Schwabing:"Die Leute sind keine Rocker mehr"

Schwabing: Was das Heavy-Metal-Herz begehrt: das Candies-Schaufenster am Wedekindplatz.

Was das Heavy-Metal-Herz begehrt: das Candies-Schaufenster am Wedekindplatz.

(Foto: Robert Haas)

Wenn in Schwabing die Heavy-Metal-Boutique Candies schließt, verschwindet auch: Münchens größte Auswahl an Totenkopfringen.

Von Stefan Mühleisen

Nächstes Jahr, am 13. Juni, wird Michael "Duff" McKagan wieder einmal in der Stadt sein. Und dem Bassisten der Hardrock-Band Guns n' Roses könnte vor dem Konzert im Olympiastadion einfallen: Hey, wenn ich schon in der Stadt bin, schaue ich noch bei meinem alten Rocker-Ausstatter in Schwabing vorbei. Dort aber wird ihm dann womöglich ein "what a shame!" - wie schade! - entfahren. Denn das Geschäft gibt es dann nicht mehr: Die "Candies"-Boutique am Wedekindplatz schließt an diesem Freitag - nach 38 Jahren. "Ich habe keine Lust mehr; die Menschen sind keine Rocker mehr", sagt Holger Fischer.

Rocker - damit sind nicht dubiose Gruppierungen à la Hells Angels gemeint. Sondern die Subkultur mit rauer Gitarrenmusik und verwegener Montur. Der Laden des 70-Jährigen war jahrzehntelang eine große Nummer für jene, die sich als Rock 'n' Roller ausstaffieren wollten. Wer den Chic in Leder und Nieten schätzt, war bei Fischer richtig - eine wahre Größe der Szene, in der Outfit und Lifestyle des Heavy Metal die Zeitläufe überlebt haben.

Räumungsverkauf bei Heavy-Metal-Boutique "Candies" in München, 2016

Räumungsverkauf: Holger Fischer trennt sich von seinem Laden in Schwabing.

(Foto: Robert Haas)

An diesem Vormittag sind zwei Kunden im Laden, sie begutachten allerlei Ohrringe, Anhänger und Ringe, auf denen sich mal grimmig, mal freundliche dreinschauende Totenköpfe finden; auf Gürtelschnallen glänzen Seeadler und Löwenköpfe, an der Tür hängen Aufnäher von AC/DC und Iron Maiden. Silberne Schwerter, Skelette, Fledermäuse warten darauf, ans Ohr gesteckt oder um den Hals gehängt zu werden. Kunde Thomas Sperling, 49, blättert durch die Batterie an Lederjacken an der Kleiderstange. Mit 19 Jahren, so erzählt er, hatte er hier eine Jacke entdeckt, die er unbedingt haben wollte. Er hat sie immer noch - als Erinnerung an eine Zeit, "als die Jugend noch wilder war".

Es war die Zeit, Anfang der Neunzigerjahre, in der prominente Musiker und Künstler ganz wild auf Fischers Sortiment waren. Der 70-Jährige wirkt gut 15 Jahre jünger, ein leutseliger Kumpeltyp, dem man ohne Bedenken die heilige Lieblings-Lederjacke leihen würde. Er deutet an die Wand, an der signierte Fotos und Poster hängen, darunter auch eines von "Duff" McKagan. Die Kopie eines Kassenzettels vom 13. Oktober 1993 dokumentiert, dass der Musiker damals 553,60 D-Mark ausgegeben hat. "Ich bin der Duff, hat der sich vorgestellt", erzählt Fischer, "dann haben wir uns eine Stunde unterhalten."

Acht Tage später schneite Peter Maffay herein, auch er ist mit Foto und Kassenzettel, Summe: 600 D-Mark, an der Wand verewigt. "Mann, da hab ich geschaut, wie klein der ist", erinnert sich Fischer und weist darauf hin, dass Maffay auf dem Bild die Jacke aus seinem Laden trägt, "Größe S", wie er hinzufügt. Zu seinen Kunden zählten außerdem: David Lee Roth, Garry Moore oder Udo Lindenberg. Letzterer, so entsinnt sich Fischer lachend, sei "mit seinem ganzen Hofstaat aufgekreuzt". Society-Girl Paris Hilton sei einmal herein und wieder hinausgestöckelt, derweil Bodyguards vorm Laden warteten. Fischer berichtet, dass viele Künstler damals in Schwabinger Hotels abstiegen, sich einkleiden wollten - und deren Management sein Geschäft auf dem Schirm hatte.

Den kleinen Laden hatte ursprünglich seine damalige Frau als Kleider-Boutique angemietet. Auf Reisen durch Amerika hatte Fischer faszinierende Läden gesehen mit allem, was das Rockerherz begehrt. Er dachte: So etwas fehlt in München. Nach der Trennung von seiner Frau behielt er das Geschäft, schmiss mit 32 Jahren das BWL-Studium hin sowie die konventionellen Klamotten hinaus. Von 1978 an war das 30 Quadratmeter große "Candies" der heiße Tipp fürs Rabauken-Outfit. Doch in neuerer Zeit haben ihm viele Kunden das Geschäft, das auch eine Lebenseinstellung war, vermiest. "Die kommen rein, machen ein Foto von einer Lederjacke. Dann stellen sie es ins Internet und schreiben dazu: Wer ist billiger?" Oder sie halten ihm das Handy vor die Nase und sagen, er soll runter mit dem Preis, denn andere seien günstiger. "Da habe ich keine Lust mehr drauf", sagt Fischer.

Schwabing: Einmalig in München: die größte Auswahl an Totenkopfringen.

Einmalig in München: die größte Auswahl an Totenkopfringen.

(Foto: Robert Haas)

Indes: Jede Menge Fans des raubeinigen Geschmacks deckten sich bis zuletzt bei Fischer ein, vom Zwölf- bis zum 60-Jährigen. Viele schauten in den vergangenen Wochen für einen Abschiedseinkauf vorbei, darunter auch das Altschwabinger Original Wolfgang Roucka von der Galerie am Wedekindplatz: "Der Laden war eine Institution, ein Teil des originellen und lebendigen Schwabing."

Allein, zur Lebendigkeit Schwabings wird dieses Ladengeschäft auch weiter beitragen, nur anders: Laut Hauseigentümerin Petra Heberlein wird im April oder Mai eine Eisdiele eröffnen. Betreiber soll der Familienbetrieb um Vittorino da Lozzo sein, der in München bereits fünf Filialen unter dem Namen "Il Gelato Italiano" führt. "Wir hoffen, dass das den Wedekindplatz aufpeppt", sagt Heberlein. 50 Eissorten soll es geben. Vielleicht kann dann auch Altrocker "Duff" McKagan nicht widerstehen.

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