Ex-CIA-Agent:"Saddam wollte zum Ende seines Lebens lieber ein Intellektueller sein"

IRAQ-JUSTICE-EXECUTION

Saddam Hussein 2006 vor Gericht in Bagdad

(Foto: AFP)

John Nixon hat den irakischen Diktator nach seinem Sturz 2003 verhört - und dabei auch viel über die US-Politik gelernt.

Interview von Tahir Chaudhry

Im Dezember 2003, acht Monate nach dem Sturz des irakischen Staatschefs Saddam Hussein, zieht ein Special Forces Team einen verwahrlosten Mann aus einem Erdloch, der dem Diktator ähnlich sieht. Der CIA-Offizier John Nixon wird damit beauftragt, die Identität des Mannes zu überprüfen. In seinem Buch "Debriefing the President: The Interrogation of Saddam Hussein" verarbeitet Nixon, der bis 2011 bei der CIA war, seine Erinnerungen an die Befragungen - und die Erkenntnis, dass seine Regierung und die CIA im Irak mit nahezu allem, was sie zu wissen glaubten, falsch lagen.

SZ: Wie war Ihre erste Begegnung mit Saddam Hussein?

John Nixon: Saddam Hussein war in ein Gebäude nahe dem Flughafen von Bagdad gebracht worden. Ich wurde mitten in der Nacht dorthin gerufen. Bevor ich zu ihm durfte, musste ich stundenlang warten, bis das Militär ihn befragt und die Sanitäter ihn untersucht hatten. Dann war ich an der Reihe. Die Tür öffnete sich. Saddam saß da und erweckte den Eindruck, er sei der Gastgeber einer gewöhnlichen Zusammenkunft. Ich wusste sofort: Das ist Saddam Hussein.

... und nicht irgendein Double?

Die hat es nie gegeben. Was Saddam hatte, waren Leibwächter, ausgesuchte Männer mit einem ähnlichen Schnauzbart, die seiner Stammesgruppe angehörten.

Sie hatten sich seit 1998 intensiv mit dem irakischen Diktator beschäftigt und wurden deshalb als der in Geheimdienstkreisen führende Experte angesehen. In Ihrem Buch räumen Sie ein, dass Sie ein falsches Bild von ihm hatten.

Wir kannten ihn schon recht gut, aber es gab mehrere Dinge, die uns im Laufe des Verhörs überraschten. Das lag daran, dass viele unserer Informationsquellen und Erkenntnisse veraltet waren. Der Saddam der 1980er war in keinster Weise der Saddam von 2003.

Was war anders?

Etwa wie wenig er noch in die Arbeit seiner Regierung eingebunden war und dass er von Tag zu Tag mehr Macht an die ihm nahestehenden Funktionäre weitergab. Mich überraschte, wie schlecht er informiert war, wie unzureichend seine Kenntnisse in Bezug auf internationale Beziehungen und die Verhältnisse in der amerikanische Politik waren. Dieser Saddam wirkte eher wie ein Großvater, der kein großes Interesse mehr am Polit-Geschäft hatte. Er liebte das Schreiben. Er war etwa stolz darauf, dass er all seine Reden selbst schrieb. Ich denke, dass Saddam zum Ende seines Lebens lieber ein Intellektueller sein wollte.

Das Versteck von Saddam Hussein

In diesem unterirdischen Versteck nahe seiner Heimatstadt Tikrit wurde Saddam Hussein von US-Soldaten entdeckt.

(Foto: AFP/JEWEL SAMAD)

Haben Sie Saddam gefoltert, um an Informationen zu kommen?

Nein, auf keinen Fall. Das ist in meiner Anwesenheit nicht vorgekommen. Ich hätte mich an so etwas nicht beteiligt.

Er behauptete jedoch, es sei so gewesen.

Um ehrlich zu sein, mein Teamleiter wollte "besondere" Verhörmethoden nutzen. Ihm wurde allerdings klar und deutlich gesagt, dass er die nicht anwenden solle. Als Saddam gefasst wurde, behandelte ihn das Militär nicht gerade sanft und er erlitt einige Wunden.

Außerdem konnte er in den ersten Wochen nach seiner Gefangennahme nicht schlafen. Das Militär hatte ihn in eine Zelle gesperrt, wo der Geräuschpegel sehr hoch war. Ich weiß das deshalb, weil er manchmal während des Verhörs so müde war, dass er einschlief. Diesen Schlafentzug könnte Saddam als Folter wahrgenommen haben.

Wie reagierte Saddam Hussein auf die Frage nach den Massenvernichtungswaffen?

Er sagte, dass es keine gebe und auch seit längerer Zeit keine Programme existierten, um Atomwaffen zu entwickeln. Er machte es einem aber schwer, ihm zu glauben, weil er ein sehr misstrauischer Mensch war.

Saddam hat auf meine Fragen oft mit einer Gegenfrage geantwortet, weil es ihm darum ging, herauszufinden, worauf ich eigentlich hinauswollte. Teilweise gab er bestimmte Antworten, um zu schauen, ob ich sie akzeptiere und weitermache. Deshalb hatte ich immer das Gefühl, er würde mich anlügen. Erst als ich zurück im CIA-Hauptquartier war und mir meine Aufzeichnungen und andere Unterlagen anschaute, wurde mir klar, dass er doch die Wahrheit gesagt hatte.

Was sagte er zum Einsatz von Giftgas gegen sein eigenes Volk?

Das war eine der interessantesten Erkenntnisse. Nicht Saddam hatte den Befehl für den Gebrauch von chemischen Waffen erteilt. Es war die eigenständige Entscheidung eines irakischen Generals gewesen. Als Saddam im Nachhinein davon erfuhr, war er sehr enttäuscht - nicht wegen der Opfer, sondern weil dies auf dem Gebiet von Kurden geschehen war, die Verbindungen zu Iran hatten. Saddam fürchtete, dass die Iraner die Tat instrumentalisieren würden, um den Irak vor den internationalen Medien bloßzustellen.

Saddam waren auch Verbindungen zu al-Qaida vorgeworfen worden.

Auch da gab es eine Überraschung für uns. Es gab höchstens Kontakte, aber keine Verbindungen. Die hassten sich gegenseitig und verfolgten unterschiedliche Ziele. Er konnte nicht verstehen, warum die USA versuchten, ihn mit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon in Verbindung zu bringen. Saddam hatte gehofft, 9/11 würde den Irak und die USA einander näherbringen - angesichts eines gemeinsamen Feindes, den Terror.

"Ein strategischer Fehler von monumentaler Größe"

Danach schrieb er mehrere Briefe an Adressaten in den USA. Worum ging es da?

Ich weiß von zwei Briefen: Einer war an eine Friedensinitiative gerichtet, der andere an den Politiker und Aktivisten Ramsey Clark. Darin erklärte Saddam, er hätte mit den Attentaten nichts zu tun und würde mit dem amerikanischen Volk trauern. Dabei war er sich offenbar nicht bewusst, dass seine Adressaten für die öffentliche Meinungsbildung kein Gewicht hatten.

Wie groß war das Interesse an Ihren Erkenntnissen im Weißen Haus?

Dort war man enttäuscht darüber, dass keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden. Viele Mitarbeiter hatten ihre Karrieren darauf verwettet. Es war wirklich ein eigenartiges Gefühl, vor dieser Masse an Fehlern zu stehen und mit einem solchen Misserfolg klarzukommen. Und noch viel eigenartiger war, dass niemand mit uns über unsere Erkenntnisse sprechen wollte.

Die Bush-Regierung hatte geglaubt, wenn man Saddam gefasst hätte, wären alle Probleme gelöst. Dort hatten sie keine Ahnung, in welche neuen Schwierigkeiten sie sich mit dem Einmarsch manövriert hatten. Und jeder, der ihnen etwas erzählte, was ihren Ansichten widersprach, wurde ausgeblendet. Ich selbst traf Cheney und Bush erst 2007 persönlich.

Saddam Hussein Statue in Bagdad

Niedergerissene Saddam-Statue in Bagdad. Auch nach dem Sturz des Diktators gingen die Kämpfe im Irak weiter. Iraker kämpften gegen die US-Soldaten und untereinander.

(Foto: AFP)

Es ist jetzt mehr als zehn Jahre her, dass Saddam Hussein gestürzt und dann Ende 2006 hingerichtet wurde. War es in Ihren Augen ein Fehler, das zu tun?

Ja, ein strategischer Fehler von monumentaler Größe.

Aber Sie hatten den Einmarsch in den Irak zuvor unterstützt.

Ich hatte seit Jahren fast täglich die Entwicklungen im Irak beobachtet und geglaubt, dass Saddam Hussein mit seiner Herrschaft ein sehr stolzes Land gebrochen hätte. Ich ging davon aus, ein Regimewechsel würde dem irakischen Volk helfen und einen Feind in einen Verbündeten verwandeln.

Dass der Irakkrieg unter falschen Vorwänden begonnen wurde und ein großer Fehler war, ist mittlerweile weithin akzeptiert. Warum jetzt Ihr Buch?

Weil wir solche Fehler kontinuierlich begehen. Ich dachte lange Zeit, aufgrund der Vietnam-Erfahrung würden wir gewisse Fehler nicht wiederholen. Aber zwischen 2003 und 2009 verbrachte ich viel Zeit im Irak und beobachtete immer mehr Ähnlichkeiten mit Vietnam. Das ist eine der Lektionen, die wir gar nicht oft genug lernen können: Wir müssen unsere Fehler nutzen, um es beim nächsten Mal besser zu machen.

Für die Geheimdienste heißt diese Lektion, das Richtige zu tun und nicht unbedingt das, was das Weiße Haus für richtig hält. Sie müssen ihre Erkenntnisse vorlegen, wie sie sind, ohne sich für eine bestimmte Politik einspannen zu lassen.

Meinen Sie, dass ein Donald Trump das Richtige tun wird?

Ich bin trotz allem ein Optimist. Ich hoffe, dass Trump die Geheimdienste ernst nehmen wird, besonders weil er keinen politischen Hintergrund und keine außenpolitische Erfahrung besitzt. Es darf keine Mauer des Misstrauens zwischen ihm und der CIA geben. Das würden unsere Gegner versuchen auszunutzen.

In Ihrem Buch zeigen Sie auch die menschliche Seite des Diktators, was manche Leser irritieren könnte.

Sympathie kann es für einen Menschen mit solch einem Lebenslauf nicht geben. Aber so etwas wie Empathie schon. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich in andere Menschen einzufühlen, auch wenn man mit ihnen nicht übereinstimmt. Um nachzuvollziehen, warum sie gewisse Dinge taten.

Wir sind sehr schnell darin, die Taten von anderen zu verurteilen und umgekehrt sind wir nicht bereit, zu sehen, dass unsere eigenen Fehler, etwa das Vorgehen meiner Regierung, manchmal ähnlich verabscheuenswert war. Das stört mich. Meine Regierung muss dazulernen: Sie sollte nicht nur wissen, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde sind, sondern auch verstehen, warum manche zu ihren Feinden wurden.

Wie hat die CIA auf Ihr Buch reagiert?

Die Arbeit an dem Buch glich manchmal einem Albtraum, vor allem behandelte man mich bei dem Geheimdienst wie einen Verräter. Aber obwohl ich mit der CIA sehr hart ins Gericht gehe, mögen viele dort mein Buch. Es freut sie sehr, dass ich bei der Wahrheit geblieben bin und wirklich etwas zu sagen habe. Sie finden, dass zu viele Bücher über die CIA ohne Substanz sind.

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