Multimedia:Nürnberg in 30 Minuten

Eine Ausstellung im Stadtmuseum präsentiert die Geschichte von der heimlichen Hauptstadt des Alten Reichs über die Nazi-Okkupation bis zum Aufbau nach dem Krieg. In einer halben Stunde. Das ist gewagt, aber es funktioniert

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wenn es ein Datum gibt, das exemplarisch für die Sonderrolle der Stadt Nürnberg im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation steht, dann der 22. März 1424. An diesem Tag, morgens um neun Uhr, trafen vermeintliche Fischhändler in der Stadt ein. Angeliefert wurden allerdings nicht Makrelen oder anderes Meeresgetier, das mit den Fischen war reine Tarnung. In Wahrheit wurden an diesem Tag die Reichskleinodien überstellt, der Krönungsschatz des Reiches also, die Insignien kaiserlicher Macht. Für alle Zeiten, so jedenfalls war es gedacht, sollten Reichskrone, Zepter und Reichsapfel in Nürnberg aufbewahrt werden. Und dort war alles vorbereitet: Der Stadtrat und die Handwerkerschaft gaben sich die Ehre, Kinder begleiteten als Engel verkleidet die Ankunft der angeblichen Fischhändler, der Hauptmarkt muss einem Rummel geglichen haben.

Wie kein anderer ins Bild gesetzt hat diesen Augenblick später der Historienmaler Paul Ritter, sein wandgroßes Ölgemälde ist eines der zentralen Werke der neuen Dauerausstellung "Krone - Macht - Geschichte" im Nürnberger Stadtmuseum. Die Schau verfolgt einen fast schon aberwitzigen Ansatz: Die Geschichte der heimlichen Hauptstadt des Alten Reiches, Stadt der jeweils ersten Hoftage nach der Königswahl, Stadt von Dürer und Hans Sachs, Stadt der ersten Kunstakademie Deutschlands und wenig später bedeutendster Industriestandort im Königreich Bayern, die Stadt der Nürnberger Rassengesetze, NS-Reichsparteitage und Nürnberger Nachkriegsprozesse soll per "Medienguide", einem schmalen Tablet, und anhand einiger ausgewählter Bilder und Dokumente innerhalb einer halben Stunde erzählt werden. Nürnberg in 30 Minuten also. Das könnte man kühn nennen, wenn nicht gar aussichtslos. Aber es funktioniert.

Stadtmuseum Nürnberg: Krone - Macht - Geschichte
Foto: Stefan Meyer (bei Namensnennung honorarfrei)

Tausend Jahre Geschichte und über allem schwebt ein Schrein - der Aufbewahrungsort der Reichskleinodien in Nürnberg bis 1796.

(Foto: Museen der Stadt Nürnberg)

Neun exemplarische Stationen haben sich die Ausstellungsmacher der Multivisionsshow ausgedacht, an allen diesen Stationen erzählt jeweils ein Auswärtiger, was Nürnberg in den einzelnen Epochen besonders machte. Da ist zunächst Kaiser Sigismund, der zwar in Nürnberg geboren ist, die Stadt danach aber nur noch als Gast besuchte. Er berichtet, wie es zwar keine offizielle Hauptstadt und keine feste Residenz im Reich gab, er aber nach einem Ort suchte, an dem der Krönungsschatz sicher aufbewahrt werden konnte - schon um ihn vor unrechtmäßigen Gegenkönigen zu schützen. Nürnberg schien dafür regelrecht prädestiniert zu sein: eine feste Burg in der Stadtmitte, robuste Mauern und ein ganz erheblicher Reichtum in der Bevölkerung, sodass das Reich einigermaßen sicher sein konnte, dass die Nürnberger den Krönungsschatz nicht irgendwann arglistig versilberten. Sigismund war es, der die Symbole der Herrschaft zur "ewigen Aufbewahrung" nach Nürnberg überstellte - und zwar in besagtem Fischtransport, den der Historienmaler Paul Ritter in seinem Gemälde 1881 nicht gerade überbetonte. Das Detail wäre dem historistischen Pathos wohl eher abträglich gewesen.

Die Ewigkeit, auch das erfährt man in der Schau, währte in diesem Fall exakt 372 Jahre lang. Danach wurden die Kleinodien in Richtung Wien gebracht, zur Sicherheit vor den napoleonischen Truppen. Erst Hitler sollte sie später für einige Jahre zurück nach Nürnberg bringen, an den Ort der NS-Reichsparteitage. An Station acht, der vorletzten der Multivisionsshow, findet man auch dies dokumentiert: Man sieht, wie zwei SS-Männer die Reichskrone in der Nürnberger Katharinenkirche bewachen. Die Alliierten überführten die Reichskleinodien schließlich zurück nach Wien. In Nürnberg wiederum wurden einige Jahrzehnte später Kopien der Kleinodien angefertigt, die jedoch lange in diversen Rathauskammern verstaubten. Nicht ganz zu Unrecht, denn für eine Präsentation bedarf es dringend einer Einordnung. Diese leistet jetzt die neue Dauerausstellung.

Zur Geschichte von prz über das Nürnberger Stadtmuseum

Der Maler Friedrich Wanderer setzte in seinem Bild "Nürnberg als Bewahrerin der Reichskleinodien" der Sonderrolle der Stadt ein Denkmal.

(Foto: Museen der Stadt Nürnberg)

Deren zentrale Station, die Nummer fünf, ist die einzige, in der auf eine personalisierte Erzählerstimme verzichtet wird. Haben bis dahin der Stauferkaiser Friedrich II., der Böhmenkönig Sigismund, der ungarische Migrant und Goldschmiedemeister Albrecht Dürer der Ältere und der Wittenberger Professor Philipp Melanchthon, engster Weggefährte Luthers, ihre Perspektive auf die Freie Reichsstadt in Franken wiedergegeben, so fehlt an dieser räumlich zentralen Station die Erzählerfigur. Das ist nachvollziehbar, immerhin ist dort zusammengefasst, welche Bedeutung die Reichskleinodien für die Bewohner der Stadt Nürnberg über die Jahrhunderte hinweg hatten - was freilich einem erheblichen Wandel unterworfen war.

Bis zur Reformation glich die einmal jährlich wiederkehrende Präsentation der Kleinodien an der Frauenkirche einem pseudoreligiösen Mummenschanz: Immer um die Osterzeit wurden die Insignien aus einem ebenso diebstahlsicheren wie schwebenden Schrein geholt und samt allerlei Reliquien für kurze Zeit öffentlich ausgestellt. Der Ansturm war stets so enorm, dass Armbrustschützen diese Prozedur absichern mussten. Auch brachten die Pilger nicht selten runde Kleinspiegel mit, um die vermeintliche Heilswirkung der Objekte einzufangen. Ablass, also Linderung von den Höllenqualen, durch säkulare und religiöse Kultgegenstände? Als die Stadt an der Schwelle zur Frühen Neuzeit beschloss, sich der Reformation anzuschließen, änderte sich die Perspektive auf das Ablassgewerbe fundamental. Der Stolz der Nürnberger auf ihre besondere Rolle im Reich aber blieb. Zunächst.

Es ist eine aparte Lösung, dass den Niedergang Nürnbergs von der deutschen Reichs- zur bayerischen Provinzstadt König Ludwig I. erzählt. Der gesteht, dass Nürnberg nach Jahren wirtschaftlichen Niedergangs einen Tiefpunkt erlebt, als sich Bayern die Stadt einverleibt. Gibt sich aber auch als heimlicher Bewunderer zu erkennen, der seine Nebenresidenz auf die Kaiserburg verlegt, und verwirrt ist über das kuriose Nebeneinander, das Nürnberg von da an ziemlich unüberschaubar macht: alte Kaiserherrlichkeit und neue Butzenscheiben-Biederkeit, das Sinnbild deutschen Handwerkerfleißes und die führende Industrie-City Bayerns. Mit "Bratwurst und Maschinenöl" versucht der König das alles auf einen Nenner zu bringen. Man ist da bei Station sieben angelangt, und ahnt, dass der tiefste Tiefpunkt noch bevorsteht. In der vorletzten Station referiert Hermann Luppe, der aus Norddeutschland stammende Oberbürgermeister Nürnbergs bis 1933, mit welchen Problemen er zu kämpfen hat, vor allem mit dem Nazi-Hetzer Julius Streicher. Und danach erzählt der Architekt Sep Ruf, wie er am Wiederaufbau Nürnbergs mitwirkte.

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