Åland-Archipel:Auf den Inseln der Seligen

Åland-Archipel: Zwischen Nacht und Tag: Im Åland-Archipel geht im Juni die Sonne schon fast nicht mehr unter. Die Albanus ankert in der Dämmerstunde im Naturhafen von Kumlinge, einem felsigen und bewaldeten Inselchen.

Zwischen Nacht und Tag: Im Åland-Archipel geht im Juni die Sonne schon fast nicht mehr unter. Die Albanus ankert in der Dämmerstunde im Naturhafen von Kumlinge, einem felsigen und bewaldeten Inselchen.

(Foto: Viola Schenz)

Den Archipel Åland, im Schärenmeer zwischen Schweden und Finnland gelegen, kennt kaum jemand im Rest der Welt. Die Bewohner genießen ihre geliebte Abgeschiedenheit.

Von Viola Schenz

Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, schon geografisch nicht. Es gibt Länder, da scheint alles zu stimmen: Berge, Ebenen, Flüsse, Klimazonen und fruchtbare Böden sind praktisch verteilt und gut nutzbar. Frankreich fällt einem da ein, oder Südafrika. Und dann gibt es Länder, in denen verhält es sich eher ungünstig: die Schweiz mit ihren vielen hohen Bergen und engen Tälern. Australien, dessen Inneres eine einzige Wüste ist. Oder Finnland mit seinen 187 888 Seen und 98 050 Inseln, die entweder im Weg sind oder, im Gegenteil, schwer zu erreichen.

Was machen Länder aus solchen Widrigkeiten? Das Beste. Die Schweiz hat sich längst von der mühsamen Landwirtschaft an Steilhängen verabschiedet und ihre Berge sommers wie winters in einträgliche Touristenziele verwandelt. Die Australier mystifizieren ihre riesige Binnenwüste zum Outback und siedeln entlang der Küsten, dem Strandleben huldigend ("Life is a beach"). Und die Finnen? Die erklärten sich zur seen- und inselreichsten Nation der Welt, streuen ihre Mökkis, die Wochenendhäuschen, an Seen und Inselchen und genießen ihre geliebte Abgeschiedenheit.

Wie gut das gelingen kann, zeigen die Bewohner von Åland, jener Inselregion in der Ostsee, auf halbem Weg zwischen Finnland und Schweden. Sie ist Teil des Schärenmeers, eines der größten Archipele, was aber nichts daran ändert, dass Åland weitgehend unbeachtet von der Welt existiert - und oft genug auch noch missverstanden wird: Korrekt ausgesprochen klingt "Åland" nämlich fast wie "Holland". Was soll's, sagen sich die Ålander, wir sind dennoch was Besonderes, nämlich eine entmilitarisierte und autonome Region.

Åland-Archipel: SZ-Karte

SZ-Karte

Bis ins 19. Jahrhundert gehörte die Inselgruppe zu Schweden, dann fiel sie an Finnland, das damals Teil des Zarenreichs war. Als Finnland 1917 in den Wirren der russischen Oktoberrevolution unabhängig wurde, wollten sich die schwedisch geprägten Ålander Schweden anschließen. Das allerdings wollte die gerade geschaffene finnische Republik nicht zulassen. 1921 erklärte sich Åland mit dem Segen des Völkerbunds zu einer selbstverwalteten Region mit eigener Regierung, Flagge, eigenen Briefmarken und Kfz-Zeichen und, ja, inzwischen auch eigener Web-Domain (.ax). Fast alle der 29 000 Ålander sprechen Schwedisch, Finnisch ist eine geduldete Zweitsprache.

Wirtschaftlich geht es den Ålandern prima, die Arbeitslosigkeit etwa beträgt gerade mal drei Prozent. Fährt man durch die sanften grünen Landschaften, macht selbst der hinterste Schuppen einen properen Eindruck. Die winzige Hauptstadt Mariehamn mit ihren 11 500 Einwohnern, gegründet 1861 von Zar Alexander II., benannt nach seiner Gattin Marija Alexandrowna, ist die einzige Stadt der Inselregion und wohl die einzige winzige Hauptstadt weltweit mit zwei Häfen. Am Westhafen legen Kreuzfahrtschiffe an. Auch die Fähren der Viking und der Silja Line machen auf ihren Routen zwischen Stockholm, Helsinki und Tallinn hier halt. Hier ist das Museumsschiff Pommern vertäut, die "Königin der Segelschiffe", 1903 vom Stapel gelaufen, die einzige Viermastbarke weltweit, die in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten ist. Geht man die lindengesäumte Norra Esplanadgatan entlang, die Mariehamn durchzieht, kommt man an den alten Holzvillen und Kontoren der Reeder vorbei; sie zeugen vom Reichtum, vom alten Geld des Archipels. Gerade mal 900 Meter ist die Prachtstraße lang, so breit wie die Halbinsel selbst. Sie endet im Osthafen, bei den Yachten und Segelbooten.

Wer die Inseln und Inselchen des Schärenmeers besuchen will, kann das per Auto oder Rad über Brücken und Fähren tun. Oder per Schiff. An Bord der Albanus etwa, einem eleganten Zweimaster, nach einer Vorlage von 1904 ganz aus Holz gebaut, knapp 30 Meter lang. Eigentlich ein Schulschiff, auf dem Teenager auf einwöchigen Törns seetauglich gemacht werden. Aber die Albanus nimmt auch Touristengruppen auf. Kapitän Tero Ilus sieht aus, wie ein Kapitän aussehen sollte: groß, Vollbart, ordentlicher Bauch, die Ruhe selbst. Schweigsam und trotzdem stets auskunftsfreudig steht er da auf der Brücke und steuert sein Prachtschiff an Inseln mit Wäldchen, rot-weißen Mökkis, Saunen und Bootsstegen vorbei. Nirgendwo scheint Finnland finnischer zu sein als im schwedisch geprägten Åland.

Aber was bei Tero so lässig aussieht, ist konzentrierte Manövrierarbeit. Die Ostsee ist hier voller Sandbänke und versteckter Felsen.

Was erzählen Finnen in der Sauna? Finnenwitze

Seit sich die Gletscher der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren zurückgezogen haben, hebt sich das Land, die Inseln und Schären wachsen also. Das Wasser verbirgt so einiges. Im Sommer 2010 wurde Åland ausnahmeweise mal weltberühmt, als hier in 50 Meter Tiefe ein Schiffswrack aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden wurde, mit unversehrten Flaschen von Veuve Clicquot, Juglar und Heidsieck. 168 Flaschen hat man bislang geborgen. Recht süß im Abgang, wie sich herausstellte, aber der älteste trinkbare Champagner der Welt. Ein Teil des Funds wanderte in Museen und Labore, ein Teil wurde versteigert. 30 000 Euro erbrachte die erste Flasche. Und was machte die Eigentümerin, die Regierung von Åland, mit dem Geld? Steckte es in einen "Ostsee-Fonds zum Erhalt der marinen Archäologie". So vernünftig handeln wohl nur Finnen, pardon, Ålander.

Winter, die Zeit für Zweitjobs

Am frühen Abend erreicht die Albanus Kumlinge, ein weiteres felsiges, bewaldetes Inselchen, allerdings mit dem Luxus eines kleinen Naturhafens. Unter den neidvollen Blicken der acht Inselbesucher gehen Tero und seine drei Mannen vor Anker. Die weißen Boote um sie herum sind für sie "Tupperware", des Aussehens und Plastikanteils wegen. Es gibt eine kleine Pension auf Kumlinge, Glada Laxen, "Glücklicher Lachs". Sehr einfache Zimmer, ins Gemeinschaftsbad muss man durchs Restaurant, gleichzeitig der Ortsladen, der selbst im Sommer Mützen und Pullis im Sortiment hat. Aber niemand verlangt hier nach Luxus, er würde auch nicht zum Charakter von Insel und Landschaft passen. Mangelnden Komfort gleicht Wirt Henrik Beckman mit seinen guten Fischgerichten und französischen Weinen aus.

Nach dem dritten Glas reden selbst Finnen in ganzen Sätzen. Sie erzählen von ihren Zweitjobs im Winter, wieder so eine clevere finnische Art, sich Klima und Umständen anzupassen. Tero, der Kapitän, verlässt die eingefrorene Albanus und berät von Helsinki aus Reedereien. Henrik, der Wirt, sperrt den Glücklichen Lachs zu und arbeitet bis zum nächsten Sommer in der Holzindustrie. Juha, der Schiffskoch, der ein halbes Dutzend Sprachen spricht und seine Gäste gerne an Deck unter dem kornblumenblauen Sommerhimmel auf dem Akkordeon unterhält, verbringt die Wintermonate auf den Kanaren, wo er sein eigentliches Geld als Physiotherapeut macht und reiche russische Touristen durchknetet.

Im Lauf des Abends werden die großen ålandischen Mücken lästig, selbst wenn sie langsam sind und leicht zu erschlagen. Dann ist es Zeit, sich eine Flasche kaltes Bier und ein Handtuch unter die Arme zu klemmen und runter zum Steg mit der Sauna zu schlendern. Henrik hat sie vor einer Stunde angeheizt, aus dem Ofenrohr raucht es fleißig. Finnenwitze, was sonst, machen die Runde. Durch das Fensterchen blinzelt die Dämmerung der Juni-Nacht. Die Tapferen springen ins zehn Grad kalte Meer und lassen sich bibbernd von den Zurückgebliebenen beklatschen. An Schlaf ist heute eh kaum zu denken, es gilt, finnische Sommernächte in all ihrer zauberhaften Schlichtheit zu genießen. In ein paar Stunden wird Juha den Tag noch einmal begrüßen, wird starken Kaffee kochen und seine leckeren Karjalanpiirakka, mit Milchreis gefüllte Teigtaschen, aus dem Öfchen klauben und Butter und hartes Ei drüberstreuen. In solchen Momenten wünscht man sich, die ganze Welt wäre Åland.

Informationen

Anreise: Von München zum Beispiel mit Finnair nach Turku ab 200 Euro. Weiter nach Mariehamn per Flug (z. B. mit Finnair oder Nextjet) oder Fähre, www.sales.vikingline.com, www.tallinksilja.de/.

Unterkunft: Die Pension Glada Laxen auf Kumlinge, www.gladalaxen.com. Die Albanus eignet sich für Gruppen von zehn bis 19 Personen. Das Schiff kreuzt 3 Tage/2 Nächte durch den Archipel; geschlafen wird in Kojen im Gemeinschaftsraum, es gibt zwei Toiletten an Bord, geduscht wird in den Häfen. Details und Preise unter www.albanus.ax.

Weitere Informationen: www.visitfinland.com, www.visitaland.com.

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