Torsten Frings:Der Brummbär lernt dazu

Als Spieler war Torsten Frings feurig, motzig und der Leutnant von DFB-Capitano Ballack. Doch der neue Trainer von Darmstadt 98 hat sich für die Zweitkarriere verändert.

Von Philipp Selldorf, Köln

Aus gegebenem Anlass übermittelte die Deutsche Presse Agentur am Mittwoch einen Überblick über den Verbleib der Hauptdarsteller des sogenannten Sommermärchens aus dem Jahre 2006. Die meisten der alten deutschen WM-Helden machen sich laut dieser Übersicht heutzutage als Experten im Fußball-Fernsehen um das Gemeinwohl verdient, es gibt aber auch ein paar beachtliche Ausnahmen: Während die ehemaligen DFB-Kicker Bernd Schneider und Mike Hanke in der dpa-Liste als "Privatiers" geführt werden, firmiert Tim Borowski als "Mitbegründer eines Social-Media-Live-Tickers" - und David Odonkor als Sportlicher Leiter des Oberligaklubs Hammer SpVgg.

Den spektakulärsten Ausnahmefall aber stellt zweifellos Torsten Frings, 40, dar. Bei ihm wird vermerkt: Trainer von Darmstadt 98.

Zweifellos hätte sich Frings einen leichteren Job für den Einstieg in die Cheftrainerkarriere aussuchen können. Darmstadt hat zuletzt acht Spiele hintereinander in der Bundesliga verloren und steht ziemlich folgerichtig auf dem letzten Tabellenplatz. Logischerweise gehen beide Seiten mit dem Bündnis ein Wagnis ein: Frings besitzt in seinem neuen Beruf bisher lediglich die Erfahrung von zwei Jahren Co-Trainer-Diensten an der Seite von Viktor Skripnik bei Werder Bremen. Ursprünglich hatten die Klub-Verantwortlichen auch andere Vorstellungen, als sie den Platz des kürzlich entlassenen Trainers Norbert Meier zu ersetzen suchten. Unter anderen hatten die ernstfallerprobten Bruno Labbadia und Holger Stanislawski auf der Kandidatenliste gestanden, beide mochten sich auf das Abenteuer aber nicht einlassen.

Daher meldete am Dienstag die klubinterne Findungskommission die Übereinkunft mit Frings. Präsident Rüdiger Fritsch erklärte dazu außer dem Üblichen auch Folgendes: "Bei Frings spüren wir das berühmte Feuer."

Ein feuriger Fußballer ist der in Würselen bei Aachen geborene Frings zweifellos über all die Jahre gewesen. Seine Karriere führte ihn zum FC Bayern und zu Borussia Dortmund, richtig heimisch war er aber vor allem bei Werder Bremen und in der Nationalmannschaft, für die er 79 Länderspiele bestritt. Das positive Temperament, das ihn auf dem Platz auszeichnete, hat er jenseits des Spielfelds allerdings manches Mal vermissen lassen. Frings trat in der Öffentlichkeit oft nölig und nörgelig auf, die demonstrativ schlechte Laune gehörte zu seinen Markenzeichen.

Besonders kultivierte er diese Eigenheiten in seiner späten Rolle als Leutnant des Capitanos Michael Ballack. Er selbst fand dafür vor anderthalb Jahren in einem kicker-Interview die passenden Worte: Eigentlich müsste er sich im Nachhinein für seine Art "bei jedem meiner Trainer entschuldigen", sagte er, "ich war als Spieler schnell motzig. Als Trainer merke ich jetzt: Wenn du etwas vorgibst, willst du, dass es umgesetzt wird. Ich glaube, einen wie mich würde ich auch mal vor die Tür setzen". So viel kritische Selbsterkenntnis hätte man dem bekennenden Brummbär vor einigen Jahren gar nicht zugetraut.

Von Aachen bis Toronto - Die Fußball-Karriere von Torsten Frings

Spieler

1990 - 1997 Alemannia Aachen

1997 - 2002 Werder Bremen

2002 - 2004 Borussia Dortmund

2004 - 2005 FC Bayern München

2005 - 2011 Werder Bremen

2011 - 2013 FC Toronto

2001 - 2009 79 DFB-Länderspiele (10 Tore)

Größte Erfolge: WM-Zweiter 2002, EM-Zweiter 2008 - Deutscher Meister 2005 - DFB-Pokalsieg 1999, 2005, 2009 - Kanadischer Meister 2012.

Trainer

2013 - 2014 Co-Trainer Werder Bremen II

2014 - 2016 Co-Trainer Werder Bremen

ab 2017 Chefcoach SV Darmstadt 98

Wenn Beteiligte vom SV Werder über Torsten Frings, den Trainer, sprechen, dann sprechen sie zwar weiterhin über den altbekannten "Fringser", aber offenkundig auch über einen Mann, der einiges dazugelernt hat. Von einem "sehr angenehmen Kollegen" ist die Rede, "sozial eingestellt und hilfsbereit über das Berufliche hinaus". Vokabeln wie "nachdenklich", "lernwillig" und "ehrgeizig" fallen.

Im Ganzen ergibt sich da inzwischen ein Bild, das sich deutlich unterscheidet von dem bekannten Portrait des Fußballers, der bloß seine Sicht der Dinge gelten lässt. Frings' Abschied aus der Nationalelf war, wie bei Michael Ballack, kein harmonischer. Lange verweigerte er sich der Einsicht ins Unvermeidliche. Heute lobt er Jogi Löws kunstvolle Menschenführung ("Jeder fährt einfach unheimlich gern zur Nationalmannschaft").

Auch der DFB-Trainerausbilder Frank Wormuth hat Frings während des Fußball-Lehrer-Kurses als "sehr offenen, geraden Menschen" kennengelernt. "Das Wort ,demütig' ist hoch gegriffen", sagt er, "aber in diese Richtung ging es bei ihm auf jeden Fall. Er ist bei seiner Ausbildung den harten und langen Weg gegangen, und am Ende hat er zu mir gesagt: ,Jetzt habe ich den Führerschein, aber ich kann immer noch nicht richtig fahren'." Weshalb Frings zunächst auch sehr zufrieden damit war, in Bremen die Co-Trainer-Stelle bei seinem früheren Mitspieler Skripnik einnehmen zu dürfen.

Im August 2015 hat Frings erzählt, dass er immer schon gewusst habe, eines Tages als Trainer arbeiten zu wollen. Diesen Satz hört man oft, und oft ist es doch nur eine Floskel. In seinem Fall könnte es stimmen. Sein Vorgehen in der Ausbildung, die mit dem Erwerb der Elite-Jugendlizenz begann, sei immer "durchdacht und geplant" gewesen, sagt Wormuth: "Er hat erkannt, dass Trainer und Spieler im Fußball zwei unterschiedliche Jobs sind, und dass man als Trainer mehrdimensional denken muss." Dass der Job in Darmstadt und das Auftragsziel Klassenerhalt eine besondere Herausforderung sind, das muss man nicht betonen. Aber er hat "einen großen Vorteil", meint Wormuth: "Die Erwartungen sind nicht so groß, er kann nicht viel verlieren. Ich hoffe bloß, dass die Verantwortlichen das Engagement zumindest mittelfristig anlegen. Wenn es nur um ein halbes Jahr und den Klassenerhalt ginge, dann wäre das nicht sehr sinnvoll."

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