Einsamkeit im Alter:"Man kann doch einen Menschen nicht eingraben wie einen Hund"

Bruck: Waldfriedhof // Armen-Grab // Sozialbegräbnis

Ein schlichtes Kreuz, mehr bleibt nicht: Armengräber auf dem Waldfriedhof im oberbayerischen Fürstenfeldbruck.

(Foto: Johannes Simon)

Keine Familie, keine Freunde, niemand: Im ganzen Land steigt die Zahl der Menschen, die alleine sind und einsam beerdigt werden. Woran liegt das?

Von Andreas Glas

Passau, im Dezember, Friedhof Sankt Korona, ein Dienstagmorgen ohne Sonne. Der Pfarrer zupft an seinem Ärmel, schaut auf seine Armbanduhr, fünf nach elf, fünf Minuten drüber. Die Sargträger stehen rum und rauchen und warten, vielleicht kommt ja doch noch jemand. Daneben, im Leichenhaus, zwischen Betonwänden und Kunstlichtkerzen: ein Sarg aus dünnem Kiefernholz, außen rum zehn Stühle, alle leer.

Wie ausgestorben, könnte man sagen, wäre man nicht auf einer Beerdigung. Der Pfarrer putzt sich die Nase, ein letzter Blick auf die Armbanduhr, kommt keiner, kann losgehen. Der Pfarrer bekreuzigt sich, und als er sagt, "dass wir heute wieder einmal unter uns sind", da möchte man heulen, ohne den Mann im Kiefernholzsarg überhaupt gekannt zu haben.

Eine Stunde zuvor packt Reiner Krieg eine Akte auf einen Schreibtisch im Passauer Rathaus. Auch Reiner Krieg hat den Mann im Kiefernholzsarg nicht gekannt, trotzdem hat er dessen Beerdigung organisiert. Weil es sein Job ist und weil es sonst keiner getan hätte. Reiner Krieg, Technischer Angestellter im Bestattungswesen, blauer Pulli, schwarzer Magnum-Schnauzbart, schlägt die Akte auf, liest vor:

Günther Lorenz (Name geändert), geboren am 30. August 1946, gestorben am 3. Dezember 2016, in einer Pflegefamilie aufgewachsen, ledig, katholisch, keine Kinder, keine Verwandten. "Der Verstorbene war mal auf See", sagt Krieg, hat dort als Koch gearbeitet, das habe ihm dessen Pflegerin im Altenheim erzählt. Mehr wisse er nicht über den Mann im Kiefernholzsarg. Das bisschen, das vom Leben des Mannes übrig ist, passt auf ein DIN-A-4-Blatt.

Das Problem kennt Pfarrer Helmut Reiner, der auch Amtsbestattungen übernimmt und manchmal daran scheitert, mehr über die Verstorbenen herauszufinden. "Aber man kann doch einen Menschen nicht eingraben wie einen Hund", sagt Reiner. Doch es wird für den Pfarrer künftig wohl noch mehr einsame Beerdigungen geben.

Allein in München gab es im Jahr 2015 insgesamt 591 Amtsbestattungen, 2005 waren es nur 322. Und die Zahl der Menschen, die einsam sterben und deren Bestattung die Ordnungsämter organisieren und bezahlen müssen steigt im ganzen Land.

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