Essay:Die bösen Girls

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Science Fiction oder Endzeit-Thriller waren lange Zeit eine typisch männliche Domäne der Literatur. Nun erobert sich eine neue Generation amerikanischer Autorinnen wie Emma Cline oder Ottessa Moshfegh diese Genres - und hat damit Erfolg.

Von Nicolas Freund

Eine Gruppe junger Autorinnen rüttelt an einer der letzten Bastionen des weißen alten Mannes: dem amerikanischen Roman. Einige von ihnen wie Emma Cline, Autorin des Bestsellers "The Girls", sind bereits mit Ende zwanzig international gefragt. Diese jungen Autorinnen schreiben aber nicht nur erfolgreich, sie besetzten mit ihren Romanen auch Genres wie Science Fiction und Thriller, die bisher traditionell fest in der Hand männlicher Autoren waren.

Das lässt sich - zumindest indirekt - statistisch belegen: In einem Artikel für die Datenjournalismus-Website "FiveThirtyEight" hat die Autorin und Journalistin Emily St. John Mandel die englischsprachigen Romane der vergangenen Jahre ausgewertet, in denen das Wort "Girl" im Titel vorkommt: "The Girl on the Train", "Gone Girl", "The Girls", "Razor Girl" - seit 2005 sind sie vor allem bei Thrillern so inflationär zum Einsatz gekommen, dass 2015 fast jedes hundertste Buch, das als "Fiction" zählt und in den USA veröffentlicht wurde, ein Girl im Titel hatte. 79 Prozent der Bücher mit "Girl" im Titel wurden von Frauen geschrieben. Das ist weit mehr als im Durchschnitt, nicht nur bei Thrillern.

Auch die Verfasserin dieser Datenanalyse, Emily St. John Mandel, schreibt Bücher. Vier Romane hat die 37-jährige Kanadierin seit 2009 veröffentlicht, den letzten , "Station Eleven", vor zwei Jahren. "Station Eleven" erzählt von den Überlebenden einer verheerenden Grippeepidemie, war ein internationaler Erfolg und ist 2015 unter dem Titel "Das Licht der letzten Tage" auf Deutsch erschienen.

Diese Endzeitgeschichten sind nicht fantastisch, sondern spinnen einfach die Gegenwart weiter

Die Post-Apokalypse als Genre haben in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe junger Autorinnen für sich entdeckt. 2015 erschien "California" von Edan Lepucki, 2016 "Gold Ruhm Zitrus" von Claire Vaye Watkins. In beiden Romanen hat sich Kalifornien in eine unbewohnbare Wüste verwandelt. Es gab keine Katastrophe, keinen Krieg, keine Seuche und auch keine Aliens. Die Welt ist einfach so kaputt gegangen. "Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer", wie es in dem Gedicht "The Hollow Men" von T.S. Eliot heißt. Die amerikanische Westküste, wo sich die Frontier als Traum vom ewigen Fortschritt mit dem Ende des begehbaren Landes in der zur Wirklichkeit gewordenen Science Fiction des Silicon Valley fortsetzte, wird in den Romanen dieser jungen Frauen zum Anfang vom Ende der Zivilisation. Die seit Jahren anhaltende Dürre in Kalifornien, die Wirtschaftskrise und das Auseinanderdriften der Gesellschaft haben die Autorinnen einfach nur weitergesponnen.

Edan Lepucki und Claire Vaye Watkins wiederholen dabei scheinbar einige Fehler ihrer männlichen Kollegen im Umgang mit dem anderen Geschlecht: Ihre Männerfiguren sind meist flache Charaktere, irgendwo zwischen Barbies Freund Ken und einem unaufdringlichen Bodyguard, also stark, unkompliziert, nicht zu klug und gut im Bett. Aber das ist vielleicht gerade beabsichtigt. Denn wie Emily St. John Mandel machen sie sich ein Genre zu eigen, das, obwohl immer wieder auch Frauen Endzeitromane geschrieben haben, Margaret Atwood beispielsweise, als Abenteuerspielplatz männlicher Autoren wie Cormac McCarthy gilt und in dem Frauen bisher allenfalls eine Nebenrolle spielten.

Lepucki und Watkins erzählen aus einer weiblichen Perspektive, die dem Genre bisher fremd war. Die Romane erforschen, was es heißt, Mutter zu sein, aber sie reduzieren die weiblichen Figuren nicht darauf. Ihre Autorinnen geben dem Genre eine ernst zu nehmende Weiblichkeit, die sich nicht um das Problem der eigenen Identität dreht, sondern ganz selbstverständlich als Frau erzählt, ohne dies ständig zu thematisieren. Dass sie ihre fiktiven Welten dabei einfach aus der Gegenwart weiterspinnen, gibt dieser Perspektive zusätzliches Gewicht.

"Die Welt mag unwiderruflich verändert worden sein, aber wir sind noch immer wir selbst", schrieb Emily St. John Mandel in ihrer Rezension zu Claire Vaye Watkins' "Gold Ruhm Zitrus" in der New York Times. Mandel sieht Watkins' Roman als einen Zerrspiegel des gegenwärtigen Kalifornien mit seinen Promis, seinem Glamour und seiner Vanitas. Gerade dort, wo die eigene Vergänglichkeit am sorgfältigsten überschminkt wird, ist sie am deutlichsten sichtbar. Die neue Endzeitverliebtheit junger Autorinnen erscheint wie die Abrechnung mit einer feindseligen Lebenswelt und der Lebenslüge von Ruhm und Reichtum, die sie einem einflüstert.

Diese Illusion ist durchaus selbstverschuldet, würden Emma Cline und Ottessa Moshfegh wahrscheinlich entgegnen. Beide sind Stars der jungen weiblichen US-Literatur: Cline ist mit ihrem Debüt, dem internationalen Bestseller "The Girls" eine der gerade angesagten "Girl"-Autorinnen. Und Moshfegh hat es mit ihrem zweiten Roman, dem Noir-Thriller "Eileen", in die Endauswahl für den diesjährigen Booker Price geschafft.

Beide Romane sind eine schonungslose Antwort auf die oftmals weltfremden Vorstellungen vor allem junger Mädchen, aber eigentlich vieler Amerikaner, die eine makellose Fassade aufbauen, hinter der alles Schmutzige und Verbotene unterdrückt und verleugnet vor sich hin gärt. Ein alltäglicher Jahrmarktbesuch schreit in den Augen Evies aus "The Girls" diese Armseligkeit heraus: "Überhaupt von einen Jahrmarkt zu sprechen erschien übertrieben großzügig ( ... ). Man hatte die Straße für den Verkehr gesperrt, sodass ich mich in einem wogenden Gedränge von Menschen wiederfand, die schubsten und sich nach Freizeit und Spaß sehnten. Ehemänner, deren Gesichter von missvergnügter Pflichterfüllung verkniffen waren, flankiert von Kindern und Ehefrauen, die Plüschtiere brauchten. Die blasse, saure Limonade, Hot Dogs und gegrillten Mais brauchten. Sämtliche Beweise ihres Vergnügens. Der Fluss war bereits voller Abfall, langsam vorbeitreibender Popcorntüten, Bierdosen und Papierfächer."

Und Eileen, die Erzählerin in Moshfeghs Roman, erkennt in der Kolonial-Architektur und den sauberen Kleinstädten an der Ostküste Stätten des Todes: "Niemand ist wirklich so ordentlich, so perfekt. Ein solches Haus zu haben verrät mehr darüber, was mit einem nicht stimmt, als jedes heruntergekommene Drecksloch. Diese Leute mit ihren perfekten Häusern sind einfach vom Tod besessen. Ein so gut gepflegtes Haus, mit hübschen, hochwertigen Möbeln, geschmackvoll eingerichtet, mit allem am richtigen Platz, wird zu einer Wohngruft. Leute, die wirklich im Leben stehen, haben unordentliche Häuser. Das war mir im Alter von 24 Jahren völlig bewusst." Viele der neuen US-Autorinnen nehmen in ihren Geschichten die Gewalt und die Leere vorweg, auf die dieses fremdbestimmte Leben hinausläuft.

Vordergründig betreiben die Romane von Emma Cline und Ottessa Moshfegh wie auch die der anderen Autorinnen eine Dekonstruktion der bekannten weiblichen Rollenmuster, indem sie sich scheinbar typisch männliche Erzählhaltungen zu eigen machen und den Spieß umdrehen. Wichtiger als die Geschlechterfrage selbst ist ihnen jedoch die Kritik an den eingeimpften und nicht zu befriedigenden Bedürfnissen ihrer Figuren, die auf der konstruierten Opposition der Geschlechter und der kaum je hinterfragten amerikanischen Vorstellung vom endlosen Fortschritt beruhen. Für beides sehen sie keine Zukunft. Sie demaskieren eine selbstgerechte und verblendete Gesellschaft. Die alte Welt, auf der diese gründet, lassen die jungen Frauen mit Vergnügen untergehen.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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