Interview mit Rohstoff-Experten:"Die Unternehmen entziehen sich jeglicher Gerichtsbarkeit"

An artisanal gold miner peers into a small-scale mine where his colleague is working in Kalana

Ein Arbeiter vor einem Minenzugang in Kalana, Mali

(Foto: Reuters)

Niemand weiß, wo die Rohstoffe in unseren Elektrogeräten genau herkommen. Die Politik muss das ändern, fordert der Geograf Michael Reckordt.

Interview von Christian Endt

Es ist kaum durchschaubar, welche Rohstoffe in Elektrogeräten stecken und wo sie herkommen. Michael Reckordt ist Diplom-Geograf und kümmert sich bei der Organisation PowerShift um Rohstoffpolitik und fordert: Produzenten und Hersteller müssten offen legen, woher sie ihre Materialien beziehen - und die Verantwortung für durch die Förderung entstandene Umweltschäden übernehmen.

SZ.de: Wenn ich als Verbraucher Kaffee oder Kakao kaufe, kann ich dabei auf Fairtrade-Siegel achten, um ein Gewährleistung über Herkunft und Produktionsbedingungen zu haben. Wie aber kann ich nachvollziehen, was in meinem neuen Handy steckt?

Michael Reckordt: In einem Smartphone sind 40 bis 60 verschiedene Rohstoffe aus hunderten von Minen verarbeitet. Sie haben als Konsument keine Möglichkeit, das bis zum fertigen Produkt zu verfolgen. Das Sinnvollste ist, insgesamt weniger zu kaufen, das Handy vielleicht auch mal drei oder vier Jahre lang zu benutzen. Und ansonsten müssen Sie an die Politik herantreten und sagen: Ich will mit meinem Geld keine Produkte kaufen, die woanders Menschenrechte verletzen.

Was könnte die Politik denn tun?

Viele Rohstoffe kommen aus Ländern mit niedrigen Sozial- und Umweltstandards. Die Politik in Deutschland müsste die Unternehmen verpflichten, stärker auf ihre Lieferketten zu achten. In den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gibt es das Konzept der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Das bedeutet, dass Unternehmen sicherstellen müssen, dass sie entlang ihrer Lieferkette keine Menschenrechte verletzen, das gilt auch in Bezug auf Rohstoffe. Im Dezember hat die Bundesregierung den nationalen Aktionsplan zur Umsetzung dieser UN-Leitprinzipien präsentiert, und der ist gerade in diesem Bereich sehr schwach geworden. Unternehmen bleibt es selbst überlassen, ihre Wertschöpfungsketten auf Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen - auf freiwilliger Basis.

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Gibt es andere Länder, die da konsequenter sind?

In den USA gibt es seit 2010 mit dem Dodd-Frank-Act ein Gesetz im Bereich der Konfliktmineralien. Unternehmen für Gold, Tantal, Wolfram und Zinn müssen nachweisen, wo die Stoffe herkommen. Und wenn sie aus der Demokratischen Republik Kongo oder deren Nachbarländern kommen, müssen die Firmen nachweisen, dass die Rohstoffe konfliktfrei sind. In dieser Region sind viele Minen in der Hand von Rebellengruppen und tragen zur Finanzierung des Bürgerkriegs bei. Die EU hat jedoch inzwischen reagiert und will noch in diesem Jahr eine ähnliche Verordnung beschließen, allerdings ohne geographische Einschränkung.

Kann man schon erkennen, ob der Dodd-Frank-Act in den USA wirkt?

Ja. Apple hat es beispielsweise geschafft, innerhalb von drei bis vier Jahren alle Schmelzen zu listen und als konfliktfrei zu zertifizieren. Ob das im Einzelfall wirklich auf alle zutrifft, ist sicher noch mal eine andere Diskussion. Aber es zeigt, dass Apple entlang der Lieferkette Druck gemacht hat und gewisse Erfolge vorzeigen kann. Bei europäischen Herstellern findet man auf den Webseiten häufig überhaupt keine Informationen, welche Rohstoffe verbaut werden und wo die herkommen.

Rohstoffabbau ist ja nicht nur problematisch, wenn er Kriege finanziert, er verursacht häufig auch schwere Umweltschäden.

Ja, zum Beispiel bei der Gewinnung von seltenen Erden. Die sind für die Elektronikindustrie sehr wichtig und kommen zu über 90 Prozent aus China. Dort kommt es häufig zur Auswaschung von radioaktiven Stoffen, die ganze Umgebung wird dabei nuklear verseucht. Aber auch der Abbau von einem Massenrohstoff wie Kupfer kann problematisch sein, weil unter Umständen die Trinkwasserqualität in der Abbauregion abnimmt oder generell weniger Wasser zur Verfügung steht. Davon sind häufig vor allem Bauern betroffen, wie man beispielsweise gerade in Peru sieht.

Wie lassen sich solche Umweltschäden vermeiden?

Durch ein besseres Management und höhere Sicherheitsstandards ließen sich die Risiken zumindest reduzieren. Den Arbeitern und der Bevölkerung vor Ort fehlt es häufig an Wissen. Diese Umweltrisiken sind sehr abstrakt. Ich habe auf den Philippinen mal beobachtet, wie Goldschürfer mit Quecksilber arbeiten. Die waschen das Gold in einer Pfanne aus dem Gestein und kippen den Rest samt Quecksilber über die Schulter in den Garten, wo Hühner rumlaufen und ihre Kinder spielen. Quecksilber lagert sich im Körper ab, ähnlich wie Blei. Das passiert also über Jahre oder Jahrzehnte und führt dann zu Krebs oder anderen Krankheiten mit Todesfolge. Dabei ließe sich Gold auch ohne Chemikalien mechanisch gewinnen. Nur sind dann die Erträge etwas geringer.

Viele Opfer von Minenunglücken warten noch nach Jahrzehnten auf eine Entschädigung.

Große Bergbauprojekte laufen meisten über Tochterfirmen von Tochterfirmen von Tochterfirmen. Die Mutterkonzerne sind kaum zu greifen. Sie sind an wenigen Händen abzuzählen und sitzen in Nordamerika, Europa oder China. Es müsste im Grunde genommen eine Möglichkeit geben, Menschenrechte vor einer weltweiten Gerichtsbarkeit einzuklagen. Wir haben ironischerweise Schiedsgerichte, vor denen Unternehmen Staaten verklagen können. Aber wir haben keine Mechanismen, mit denen Opfer von Menschenrechtsverletzungen international Unternehmen verklagen können. Sobald die Unternehmen sich aus dem jeweiligen Land zurückziehen, entziehen sie sich nahezu jeglicher Gerichtsbarkeit.

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