Ausstellung:Flucht in die innere Sicherheit

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Annett Zinsmeisters Raum-Konzept-Ausstellung "Urban Shelter?" im BNKR

Von Evelyn Vogel, München

Als Thomas de Maizière vergangenen Sommer ein neues Zivilschutzgesetz vorstellte, war die Aufregung groß - und die Hamsterkäufe waren noch größer. Doch nicht nur, dass auf Grund der Empfehlungen für den analog wie digital verursachten Notfall Kisten und Keller wie zu Omas Zeiten aufgefüllt wurden. Gar nicht wenige Menschen nahmen die Worte des Innenministers zum Anlass, Survivaltrainings zu buchen oder wie zu Zeiten des Kalten Krieges über den Bau von Überlebensbunkern nachzudenken.

Nun ist die Gefahr eines Atomkrieges zwar glücklicherweise wohl weit entfernt. Aber die Bedrohung weltweit ist tatsächlich gestiegen und mit ihr das Sicherheitsbedürfnis. Ausgelöst durch massenhafte sexuelle Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/2016, willkürliche Angriffe auf Menschen in U-Bahn-Stationen und terroristische Anschläge wie dem auf den Berliner Weihnachtsmarkt, wird in Deutschland derzeit vor allem über Kontrolle des öffentlichen Raumes debattiert. Auch deshalb ist die Frage nach dem Schutz von Zivilpersonen im urbanen Raum heute aktueller denn je, wie die Kuratoren des Kunstraums BNKR, der sich in einem umgebauten Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg befindet, weitsichtig erkannt hatten. Auch deshalb luden sie mit Annett Zinsmeister eine Künstlerin ein, die sich schon seit Jahren mit Schutzräumen beschäftigt.

Dabei stellt die Berliner Künstlerin die Schutzmöglichkeit von Menschen vom Mittelalter bis heute in Frage, bezieht unterschiedliche Gefahrenlagen und veränderte technologische Möglichkeiten in ihre Überlegungen ein. Wobei sie auch darauf hinweist, dass die Gesellschaft zwar viel über hoch technisierte und digitalisierte Auseinandersetzungen debattiert, die meisten Kriege aber nach wie vor mit konventionellen Waffen geführt werden.

Geprägt hat die 49-jährige Künstlerin eine persönliche Erfahrung. Noch während ihres Studiums der Kunst, Architektur, Kultur- und Medienwissenschaft ging sie Anfang der Neunzigerjahre nach Sarajevo, wo zu dieser Zeit der Bosnienkrieg tobte. Ein Krieg, der zwischen 1992 und 1995 etwa 100 000 Menschen das Leben kostete und durch Kriegsverbrechen, insbesondere durch das Massaker von Srebrenica, die Bevölkerung traumatisierte.

Wie schützt man sich im Privaten vor Kugel- und Bombenhagel? Zinsmeister sprach mit Menschen, die versuchten, der Hölle zu entgehen. Mitgebracht hat sie aus jener Zeit Aufnahmen von zerschossenen Gebäuden in Sarajevo, die sie in der Negativ-Projektion "Lost Homes" im Keller des BNKR installiert hat. Es ist die vielleicht intensivste Arbeit in dieser Ausstellung. Bilder, die wie verstrahlt wirken und dadurch den Link zu anderen Kriegsthemen darstellen, die Zinsmeister ebenfalls im Untergeschoss anreißt - etwa durch das Nachzeichnen der alten Orientierungsleuchtstreifen des Bunkers oder indem sie künstlerisch auf den Sandfilter zum Schutz vor ABC-Angriffen verweist.

Doch ihr gelingt eine durchaus vielfältige Umsetzung der Themen mit diversen Medien wie Fotografie, Film, Collage und Installation. Eine Projektion widmet sich mittelalterlichen Festungsanlagen und der Genealogie von Städten als Schutzräumen, die in einer Dauerschleife auf Sand von Entwürfen von Idealstädten und utopischen Stadtvisionen überlagert werden. Leuchtkästen im Erdgeschoss sind aus dem Containerprojekt "Urban Hacking" entstanden und zielen vor allem auf visuelle Wahrnehmung von Raum und emotionale Verwirrung. Da steht man dann vor einem flachen Bild, dessen Raumsimulation so täuschend ist, dass man meint, hineingehen zu können. Zinsmeister weiß: Täuschung hat viel mit Toleranz zu tun. Oft sehen wir das, was wir sehen wollen.

Wie treffend das ist, spürt man am deutlichsten in der großen Rauminstallation, durch die man die Ausstellung betritt: Fotografien von Plattenbauten, die wie ein Ei dem anderen zu gleichen scheinen. Zwar macht sich hinter jedem Fenster die Individualität der Bewohner bemerkbar, doch durch die Fotomontage schafft Zinsmeister einen verwirrenden Ort, der in seiner Gleichförmigkeit die Wirklichkeit noch zu übertreffen vermag. Wie viel Schutz strahlt diese Urbanität aus?

Plattenbauten als private Schutzräume gehören zu den frühen Themen der Künstlerin, die mittlerweile bei wichtigen Biennalen und in großen Museumssammlungen vertreten ist. Den Schutzräumen widmet sie sich schon seit gut 20 Jahren. Angesichts der zunehmenden Diskussion über Schutz im öffentlichen, städtischen Raum wird sie dieses Thema garantiert noch lange beschäftigen.

Annett Zinsmeister: Urban Shelter , BNKR, Ungererstr. 158, wieder von 9. Januar an bis 26. Februar, Sa/So, 14-18 Uhr ; Do, 23. Feb., 19 Uhr: Künstlergespräch zu "Raum, Stadt, Sicherheit"

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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