Terror:Am Anfang ist die Angst

Terror: Fassungslosigkeit bei den Ersthelfern: Der Anschlag auf den beliebten Nachtklub in Istanbul schockiert die Bewohner der Metropole.

Fassungslosigkeit bei den Ersthelfern: Der Anschlag auf den beliebten Nachtklub in Istanbul schockiert die Bewohner der Metropole.

(Foto: AFP)

Es hätte New York treffen können, Berlin, Paris - es traf diesmal Istanbul. Die Hoffnung, dass 2017 besser wird als 2016, verfliegt am ersten Tag. Die Angst ist wieder da. Das ist die perverse Logik des Terrors.

Kommentar von Stefan Ulrich

Gemäß der perversen Logik des Terrors ist es der ideale Zeitpunkt: die Silvesternacht. Menschen in aller Welt wünschen sich ein frohes neues Jahr - und diesmal ganz besonders ein friedliches. Das Prinzip Hoffnung regiert in dieser Nacht, denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Natürlich spüren alle, die auf den Straßen und in den Lokalen der Metropolen feiern, dass die Gefahr nahe sein kann. Doch sie wissen auch, dass die Staaten ihre ganzen Sicherheitsapparate aufgeboten haben. Und sie sind ja nicht allein. Die Masse verheißt Geborgenheit. Freudenfeuer und Champagner tun ein Übriges, um die Angst zu bannen.

Exakt in diesem Augenblick schlägt der Terror zu. Denn Terror ist es, den der oder die Täter im Nachtclub Reina in Istanbul verbreiten, unabhängig davon, wer dafür die Verantwortung trägt, die Mördermiliz Islamischer Staat, eine kurdische Verbrechergruppe oder eine Mafia. Das Kalkül des Schreckens ist aufgegangen. Die Welt erwacht am Neujahrsmorgen, die Hoffnung, dass 2017 besser wird als 2016, verfliegt. Die Angst ist wieder da.

Es hätte New York treffen können in dieser Nacht, oder Berlin, oder Paris. Denn die Staaten können die Gefahr nur reduzieren, aber nicht eliminieren. Es traf Istanbul, die Türkei, ein Land, in dem unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Sicherheit besonders großgeschrieben wird. Ihr wird derzeit vieles untergeordnet in der Türkei, die Meinungsfreiheit oder die Pressefreiheit zum Beispiel. Erdoğan hat den Rechtsstaat geopfert und den Bürgern versprochen, ihnen dafür Schutz zu bieten. 17 000 Polizisten sollen an Silvester in der Stadt am Bosporus im Einsatz gewesen sein, der betroffene Club war offenbar besonders bewacht. Genützt hat es nichts.

Es ist nicht leicht für die europäischen Staaten, der Türkei richtig beizustehen

Die Türkei ist zu einem autoritären und unsicheren Land geworden. Das sollten auch all jene in Deutschland bedenken, die das Heil vor allem in schärferen Gesetzen und mehr Überwachung suchen.

Es ist nicht leicht für die europäischen Staaten, ihrem Freund, der Türkei, in dieser Zeit richtig beizustehen. Sie haben besonders sorgfältig zu unterscheiden: Die türkische Nation und ihre Bürger müssen im Kampf gegen den Terror jede Solidarität und jede rechtsstaatlich mögliche Unterstützung erhalten. Wer die Türkei angreift, der greift Europa an. Wer Terror verbreitet, attackiert die ganze Menschheit. Gleichzeitig muss Präsident Erdoğan klar kritisiert werden, wenn er, wie in den Stunden vor und nach dem Anschlag von Istanbul, den Terrorbegriff auf jede Art von Opposition zu seiner Regierung ausdehnt und so mit dazu beiträgt, ein Klima der Angst zu erzeugen und die Gesellschaft zu schwächen.

Eine starke Regierung und ein starker Staat haben es nicht nötig, das Recht zu beugen, Kritik zu ersticken und Opposition mundtot zu machen. Im Gegenteil. Sie wissen, dass sie im Kampf gegen den Terror vor allem eines brauchen: eine selbstbewusste, mutige, freie und damit starke Gesellschaft. Nur sie kann dem Terror seine Atombombe nehmen: die Angst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: