Schauspiel:Das Risiko des Radikalen

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In "Hamlet" spielt Nils Kahnwald erstmals an den Kammerspielen - wenn es seine Gesundheit zulässt

Von Sabine Leucht

In Ibsens "Peer Gynt", kongenial umerzählt von Antú Romero Nunes, erklärte er sich selbst zum Titelhelden und zitierte in seinem selbstermächtigenden Furor Requisiten oder die Hospitantin herbei, bevor er in des Kaisers neuen Kleidern durchs Frankfurter Bahnhofsviertel rannte. In Christopher Rüpings Version von "Der große Gatsby" war Nils Kahnwald dann Teil einer vierköpfigen Boygroup, die die Biografie F. Scott Fitzgeralds mit der seiner Romanfigur verwob. Beide Inszenierungen entstanden am Schauspiel Frankfurt, an das sich der 1984 in Marburg an der Lahn geborene Kahnwald schon vor seinem Abschluss an der Berliner Universität der Künste gebunden hatte. Beide gerieten zu einer Reise in die labyrinthischen Verschlingungen des Schauspieler-Ichs. Beide waren (2011 und 2012) zum Münchner Regiefestival "Radikal jung" eingeladen. Und beide umkreisten mit Minimalbesetzung, aber maximalem Spielwitz und Tempo weltliterarische Stoffe.

Nun steht Kahnwald erstmals auf der Besetzungsliste einer Münchner Inszenierung, auch wenn am späten Mittwochnachmittag noch nicht klar war, ob das Stück überhaupt wie geplant an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr in der Kammer 2 Premiere haben wird. Denn die auch hier wieder nur drei Schauspieler, die sich auf einen der größten Theaterstoffe werfen - Shakespeares "Hamlet" in einer von Christopher Rüping und Dramaturgin Katinka Deecke erstellten Strichfassung - haben das mit dem "Werfen" offenbar allzu wörtlich genommen. Noch am Dienstag bei der Fotoprobe hat sich Nils Kahnwald offenbar so schwer am Knie verletzt, dass die Verschiebung der Premiere oder eine weniger bewegungsintensive Uminszenierung zur Debatte stand. Die Pechsträhne an den Kammerspielen dauert also an.

Nils Kahnwald ist als Gast dabei beim "Hamlet" - und zwar "wegen Christopher", mit dem ihn eine längere Arbeitsbeziehung verbindet. Aber vielleicht auch ein bisschen, um sich umzuschauen an dem Theater, an dem Rüping seit dieser Spielzeit Hausregisseur ist. Denn am Schauspielhaus Zürich, dessen Ensemble Kahnwald seit 2013 angehört, hat er zum Sommer gekündigt. "Nicht aus künstlerischen Gründen", wie er betont. Eher wegen der Stadt. Dass er nach acht Jahren Festengagement "weiterarbeiten" wolle, sei klar. Wo es ihn am Ende hin verschlägt, wird von den "Strukturen und dem Geist des bestreffenden Hauses abhängen" - oder vom Reiz der Umgebung. Dass er "vielleicht zu viel Angst hat, um frei zu sein", klingt aus dem Mund eines erst 32-Jährigen, der seit seiner Studienzeit einmal jährlich wie der Henker durch eine René-Pollesch-Inszenierung fetzt, leicht befremdlich.

Ist Nils Kahnwald also überhaupt der Karacho-Schauspieler, als der er erscheint? Nein, sagt der - um gleich einzuräumen: "Okay, ich spreche gerne schnell. Aber es macht mir auch Spaß, einfach auf der Bühne zu stehen und einen 20-minütigen Monolog geradeaus zu sprechen." Und schließlich habe ihn nicht nur der Diskurs-Wüterich Pollesch beeinflusst, sondern auch Christoph Mehler, der zu Kahnwalds Berliner Zeit die Nebenspielstätte "Box" des Deutschen Theaters leitete. Mit Christopher Rüping arbeite er gerade deshalb gerne zusammen, weil er auch eine große Zartheit zulasse. "Und die ist eher leise."

Diese Zartheit wird sich im "Hamlet" allerdings gegen zirka 240 Liter Blut behaupten müssen. 240 Liter pro Abend! Wo doch das Wiener Burgtheater kürzlich verkündet hatte, 100 Liter im Jahr zu verbrauchen. Nachdem erst am vergangenen Wochenende Andreas Kriegenburgs "Macbeth" auf der anderen Seite der Maximilianstraße einer rotglänzenden Ästhetik frönte, muss sich nun theoretisch jeder die Hände reiben, der in München sein Geld mit Kunstblut macht.

Blut also. Und dazu nur die Schauspieler Nils Kahnwald, Katja Bürkle, Walter Hess und der Bühnenmusiker Christoph Hart. "Schauspielertheater", nennt es Kahnwald, das versuche, dem Diktum des großen Shakespeare-Exegeten Jan Kott zu folgen, "nachdem der gelungenste Hamlet maximal Shakespeare und maximal modern sei". Uff! "Man kann", so Kott, "immer nur einen Hamlet spielen, einen von denen, die in diesem Einzelstück enthalten sind". Und man muss wählen zwischen Liebes-, Familien- und Staatstragödie, Philosophie, Eschatologie oder Metaphysik, dem Lächeln der Mona Lisa oder dessen womöglich finsterem Grund.

Christopher Rüping und seine Mitstreiter haben gewählt und hinter dem "Sein-oder-Nichtsein"-Zweifler und introvertierten Gerechtigkeitssucher den Radikalen entdeckt: "Uns ist aufgefallen, dass in Shakespeares Text Vieles steckt, was Hamlet als sehr kalten, sehr radikalen, sehr intelligenten Einzelgänger erscheinen lässt, der über Leichen geht," sagt Nils Kahnwald. "Als einen, dem klar ist, dass diese von "Fäulnis" zerfressene Welt nur gesundet, wenn alles weg ist - inklusive ihm selbst." Hamlet also als moderner Amokläufer? Ja, sagt Kahnwald, "aber nicht, weil wir das platt bebildern, sondern weil der Text das zeigen kann - je nachdem, wie man ihn spricht."

Wenn er in der Kantine vor einem sitzt, ist Kahnwald ein unauffälliger Typ; eher schmal, kein Riese, leicht hibbelig und mit Sprungfedern unter den Füßen. Eine Art Nico Holonics reloaded, dem er in Frankfurt praktisch den Staffelstab in die Hand gab. Aber der Mann, der schon als Siebenjähriger in einer Kindertheatergruppe eine von vielen stummen Mäusen spielte, ist auf der Bühne ein Präsenzwunder, das Bühnenmomente zwischen Sein und Schein in der Schwebe halten kann. Doch obwohl er praktisch immer schon Theater gemacht hat, wäre er nach dem Abitur beinahe Zoowärter geworden. Alle Bewerbungen an Schauspielschulen waren wieder zurückgekommen. Doch seine Mutter, die auch schon hinter der Gründung der Kindertheatergruppe stand, wollte vom Zoowärter nichts wissen und hat sie noch einmal losgeschickt. Gute Frau!

Hamlet , Donnerstag, 19. Januar, 19.30 Uhr, Kammer 2 der Kammerspiele, Falckenbergstraße 1

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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