Doping:Russlands neuer Staatsfeind Nummer eins?

Grigori Rodschenkow

Zum Rundumschlag bereit: Grigori Rodschenkow.

(Foto: Valeriy Melnikov/dpa)

Ein Film über den Doping-Whistleblower Grigori Rodschenkow versetzt den Kreml in Alarmstimmung - es geht um neue Beweise und mysteriöse Herzinfarkte.

Von Thomas Kistner

Wenn am Freitag Donald Trump als neuer US-Präsident vereidigt wird, schaut auch die Sportwelt mit einem Mix aus Anspannung und Besorgnis in die Vereinigte Staaten. Ihr Blick reicht allerdings Tausende Kilometer über Washington hinaus, in den westlichen Bundesstaat Utah. Dort feiert, beim Sundance-Filmfestival in Park City, der Dokumentarfilm Icarus Premiere - dessen Hauptdarsteller das Zeug hat, zum Staatsfeind Nummer eins in Russland aufzusteigen. Falls Grigori Rodschenkow das nicht längst ist.

Der Wissenschaftler ist 2015 in die USA geflüchtet, nachdem er jahrelang der Kopf des russischen Anti-Doping-Systems und Chef der Testlabore in Moskau und Sotschi war; hoch geschätzt von der Creme der globalen Dopingfahndung in der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und von der internationalen Laborgemeinde.

Tatsächlich war Rodschenkow aber das, was sich die chronisch gut meinende Aufpasser-Branche des Sports niemals hätte träumen lassen: Ein zentraler Akteur, so beichtete er 2016 der New York Times, als Heerscharen russischer Athleten gedopt worden waren, bei den Sotschi-Winterspielen und anderswo. Positive Proben seien mit staatlicher Hilfe in negative verwandelt worden.

Atemberaubende Betrugspraktiken

Rodschenkow, 58, der dabei auch mit dem Geheimdienst FSB kooperiert hatte, beschrieb atemberaubende Betrugspraktiken. Der von der Wada eingesetzte Sonderermittler Richard McLaren überprüfte sie - und wies nach präzisen Versuchen ihre Authentitzität nach. Beispielsweise wurden an Probenfläschchen die Deckel entfernt und später wieder angebracht. Unterm Mikroskop zeigten sich spezielle Kratzer am Probenglas, die dann auch bei anderen, in Lausanne eingelagerten russischen Proben nachgewiesen werden konnten.

Der US-Dokumentarfilmer Bryan Fogel hatte 2014 ein ganz anderes Projekt im Sinn, als er sich dem Sport zuwandte. Er wollte die Auswirkung von Doping auf Amateursportler nachzeichnen, mit sich selbst als Versuchsperson - und Rodschenkow als Berater. Moskaus Mann für harten Betrug war ihm als Experte empfohlen worden. Doch dann drehte sich Rodschenkows Leben über Nacht. Und damit das Thema des Films, was sich in der Ankündigung so liest: "Ein Treffen mit einem russischen Wissenschaftler veränderte die Geschichte von einem persönlichen Experiment in einen geopolitischen Thriller. Inklusive dreckigem Urin, ungeklärten Todesfällen und olympischem Gold."

Die Todesfälle, das waren mysteriöse Herzinfarkte. Anfang 2016 riss es Wjatscheslaw Sinew aus dem Leben, den Gründungschef der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada. Zwei Wochen später traf es Nikita Kamajew, 52, der gerade als Rusada-Chef abgelöst worden war. Er hatte ein ungesundes Thema in Planung: ein Buch zu Russlands Dopinghistorie. Den britischen Autor David Walsh, der Lance Armstrongs schmutziger Sportvita nachgespürt hatte, umwarb er per Mail: "Ich will ein Buch über die wahre Geschichte der Pharmakologie des Sports und Dopings in Russland seit 1987 schreiben, als ich ein junger Wissenschaftler in einem geheimen Labor des sportmedizinischen Instituts der UdSSR war. Ich habe Informationen, die noch nie veröffentlicht wurden. Ich suche einen Co-Autor. Sind Sie interessiert?"

"Seine Beweise werden das Regime nicht stürzen"

Das war Walsh, zumal der hohe Insider angab, vertrauliche Dokumente zu verbotenen Substanzen und Korrespondenzen etwa mit dem Nationalen Olympischen Komitee zu besitzen. Kamajews Herztod beendete das Projekt, ehe es begann. Rodschenkow aber, dem Fogel da bereits zur Ausreise verholfen hatte, schlug das Ableben der Ex-Kollegen so auf den Magen, dass er in den US-Medien auspackte. Und gegenüber Fogel. Wobei er, so die gängige Vermutung, nicht alles Wissen in die Untersuchung des Sonderermittlers McLaren gesteckt habe.

Aus der Erwartung, dass Rodschenkow bisher unbekannte, noch weitergehende Vorwürfe und Dokumente zum staatlich orchestrierten Betrugssystem präsentieren könnte, speist sich die große Anspannung vor der Premiere. Auch im Kreml, der, wie Englands Presse spekuliert, in Alarmstimmung versetzt sei. "Quellen im Kreml-Dunstkreis sagen, dass Putin und einige seiner engsten Minister mit Sorge darauf schauen, was Rodschenkow sagen wird", berichtete die Mail on Sunday und prophezeit: "Seine Beweise werden das Regime nicht stürzen, aber Köpfe könnten rollen."

Kronzeuge Rodschenkow spricht erstmals selbst

Licht könnte Rodschenkow nun in drei Themenkreise bringen, die der vom Internationalen Olympischen Komitee dirigierte Sport bisher trickreich abzudunkeln versucht. Auch Ermittler McLaren hat dazu einen irritierenden Beitrag geleistet. Sein Report ist eine enorme Betrugsdokumentation mit erschöpfender Detailfülle, zugleich aber verschleiert er die Rolle der Kernverantwortlichen. Das im ersten Report im Juni konstatierte Staatsdoping mildert McLaren in Report zwei von Dezember explizit ab auf eine nur "institutionelle Verschwörung" - eine an der, Achtung: Sportministerium, Geheimdienst FSB, Kontrolllabor und Anti-Doping-Agentur beteiligt waren.

Nun also der Film zum Fall. Kronzeuge Rodschenkow spricht erstmals selbst. Das könnte all die Schutzbehauptungen der russischen Sportführung und ihrer olympischen Bundgenossen zum Einsturz bringen: Dass das russische NOK und Sportminister Witali Mutko, heute Vizepremier und Vorstand des Fußball-Weltverbandes Fifa, nie was mitgekriegt hätten von dem, was Ministeriale und NOK-Angehörige damals trieben. Und dass natürlich der Fußball völlig außen vor ist - für den McLaren allein 33 Verdachtsfälle auflistet. Brechen diese Pfeiler, wäre der vom IOC formalistisch verriegelte Weg für eine Kollektivsperre der Russen für die Spiele frei, etwa für den Winter 2018 in Pyeongchang. Weist Rodschenkow gar konkret Verwicklungen Mutkos nach, müsste der Herr über Russlands Fußball und die WM 2018 stürzen - weil ihn dann die Fifa-Ethiker sperren könnten. Das allein würde Thema drei schwer beschädigen, das wichtigste aus Sicht des Kreml: das WM-Turnier 2018. Auf das die ganze Welt schauen wird.

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