Museumsufer:Unvollendet

Museumsufer: Das Städel am Frankfurter Museumsufer. Auf beiden Seiten des Mains reihen sich weitere Ausstellungsstätten aneinander.

Das Städel am Frankfurter Museumsufer. Auf beiden Seiten des Mains reihen sich weitere Ausstellungsstätten aneinander.

(Foto: Bernd Wittelsbach/mauritius images)

Zwischen den beiden Fußgängerbrücken befindet sich das kulturelle Herz Frankfurts mit zahlreichen Museen. Nur eines hat es schwer.

Von Volker Breidecker

Das Schönste an einem Fluss sind seine Ränder", sagt der Wahlfrankfurter Schriftsteller Wilhelm Genazino. Schon die alten Griechen ließen sich an den Ufern ihrer Gewässer von den Musen küssen: Wie Platon berichtet, stiegen die Sokratiker "hinab zu der Nymphen Quelle und Ruhesitz" - altgriechisch: museion -, bis sie an den Orten solcher Wonnen Tempel bauten, deren Nachfahren unsere Museen sind. So auch am Main in Frankfurt. Am südlichen Ufer steht seit 1878 das Städel Museum, Sitz der ältesten deutschen Kunststiftung und Ort einer vom Mittelalter bis in die Gegenwart reichenden Gemäldesammlung von Weltformat. Umgeben war das im Stil der Neorenaissance errichtete Gebäude von einer Kette imposanter Gründerzeitvillen, die sich flussaufwärts zum Eisernen Steg zogen, dem Übergang nach dem Römer und dem Dom, davor eine lange, weiß verputzte Häuserreihe namens "Schöne Aussicht". Mainabwärts wechselten noble Palais mit Bürgerhäusern und Parks, die "Mainlust" und "Nizza" hießen. "Hier fand ich einen Fluss, der mir gefiel", notierte der notorisch kurz angebundene Spaziergänger Max Beckmann, der nahe beim Städel sein Maleratelier bezogen hatte.

Nach dem Krieg sanken der Main und seine Ufer in Vergessenheit

Nach dem Krieg sanken der Main und seine Ufer in Vergessenheit. "Die unwirtliche Stadt" zog sich von ihrer Lebensader, dem Fluss, wie von einem Fremdkörper zurück, ließ die Ufer verfallen, das Wasser mit Chemie versauern und setzte auf Beton, Straßenbau, Abrissbirne - ein Oberbürgermeister der 1970er-Jahre nannte sich "Dynamit-Rudi" - und Hochbau. Letzterer bescherte Frankfurt eine stolze Skyline, in deren Schatten freilich so starke Zugluft herrscht, dass die in den Türmen Arbeitenden sich nach Dienstschluss schleunigst in Parkhäuser begaben, um ihre Geländewagen zu besteigen, die sie im täglichen Stau zu ihren Einfamilienhäusern am ausfransenden Stadtrand oder im gehobenen Vordertaunus brachten.

Verwaist am Main blieb das Städel zurück, und dicht dabei, vergessen hinter schmiedeeisernen Gittern, moosbewachsenen Mauern und dichtem Buschwerk die Gründerzeitvilla des Museums Liebieghaus, von dem die wenigsten Frankfurter wussten, dass es eine der bedeutendsten Sammlungen von Skulpturen aus fünf Jahrtausenden birgt.

"Städel? Wo ist das denn?", fragte der Taxifahrer einst Klaus Gallwitz, der zwei Jahrzehnte lang das Städel leitete, am Tag seines Amtsantritts 1974. Wer heute am Frankfurter Hauptbahnhof ankommt, gelangt schneller und bequemer zu Fuß dahin: Von der Kaiserstraße, Frankfurts einzigem Boulevard, braucht er nur die erste Straße rechts abzubiegen, um nach wenigen Hundert Metern vor dem Holbeinsteg zu stehen, der leichten und luftigen Fußgängerbrücke über den Main, die ihn entweder zum Städel oder zu einem guten Dutzend weiteren Museen geleitet, die das Sachsenhäuser Mainufer säumen. Mit dem Holbeinsteg als Pendant zum Eisernen Steg ist Frankfurt in der einmaligen Lage, mit gleich zwei Fußgängerbrücken über den Fluss aufzuwarten. Mit dem von beiden Brücken und Ufern gebildeten Rechteck ist auch das in den 1980er-Jahren entstandene Museumsufer umrissen, der kulturelle Kernbezirk von Frankfurt.

Erst der Bau neuer Museen und die Notwendigkeit ihrer Einbettung ins urbane Gewebe sorgten dafür, dass die Stadt sich wieder ihres Flusses erinnerte, sich von Neuem mit ihm vermählte und längst gebotene Maßnahmen zur städtebaulichen Reparatur und Verschönerung der Ufer getroffen hat. Dieser Gesinnungswandel auf Seiten der Stadtplaner und Politiker ging nicht immer ohne Kämpfe einher.

Ausschlaggebend war die Berufung des Impresarios Hilmar Hoffmann ins Amt des Kulturdezernenten, das er von 1970 bis 1990 bekleidete. Die Vorgeschichte des Projekts Museumsufer begann noch in der Betonära mit der Errichtung des Historischen Museums zwischen Römerberg und Mainkai. Erst vor ein paar Jahren wurde der brutale Klotz wieder abgerissen, um einem neuen Ensemble Platz zu machen, in dem Museum, mittelalterliche Gebäude und historische Bausubstanzen ineinander übergehen. Womit das alte Historische Museum innovativ aufwarten konnte, war die erstmalige Einrichtung eines kommunalen Kinos. Mit seiner Verpflanzung hinüber an den Schaumainkai begann das Großprojekt Museumsufer.

Hilmar Hoffmann hält es bis heute für einen Fehler, dass das Jahrhundertprojekt vertagt wurde

Mehrere Villen wurden in letzter Minute vor dem Zugriff von Baulöwen gerettet, die dort schon Hochbaupläne hatten. Aus von den damals besten Architekten der Republik aufgestockten Villen entstanden gleich mehrere Museen, für die es in der damaligen deutschen Museumslandschaft keinen Platz gegeben hatte: Das gilt für das Deutsche Filmmuseum und das benachbarte Deutsche Architekturmuseum ebenso wie für das nahe Museum für Kommunikation; desgleichen für das im einstigen Rothschildpalais am gegenüberliegenden Untermainkai 1988 eröffnete Jüdische Museum für die Geschichte und Kultur der Juden allgemein und in der Stadt Frankfurt mit ihrer traditionell großen Jüdischen Gemeinde im Besonderen. Auch dieses Museum, längst zu klein geraten, wird gerade umgebaut und erweitert.

Ein museumspolitisch neues Feld war auch mit Richard Meiers lichtdurchflutetem Bau des Museums Angewandte Kunst (MAK) eröffnet worden. Ihm benachbart stehen drei Villen, in denen das ehemalige Völkerkundemuseum - heute Weltkulturen Museum - bereits provisorisch untergekommen war. Bis in die 1960er-Jahre zurück reichen die Pläne für einen Neubau, in dem das Museum seine ausgelagerte Sammlung von rund 70 000 Objekten - europaweit eine der bedeutendsten ethnologischen Sammlungen - angemessen hätte erforschen und präsentieren können.

Hilmar Hoffmann hält es noch heute für den "verhängnisvollsten Fehler" seiner Amtszeit, nicht verhindert zu haben, dass dieses "Jahrhundertprojekt", das Schlussstein und "Apotheose" des Museumsufers hätte werden sollen, mehrmals auf Eis gelegt oder ganz "auf den Sankt-Nimmerleins-Tag" verschoben wurde. Traurig ist, dass ausgerechnet die Stadt mit dem höchsten Anteil von Migranten aus allen Sprachen und Weltgegenden sich just da aus der Affäre zieht, wo es darum ging, ein bleibendes Zeichen zu setzen, um die Stadt, wie Hoffmann schreibt, "mit der Einwanderung zu versöhnen. Und das in einem Land, das leugnet, dass es Einwanderungsland ist." Dreier Bäume und finanzieller Händel wegen wurde die Errichtung des ebenfalls von Richard Meier entworfenen Neubaus, der sich an das MAK angeschlossen hätte, storniert. Zwanzig Jahre später wiederholte sich eine ähnliche Posse: Die geplante Umsetzung eines diesmal unterirdischen Baukörpers wurde von einer politisch wie publizistisch einflussreichen Lobby aus der Nachbarschaft zu Fall gebracht. Die auch darüber experimentierfreudig gebliebene Museumsdirektorin von internationalem Ansehen, Clémentine Deliss, wurde schließlich 2015 aus ihrem Amt intrigiert.

Seither ist das Weltkulturen Museum kopflos, und der Magistrat stellt neuerdings sogar den Standort in Frage: "Weltkultur", so argumentieren die Gegner des Projekts, würde doch auch gut zur "Natur" passen, also in die Nachbarschaft des naturkundlichen Senckenberg Museums beim früheren Campus Bockenheim. Womit die "wilden Völker" wieder bei den - dort ausgestopften - "wilden Tieren" wären. Wird das Museum von seinem Standort vertrieben und aus dem Kontext und Austausch mit den übrigen Museen am Main gelöst, wäre dem unvollendeten Projekt Museumsufer irreparabler Schaden zugefügt: zur Schande für die Stadt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: