen: Der Gegensatz zweier Weltanschauungen, die auf je ihre Weise den ganzen Menschen beanspruchten, war unüberbrückbar und durch keinen noch so geheimen Pakt zu entschärfen.

Der seit Längerem bekannte Deal vom August 1938 hielt denn auch nicht lange. Der Papst fand häufig Mittel und Wege, um seine abweichende Meinung kundzutun, und Mussolini träumte nicht nur einmal davon, der Kirche als Konkurrenzinstanz den Garaus zu machen.

Mussolini raste, als der Pontifex maximus schon im September 1938 vor einer Gruppe von Katholiken sagte: "Im geistigen Sinne sind wir alle Semiten." Pius XI. zog aus dieser Einsicht nur halbherzige Konsequenzen.

Eindringliche Warnung vor Hitler

Ganz so viel hatte er für die Juden dann doch nicht übrig, als dass er den großen Konflikt mit dem faschistischen Regime riskiert hätte; er sah im "Duce" immer noch einen Mann, mit dem man reden konnte und der vielleicht sogar Hitler zu bremsen vermochte.

Pius XI. verwickelte die Regierung aber in eine zähe Auseinandersetzung über die Frage, wie mit zum Katholizismus übergetretenen Juden und den Ehen zu verfahren sei, die diese Konvertiten mit Katholiken geschlossen hatten. Außerdem warnte er seine Landsleute und Mussolini eindringlich vor einem Bündnis mit Hitler, den er bereits 1937 scharf angegriffen hatte.

Schließlich bereitete Pius XI. nicht nur einen Weckruf gegen Rassismus und Judenverfolgung, sondern auch eine Enzyklika über diese brennenden Themen vor. Er haderte mit sich und seinen Versäumnissen und wollte am Ende seiner Tage doch noch ein klares Zeichen setzen.

Der Tod nahm dem Papst im Februar 1939 diese Dinge aus der Hand. Aber nicht nur er - das gleiche Geschäft besorgten zuvor seine engsten Berater. Eine besondere Rolle spielte dabei der spätere Pius XII., dessen Seligsprechungsverfahren in die entscheidende Phase getreten ist.

Er verhinderte als Kardinalstaatssekretär alles, was die "Zusammenarbeit des Vatikans mit dem (faschistischen) Regime stören konnte". Und er war es auch, der den bereits gedruckten Weckruf vernichten ließ und die Entwürfe für eine Enzyklika in die Archive verbannte. Zwei Tage nach seiner Wahl zum Papst versicherte er dem deutschen Botschafter, dass er eine Ära der Verständigung mit der NS-Regierung anstrebe. Sein Vorgänger dürfte sich im Grab umgedreht haben.

Neu sind auch diese Einsichten nicht. Kertzer selbst hat bereits vor 15 Jahren darüber berichtet. Sein mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Buch ist keine Sensation und auch kein Musterbeispiel angelsächsischer Geschichtsschreibung.

Mut zur Zurückhaltung und zur ausgewogenen Deutung hätten dem Werk ebenso gutgetan wie weniger historische Detailmalerei, die am Ende alles zu überwuchern droht. Erzählkunst in allen Ehren, sie darf aber kein Selbstzweck sein und kann differenzierte Analysen nicht ersetzen.

David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter. Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. Aus dem Englischen von Martin Richter. Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2016. 608 Seiten, 38 Euro. E-Book: 31,99 Euro.

Hans Woller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Im Frühjahr 2016 veröffentlichte er im Verlag C.H. Beck eine Mussolini-Biografie.

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