Job:Es schlägt die Stunde der Schwächeren

Job: Besonders in technischen Ausbildungsberufen herrscht Nachwuchsmangel.

Besonders in technischen Ausbildungsberufen herrscht Nachwuchsmangel.

(Foto: Olaf Döring/mauritius images)

Ob Mathe 4, Deutsch 5 oder gar kein Abschluss: Viele Mittelständler stellen zurzeit fast jeden ein. Auch, wenn sie selbst Nachhilfe geben müssen.

Von Bärbel Brockmann

Es gibt immer weniger Azubis in Deutschland. Das liegt zum einen an den sinkenden Schülerzahlen insgesamt, zum anderen daran, dass immer mehr junge Menschen studieren. Eine klassische Lehre ist für viele nicht mehr attraktiv. Schon gar nicht, wenn es sich um eine Ausbildung handelt, bei der man sich die Hände schmutzig macht.

Vor allem mittelständische Unternehmen spüren den Mangel zunehmend. Es fing damit an, dass man auf eine Stellenausschreibung nicht mehr hundert, sondern höchstens noch zehn Bewerbungen bekam. Inzwischen bleiben Azubi-Plätze immer häufiger unbesetzt, weil es keine Bewerber gibt. Das ist vor allem für den Mittelstand beunruhigend, weil nach Berechnungen der staatseigenen KfW-Förderbank neun von zehn Schulabgängern ihre Ausbildung in einem mittelständischen Unternehmen beginnen.

Um die jungen Leute ist in vielen Regionen ein regelrechter Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmen entstanden. Das ist für werdende Azubis ein Vorteil, denn sie können sich aussuchen, wo sie anfangen wollen. Das ist aber vor allem auch für Schüler mit schlechten Noten oder Jugendliche ohne Schulabschluss eine Chance. Denn immer mehr Unternehmen fangen an, im Betrieb das Schulwissen nachträglich zu vermitteln, das diesen jungen Menschen fehlt.

Der Maschinenbauer Kurtz Ersa im fränkischen Kreuzwertheim gehört dazu. Kreuzwertheim liegt in einer ländlichen Gegend. Es gibt eine Reihe von Mittelständlern dort, die sich nach Kräften um potenzielle Auszubildende bemühen. Also nimmt Kurtz Ersa auch Jugendliche unter Vertrag, die noch nicht genug wissen oder nicht genug Deutsch verstehen, um eine Lehre erfolgreich abschließen zu können. "Wir leben damit, dass wir für diese jungen Menschen mehr tun müssen während der Lehre. Aber wir sind froh, vor allem in den technischen Ausbildungsberufen, überhaupt motivierte junge Mitarbeiter zu bekommen", sagt Geschäftsführer Uwe Rothaug. Es brauche viel Aufwand und viel Zeit, um diese Azubis auf ein Niveau zu bekommen, mit dem sie die Prüfung am Ende auch bestehen können.

Konkret heißt das: eine sehr individuelle, persönliche Nachhilfe durch Ausbilder. Bislang hat das bei Kurtz Ersa immer geklappt. Wenn auch schwächere Schüler eine Ausbildung schaffen, dann machen auch sie in ihrer Umgebung Werbung für das Unternehmen, das sie ausgebildet hat, so das Kalkül. Bei Kurtz Ersa ist die Investition in Mitarbeiter generell ein großes Thema. "Die weltweite Konkurrenz kommt uns immer näher. Deshalb brauchen wir Top-Mitarbeiter, damit wir gegenhalten können. Dazu müssen wir investieren", sagt Rothaug.

Solche Unternehmen sind nach der Erfahrung von Frank Neises vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) inzwischen keine Seltenheit mehr. "Es sind in der Regel investitionsorientierte Unternehmen, die Lernhilfe oder Nachhilfe anbieten", sagt der Experte für Ausbildung und Berufsorientierung. Also Unternehmen, die auch beim Personal eine mittel- oder sogar langfristige Planung verfolgen. In der Regel sind das größere Unternehmen.

"Etwa jeder fünfte Schüler ist schwach"

Im Unterschied zu produktionsorientierten Unternehmen wie beispielsweise kleinen Handwerksbetrieben, wo es jeden Tag vor allem darauf ankommt, dass der Laden läuft, können sich größere Firmen auch eine Personalplanung leisten. Meist sind das größere Mittelständler, aber Neises weiß auch, dass es bei dem Staatsunternehmen Deutsche Bahn und bei der Deutschen Telekom ebenfalls Hilfsprogramme für leistungsschwache Azubis gibt.

Im Jahr 2015 gab es in Deutschland nach KfW-Berechnungen 1,34 Millionen Auszubildende, circa 300 000 weniger als noch 2008. Im Jahr 2016 dürften es nach ersten Schätzungen noch weniger gewesen sein. Die Not der Betriebe wächst. Das stärkt die Bereitschaft, auch schwächere Jugendliche einzustellen und mit einiger Extrahilfe dafür zu sorgen, dass auch sie den Abschluss schaffen. Der Pool, aus dem sie schöpfen können, ist groß. "Etwa jeder fünfte Schüler ist schwach", sagt Neises und beruft sich auf jüngste Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Schwach bedeutet danach, dass Jugendliche aus der achten Klasse im Rechnen und Schreiben auf dem Niveau von Grundschülern verharren.

Die Situation verschärft sich noch, wenn man auf die außerbetrieblichen ausbildungsbegleitenden Hilfen sieht, die von der Bundesagentur für Arbeit, Branchenverbänden und einigen Ministerien angeboten werden. Die Gesamtzahl solcher Hilfsangebote liegt nach Angaben von Neises seit einiger Zeit konstant bei 40 000 Plätzen im Jahr - bei kontinuierlich abnehmender Schülerzahl.

Auch die Firma Kampf, Spezialist für Schneidmaschinen aus dem nordrhein-westfälischen Wiehl, nimmt jedes Jahr schwächere Jugendliche in ihren neuen Ausbildungsjahrgängen auf. Sie bietet einen eigenen Werksunterricht für alle Lehrlinge an. "Dort können die Schwächen der Azubis erkannt und durch zusätzliches Lernen oft behoben werden", sagt Personalchef Axel Pitsch. Bei Schülern, deren schulisches Wissen nicht ausreicht, um etwa eine Ausbildung zum Mechatroniker zu schaffen, wirbt Kampf für weniger attraktive Lehrberufe wie Konstruktionsmechaniker, früher Blechschlosser genannt. "Wir zeigen diesen Jugendlichen, dass sie auch damit eine Perspektive haben. Sie können mit erfolgreichem Abschluss später auch hier ihren Industriemeister oder Techniker machen", sagt Pitsch.

Wie viele andere Mittelständler auch geht Kampf schon früh an die Schulen, um für das eigene Unternehmen Nachwuchs anzuwerben. Pitsch lobt die gute Zusammenarbeit vor allem mit den Mittelschulen der Gegend. "Die sind oft hoch engagiert bei der Betreuung und Unterstützung der Schüler", sagt er. Dennoch: Viele Schulabgänger der Mittelschulen sind für eine Ausbildung im dualen System heute einfach nicht geeignet, weil ihnen dafür grundlegendes Wissen fehlt.

Auch Uwe Rothaug von Kurtz Ersa will die Mittelschulen nicht pauschal kritisieren: "Die Mittelschulen müssen eben Kompromisse machen und auch mal ein Auge zudrücken. Sonst hat nachher nur jeder Zweite überhaupt einen Schulabschluss."

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