Bischöfin Käßmann zum Freitod:"Bei Anruf Gift - das ist falsch"

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Die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann kritisiert die organisierte Sterbehilfe als einen Handel mit der Angst.

Matthias Drobinski

SZ: Viele Menschen bejahen eine Liberalisierung der Sterbehilfe, wie sie Dignitas in Deutschland erkämpfen will. Stehen die Kirchen da nicht im Abseits?

Margot Käßmann: "Wenn wir das erlauben, verändern wir unsere Gesellschaft." (Foto: Foto: dpa)

Käßmann: Viele Ärzte und auch viele in politischer Verantwortung teilen unsere Position. Die Menschen haben vor allem Angst vor den Schmerzen. Sie hoffen dann auf einen schnellen und effizienten Ausweg. Sobald sie aber wissen, wie die Palliativmedizin diese Schmerzen ausschalten kann, und sobald sie erfahren, was in Hospizen geleistet wird, ändert sich ihre Haltung. Wir müssen über unser eigenes Sterben nachdenken. Als Christin sehe ich es als Teil des Lebens.

SZ: Aber kann man einen sich quälenden Menschen nicht verstehen, der sagt: Ich halte das nicht mehr aus?

Käßmann: Ja, natürlich. Es geht auch im Sterben um die Würde des Menschen. Nur verändert es eine Gesellschaft, eine Kultur, wenn wir sagen: Wer erklärt, dass er nicht mehr leben will, bekommt Gift. Dignitas hat schon einen 27-Jährigen akzeptiert, der sterben wollte. Sein Vater hat das schließlich verhindert. Bei Anruf Gift - das kann nicht richtig sein..

SZ: Palliativmediziner sagen: 95 Prozent der Patienten können wir helfen, für fünf Prozent gibt es keine Hilfe. Diese Menschen werden so betäubt, dass ihr Bewusstsein nicht mehr präsent ist. Wo ist der Unterschied zum assistierten Suizid?

Käßmann: Es ist kein Töten. Das geht es um eine Wertaussage über das Leben. Wenn ein Arzt sagt, ich gebe meinem Patienten ein schmerzstillendes Mittel, auch wenn dies sein Leben verkürzt, dann halte ich das für vollkommen gerechtfertigt. Passive Sterbehilfe ist etwas fundamental anderes, als wenn ein quasi als Gewerbe arbeitender Verein Gift bereitstellt. Das ist für mich Handel mit der Angst. Wenn wir das erlauben, verändern wir unsere Gesellschaft. In den letzten zwei Jahren ihres Lebens belasten die Menschen die Krankenkassen am stärksten. Da wird es noch ganz andere Motive geben, Menschen zu raten, ihr Leben zu beenden.

SZ: Aber was ist, wenn - wie in Deutschland - die Hospize fehlen und die Angehörigen der Sterbenden in vielen Fällen in anderen Städten wohnen?

Käßmann: Umfragen aus Holland zeigen, dass viele Menschen den Suizid wünschen, weil sie Angehörigen nicht zur Last fallen wollen. Uns fehlt die Empathie mit Sterbenden und ihren Angehörigen. Krankenkassen müssten die palliativmedizinische Versorgung absichern.

SZ: Wie möchten Sie sterben?

Käßmann: An der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen

© SZ vom 20.11.2007/ckn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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