TV-Geschichte:Das flimmernde Klassenzimmer

TV-Geschichte: Telekolleg Geschichte (1966) mit Dr. Helmut Dotterweich.

Telekolleg Geschichte (1966) mit Dr. Helmut Dotterweich.

(Foto: BR/Foto Sessner)

Als vor 50 Jahren zum ersten Mal das "Telekolleg" ausgestrahlt wurde, galt das Format als bildungspolitisches Versprechen. Heute sieht es noch fast so aus wie damals - und ringt um Bedeutung.

Von Benedikt Frank

Eine Anleitung zum möglichst richtigen Umgang mit einem Fernsehapparat braucht heute vermutlich niemand mehr. Vor 50 Jahren aber riet der Bayerische Rundfunk seinem Publikum noch Folgendes: Man möge es sich bequem machen, aber bitte bloß nicht im Liegesitz. Die Zuschauer sollten pünktlich sein und keinesfalls im Programmheft blättern oder sich gar nebenher unterhalten. Der BR verlangte "einen aufgeweckten Beobachter, der ohne Unterbrechung und ohne Ablenkung mitarbeitet". Das klang wie in der Schule, aber genau darum ging es ja auch: Am 2. Januar um 19 Uhr wurde im BR der damals noch "Studienprogramm" hieß, eine Englisch-Lektion ausgestrahlt, die erste Unterrichtsstunde des Telekolleg.

Heute findet das Programm des Telekolleg nur noch auf ARD Alpha statt, dem Bildungskanal des BR, täglich um 18.30 Uhr. Wer beim Durchzappen zufällig auf einer der Sendungen hängen bleibt, der betritt eine völlig andere Fernsehwelt als die des quotenoptimierten Hauptprogramms. Das Telekolleg ist das Gegenteil von Unterhaltung. Es ist Zweckfernsehen in Reinform, das die Bürokratie des bayerischen Kultusministeriums tief inhaliert hat und nun antiquierte Gemächlichkeit ausdünstet. Selbst neuere, nur etwa zehn Jahre alte Produktionen wirken so viel älter, als sie in Wirklichkeit sind. Dem Programm ist nicht anzusehen, dass es einmal ein neues und aufregendes Modellprojekt der Bildungspolitik war, für das sich sogar die Unesco und der Europarat interessierten. Pünktlich zum Jubiläum gibt es nun auch Pläne, dieses alte Angebot in die Gegenwart zu retten.

Die äußere Form der Telekolleg-Sendungen war schon immer von Langsamkeit und didaktischer Überdeutlichkeit bestimmt. Es war nie Priorität, besonders ästhetisch zu sein. Stattdessen sollten Schüler die Inhalte mitdenken können. In den Sprachkursen der Achtzigerjahre, wie sie etwa der bärtige Englischlehrer Graham Pascoe moderierte, spielten darum starr artikulierende Schauspieler teils bizarr künstlich wirkende Szenen, die von Loriot und vielen nach ihm als Einladung zur Parodie verstanden wurden. Dabei waren gerade diese vermeintlichen Alltagsszenen eine willkommene Abwechslung zum bis heute das Telekolleg bestimmenden Frontalunterricht.

Heute machen nur noch zwei Bundesländer mit. Vor 15 Jahren waren es noch sechs

Das Telekolleg ist allerdings auch nicht für normale TV-Zuschauer vorgesehen, selbst wenn diese trotzdem manchmal einschalten. Wer unverbindlich sein Wissen erweitern will, der kann auch modernere und ansprechendere Formate finden; in den vergangenen 50 Jahren hat sich in Sachen Wissensvermittlung im Fernsehen ja vieles getan, ein Privatsender wie Pro Sieben macht mit Sachgeschichten fürs Popcorn-Publikum bei Galileo sogar richtig Quote. Der leicht konsumierbare Aha-Effekt für jedermann.

Das Telekolleg dagegen ist nicht nur Allgemeinbildungsfernsehen, sondern es bereitet auf einen staatlich anerkannten Abschluss vor. Wer sich gegen eine Gebühr einschreibt - zum Start 1967 waren es 25 Mark, heute sind es 335 Euro, vor allem für Bücher - der soll es durch 350 Sendungen in 14 Fächern in 20 Monaten bis zum Fachabitur bringen. Das Ideal hinter dem Telekolleg, Bildung für alle zu ermöglichen, ist zeitloser und fortschrittlicher, als die Gestaltung der einzelnen Sendungen es vermuten lässt.

Während andere Wissenssendungen womöglich auch zum Schulunterricht passen können, folgt das Telekolleg den Lehrplänen der Kultusministerien. 1967 war es Teil der Bildungspolitik der CSU. Der damalige BR-Intendant Christian Wallenreiter half dem Kultusminister Ludwig Huber aus, denn die bayerische Landesregierung musste mehr für die Bildung der ländlichen Bevölkerung tun. Das Fernsehen sollte den Unterricht in die Dörfer bringen, auch weil das einfacher ist, als viele verstreute Schüler zu den Fachoberschulen in die städtischen Zentren zu karren. Berufstätige konnten die Ausbildung zudem neben der Arbeit absolvieren. Auch Hausfrauen wollte man ansprechen; bis heute wird auch zugelassen, wer vier Jahre lang einen Familienhaushalt geführt hat. Außerdem nahmen viele Soldaten das Angebot wahr. Das Telekolleg war in den Sechzigerjahren ein Versprechen auf einen besseren Schulabschluss und somit auf bessere Berufschancen. Für Werner Reuß, der heute beim BR als Leiter des Bereichs Wissen und Bildung für das Programm zuständig ist, ist es das noch immer: "Das Telekolleg ist wie ein Gutschein für bessere Zukunftschancen." Diesen Gutschein sollen bisher mehr als 65 000 Absolventen eingelöst haben. Viele unterschätzen aber auch den Aufwand und brechen die Ausbildung wieder ab. Beim BR ist man trotzdem stolz, nach Fach- und Berufsoberschule die meistgefragte von 14 Möglichkeiten zu sein, eine Hochschulberechtigung zu erlangen; die Teilnehmerzahlen sind in den vergangenen Jahren gesunken.

Die Sendungen selbst produziert der BR, die Lehrer für die Wochenendkurse bezahlen die Bundesländer, die an dem Programm teilhaben. Derzeit sind das nur noch Bayern und Brandenburg, vor 15 Jahren waren noch Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland dabei. Zu einer bundesweiten Bedeutung des Telekolleg würde man auch beim BR gerne wieder zurückfinden. Den heutigen Machern ist aber auch klar, dass die derzeitige Form dafür nicht gerade ideal ist. Werner Reuß erklärt, das Unterrichtsprogramm sei immer wieder an einzelnen Stellen nachgebessert worden, um etwa veraltete Inhalte den neuen Lehrplänen anzupassen. "Eine Straße ewig zu flicken, ergibt keinen Sinn", meint er nun und wünscht sich für das Programm: "Wir wollen neu für das Internet produzieren."

Alte Telekolleg-Sendungen könne man laut Werner Reuß nicht mehr ins Netz stellen, teilweise seien etwa die Rechteinhaber gestorben. Die Fernsehausstrahlung alleine hält er aber auch nicht mehr für zeitgemäß. Um dem Dilemma zu entkommen, möchte er das Telekolleg am liebsten ganz neu erfinden: Statt menschlicher Lehrer könnten digitale Animationsfiguren den Unterricht präsentieren.

Und dann wartet da noch ein Plan auf Genehmigung durch die BR-Gremien, der neue Zielgruppen erschließen soll: Die Kernfächer Deutsch, Mathe und Englisch soll das Telekolleg auch für das Gymnasium anbieten. Nicht wie bisher mit Blick auf einen Abschluss, der durch das Fernsehen erworben werden kann; sondern, ganz zeitgemäß, als Video-Nachhilfekurs.

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