Mobileye:"Tötet ein Computer, gibt es einen Aufschrei"

Inside The 2017 Consumer Electronics Show

Noch Auto oder schon High-Tech-Wohnzimmer? Ein BMW aus der Zukunft, gezeigt Anfang Januar bei der Elektronikmesse CES in Las Vegas.

(Foto: David Paul Morris/Bloomberg)
  • Gemeinsam mit BMW und dem Chiphersteller Intel arbeitet Zulieferer Mobileye am autonomen Fahren.
  • Der isrealische Spezialist für Kamerasysteme ist entscheidend für die Fortschritte des selbstfahrenden Autos, sagen jene, die mit ihm zusammenarbeiten.
  • Mobileye-Chef Amnon Shashua geht davon aus, dass der Straßenverkehr durch autonomes Fahren sicherer wird. Doch dafür müssen die Systeme ausgereift sein.

Von Thomas Fromm

Bevor sich die drei Herren auf die Bühne setzen, werden sie als "Boygroup" angekündigt, und das passt ganz gut, denn solche Jungen-Bands sind ja meistens auf Tournee, und ein bisschen gilt das auch für diese drei hier: Intel-Chef Brian Krzanich, BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich und Amnon Shashua, der Mitgründer des israelischen Kameraspezialisten Mobileye, sind zwar alle schon in ihren 50ern, aber sie waren schon vor ein paar Tagen bei der Elektronikmesse CES in Las Vegas auf der Bühne, jetzt sitzen sie bei der Digitalkonferenz DLD in München. Eine Art Boygroup auf Tour also.

Wenn Boygroups unterwegs sind, spielen sie neue Songs. Auch die Manager haben etwas sehr Aktuelles im Programm: Der Song heißt "autonomes Fahren", gespielt haben sie ihn zum ersten Mal im vergangenen Sommer und er geht so: Wir drei sind ab sofort ein Team und werden bis 2021 gemeinsam fahrerlose Autos auf die Straße bringen - und das wird dann der ganz große Hit. Wer will, kann mitmachen.

Nun kennt man BMW und auch den Chip-Giganten Intel - aber wer war noch mal Mobileye? Die Fakten: 1999 gegründet, Sitz in Jerusalem, knapp 700 Mitarbeiter. Ein Lieferant von Kameratechnik für Fahrerassistenzsysteme, aber irgendwie auch mehr als nur ein Auto-Lieferant.

Nach dem Auftritt der Boygroup sitzt BMW-Mann Fröhlich in einem kleinen Besprechungsraum und sagt: "Amnon Shashua ist mit seiner Forschung für die Firma entscheidend. Wenn Mobileye nicht im Markt wäre, dann würde die Entwicklung von selbstfahrenden Autos erheblich erschwert werden." Einige meinen sogar, ohne Mobileye und Amnon Shashuas Technologie für selbstfahrende Autos würde es überhaupt nicht gehen. Kameras, Sensoren, Softwarepakete, die alle zusammen das Umfeld eines fahrenden Autos im Blick haben: andere Autos, Radler, Fußgänger.

"Im stockenden Verkehr lese ich lieber ein Buch"

Der 56-Jährige, um den sich gerade alle reißen, hat schon viel gesprochen an diesem Sonntag. Es ist eisig kalt in München, draußen fällt Schnee, und der Professor für Informatik an der Hebräischen Universität Jerusalem und Mobileye-Gründer braucht Tee und Fisherman's Friend-Pastillen. Der Mann, der die Zukunft mit fahrerlosen Autos plant, erzählt von sich. Shashua fährt noch gerne selbst, vor allem Motorräder. Aber er würde sich auch fahren lassen: "Im stockenden Verkehr etwa lese ich lieber ein Buch als mich zu langweilen."

Und er hat eine Vision: Er will, dass Autos fahrerlos fahren, damit es weniger Unfälle auf den Straßen gibt. "Werden im Straßenverkehr Menschen von Menschen getötet, wird es hingenommen. Tötet ein Computer, gibt es einen Aufschrei." Einen Aufschrei hatte es gegeben, als im vergangenen Jahr der Fahrer eines Teslas bei einem Unfall ums Leben kam, nachdem er auf Autopilot umgestellt hatte. Tesla und Mobileye, bisher Lieferant des Elektroauto-Pioniers, trennten sich voneinander. Shashua war die Sache bei Tesla offenbar zu schnell gegangen - gerade jetzt, in der Frühphase der neuen Technologie, brauchte er keine schlechten Nachrichten. Und Shashuas kleine Firma kann sich aussuchen, mit wem sie zusammenarbeitet. Die Unternehmen stehen Schlange.

Es darf nichts passieren

Er konzentrierte sich nun auf BMW, wo man die Planungen längerfristig betreibt - es darf nichts passieren. Shashua rechnet so: "Gehen wir beispielsweise davon aus, dass 35 000 Menschen im amerikanischen Straßenverkehr durch menschliches Versagen getötet werden. Kein System ist perfekt und würden im Vergleich dazu 35 Menschen durch autonom fahrende Autos getötet, wäre das für die Gesellschaft vermutlich akzeptabel. 10 000 Opfer hingegen wären wohl nicht hinnehmbar - obwohl es immer noch 25 000 Tote weniger wären."

Shashua will also mehr Sicherheit, und die gibt es für ihn nicht, solange Menschen fahren, die einen schlechten Tag hatten, müde sind oder Alkohol im Blut haben. Es gibt sie aber auch nicht, wenn noch nicht ausgereifte Technologien zum autonomen Fahren genutzt werden. Null Fehler, bitte.

"Es wird auf einen einzigen Standard für alle hinauslaufen"

Wenn Shashua von den Autos der Zukunft spricht, die den Menschen ersetzen sollen, dann spricht er wie von Menschen. "Selbstfahrende Autos verhalten sich defensiv, weil ihre ,Verhandlungsfähigkeiten' nicht sehr ausgeprägt sind", sagt er. Das Auto als Verhandlungspartner - das wäre tatsächlich eine ganz neue Dimension im Straßenverkehr.

Shashua arbeitet seit Jahren daran, Autos und künstliche Intelligenz zusammenzubringen, es kommt ihm auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an. Im zweiten Halbjahr 2017 sollen in den USA und in Europa erst einmal 40 autonome Autos aus der Kooperation mit Intel und BMW getestet werden. Der Professor will, dass seine Technologie zum neuen Standard der fahrerlosen Autos wird und weder von Google noch sonst wem kommt. Deswegen muss er mit Mobileye die Nummer eins sein. "Ich glaube, es wird auf einen einzigen Standard für alle hinauslaufen", sagt er. "Das werden schon die Gesetzgeber verlangen. Nutzt jeder seine eigene Technologie, könnte das viele Tote im Straßenverkehr bedeuten - ein Albtraum für die Politik."

"Wir sind klein, aber sehr pfiffig"

BMW, Mobileye, Intel, gemeinsam gegen Google und die anderen. Es ist wie bei allen Kooperationen, die am Ende Standards setzen sollen, auch eine Frage des Vertrauens. "Wir haben Mobileye bereits 2004 bei ihrem Einstieg in die Automobilindustrie unterstützt", sagt BMW-Vorstand Fröhlich. "Wir kennen uns daher schon eine lange Zeit."

Mobileye soll in den nächsten Jahren wachsen, aber nicht zu viel. Noch 300 oder 400 Menschen könnten zu den 700 von heute dazukommen. "Aber das ist es dann auch", sagt der Mobileye-Gründer. "Wir betreiben keine Fabriken, sondern entwickeln Software. Wir wollen kein zweites Facebook werden. Wir sind klein, aber sehr pfiffig!"

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