Trennung: "Unsere gemeinsame Zeit war einfach vorüber"

Trennung: Sakino Mathilde Sternberg: Resilienz kann man lernen. Man kann sie durch Achtsamkeit, Meditation oder durch Dinge, die einem Freude machen, einüben

Sakino Mathilde Sternberg: Resilienz kann man lernen. Man kann sie durch Achtsamkeit, Meditation oder durch Dinge, die einem Freude machen, einüben

(Foto: privat)

Trennungen tun meistens weh. Doch wie ist das, wenn man älter ist - und sich mit 60 noch einmal völlig neu orientieren muss? Eine Psychotherapeutin berichtet.

Protokoll von Lars Langenau

"Ich war 22 Jahre mit meinem Mann zusammen, 15 davon waren wir verheiratet. Wir hatten uns eine Wohnung gekauft und uns darauf vorbereitet, gemeinsam alt zu werden. So dachte ich zumindest. Ich war 60, als sich mein Mann neu verliebte. Als er mir das offenbarte, brach von einer Sekunde auf die andere mein Lebenskonzept auseinander. Ich verlor den Boden unter den Füßen. Alles, woran ich geglaubt hatte, war von einem Moment auf den anderen weg, einfach verschwunden, hatte sich in Luft aufgelöst. Ich war zutiefst erschüttert und ohne jeden Halt.

Ich weiß nicht, ob eine Trennung mit 20, 30 oder 40 Jahren leichter ist. Mit 60 ist die Zeit, die einem bleibt, sich etwas Neues aufzubauen, jedenfalls kürzer. Lange zweifelte ich daran, dass ich es überhaupt schaffen würde, noch einmal ganz von vorne anzufangen.

Direkt nachdem mein Mann mir seine neue Liebe gestand, bin ich zu Freunden gefahren, die mich ein paar Tage auffingen. Das war Erste Hilfe. Ohne sie wäre ich vermutlich in tiefste Depressionen versunken. Ich bin dann wieder zurück in die gemeinsame Wohnung gegangen, habe gehofft, dass wir es irgendwie hinbekommen würden. Das hat sich über ein paar Monate gezogen, bis endlich die Erkenntnis einsetzte: Es ist vorbei.

Zunächst war da nur ein riesiges Gefühl von Einsamkeit - und Angst. Dann durchlebte ich die klassischen Trauerphasen: Wut, Leugnen, Anklage, Trauer, Schmerz, aber nicht geordnet der Reihe nach, alle diese Phasen verschoben sich, gingen ineinander über und wiederholten sich. Dann aber, nach Jahren, gelang das Loslassen.

Die Zeit heilt eben nicht alle Wunden

Was nicht stimmt, ist, dass die Zeit allein alle Wunden heilt. Ich weiß auch nicht, ob die Wunden wirklich heilen. Sie werden zu Narben und man lernt, mit ihnen zu leben.

Für mich war klar, dass ich mich nicht direkt in eine neue Beziehung stürzen wollte. Manchen mag das als richtiger Weg erscheinen, für mich ist das aber nur eine Verdrängung, ein Versuch, das Tal der Tränen zu umgehen. Ich hätte den Schmerz in diesem Fall nicht zulassen können, hätte nicht die Chance gehabt, meine Liebe wirklich loszulassen, zu beenden, und letztendlich auch zu vollenden. Zunächst musste ich mit mir selbst wieder ins Reine kommen. Doch das bedeutete Arbeit. Harte Arbeit. An mir.

Die Serie "ÜberLeben"

Wir veröffentlichen an dieser Stelle in loser Folge Gesprächsprotokolle unter dem Label "ÜberLeben". Sie handeln von Brüchen, Schicksalen und wie Menschen aus Krisen wieder herausfinden. Alle Geschichten finden Sie hier. Wenn Sie selbst Ihre erzählen wollen, dann schreiben Sie eine E-Mail an: ueberleben@sz.de.

Ich hatte in dieser Zeit komplett das Gefühl für meine eigene Wertigkeit verloren, fand mich selbst nicht mehr liebenswert. Hatte das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Ich traute mir nichts mehr zu, auch nicht in meinem Beruf. Natürlich hatte das zur Konsequenz, dass keine Klienten mehr kamen. Ich war also auch finanziell fast am Ende.

Arbeit am Selbstwertgefühl

Ich arbeitete damals seit mehr als 30 Jahren als Psychotherapeutin, aber meine Erfahrung half mir zunächst gar nichts. Das ist so, als würde man sagen, ein Arzt würde niemals selbst krank. Ich habe als Psychotherapeutin dieselben Muster und Gefühle wie jeder andere Mensch. Ich kann es vielleicht nur besser einordnen, weiß, was zu tun ist. Mit meinen Klienten arbeite ich in solchen Fällen vor allem am Selbstwert, dass sie wegkommen vom Selbstmitleid oder der Selbstanklage. Doch zu dieser Zeit musste ich das erst mal für mich selbst hinbekommen.

Man sagt ja, dass jeder gute Therapeut einen Therapeuten hat. Ich hatte das große Glück, einen sehr guten Psychotherapeuten zu finden. Erst durch diese intensiven Gespräche konnte ich mich langsam aus der Erstarrung lösen und wieder auf die Beine kommen.

Vielen Menschen in tiefer Trauer hilft, darüber nachzudenken, ob es Zeiten gab, in denen sie selbst wertgeschätzt wurden, in denen sie sich selbst wertgeschätzt haben. Mit dieser Erkenntnis kann man die Perspektive verändern und erweitern. Dabei geht es viel um Achtsamkeit. Um die zu trainieren, verwende ich gern die Stopp-Technik. Mir hat sie in dieser Zeit sehr geholfen. Wenn Schuldgefühle oder das Selbstmitleid zu groß werden, kann man damit gut arbeiten. Man sagt sich innerlich: Stopp - stimmt es wirklich, dass ich zu nichts gut bin? Stopp - stimmt es, dass ich nichts wert bin? Es hat mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht.

Klar ist der Schmerz dann noch da, den muss man auch erlauben. Aber es kann die Selbstabwertung mit der fatalen Vorstellung stoppen, dass ich allein bin, weil ich es schlicht nicht wert bin, dass jemand bei mir ist. Eine mögliche Interpretation ist aber auch: Ich bin allein, weil mein Partner etwas anderes gewählt hat. Das mag zwar eher den Kopf als den Bauch ansprechen, aber man muss in der Therapie immer die Intelligenz mit einbeziehen, sonst löst man sich in Gefühlen auf.

Trennungen gehen immer von zwei Seiten aus

Für mich war und ist besonders wichtig, dass ich in meinem Beruf wieder Fuß gefasst habe. Ich mache das, was ich am liebsten tue, Menschen in ihrem Leben begleiten, ein bisschen wie eine Hebamme, die bei der Geburt des Kindes dabei ist, unterstützt, begleitet, ermutigt. Sie kann die Geburt nicht abnehmen, aber sie kann hilfreich den Prozess unterstützen.

Ich denke, dass jeder Mensch, also auch jeder Therapeut, eine eigene Geschichte hat. Also musste ich mich meiner eigenen Vergangenheit stellen und alte Muster aufdecken. Ich bin sicher auch deshalb Psychotherapeutin geworden, weil ich in meiner Kindheit sehr viel Gewalt und Missbrauch erlebt habe. Als Kind ist man hilflos und ausgeliefert. Das Gefühl wiederholte sich nun in aller Härte. Ich fühlte mich wie als Kind: hilflos und ausgeliefert. Es hat viel Kraft gekostet, mich wieder auf meine Stärken zu besinnen, auf das, was ich immer noch am besten kann: aufstehen, kämpfen, weitermachen, nicht aufgeben.

Trennungen gehen immer von zwei Seiten aus. Beziehungen gehen zu Ende, weil sie nun einmal zu Ende sind. Nie hat nur einer Schuld. Ich musste mir dabei meine Anteile anschauen, denn andernfalls hätte ich die wieder mit in die nächste Beziehung genommen. Man sieht das doch oft, dass sich Menschen, die die alte Beziehung nicht aufgearbeitet haben, wieder ähnliche Partner aussuchen. Nur gehen die dann an ähnlichen Punkten wieder auseinander.

Verdrängung war für mich kein Weg. Wenn ich etwas verdränge, schaue ich nicht bewusst auf das Problem, sondern schiebe es nur in eine Kammer, wo es dann vor sich hin schmort. Hingucken - das sage ich aus eigener Erfahrung - hilft, auch wenn es weh tut. Andernfalls ist es wie eine Blinddarmentzündung, die man ignoriert. Irgendwann platzt sie auf - und es ist zu spät. Mit der Seele ist das so ähnlich.

Heute gehen wir ab und zu wieder zusammen essen

Heute, acht Jahre später, lebe ich noch immer allein, aber ich habe mein Herz wieder für eine neue Beziehung geöffnet. Es ist ein Experimentieren mit neuen Formen, nichts ist festgefahren, alles ist möglich. Ich fühle mich jetzt glücklicher als in der letzten Zeit der Ehe.

Nach der Trennung schaute ich, wer in dieser schwierigen Lebensphase wirklich für mich da war. Tatsächlich blieben nur ein paar Freunde. Zu denen, die behaupteten, dass sie Freunde seien und sich dann, in einer Zeit, als ich Unterstützung gebraucht hätte, nicht meldeten, habe ich den Kontakt abgebrochen. Stattdessen baute ich einen ganz neuen Freundeskreis auf. Ich habe überlegt, was ich für Interessen habe - und die dann auch verfolgt. Ich habe endlich wieder angefangen zu tanzen. Außerdem betreibe ich Fitnesstraining. Das alles hat geholfen, mich heute stark und gut zu fühlen.

Direkt nach der Trennung hatte ich mir für zwei Jahre eine totale Kontaktsperre zu meinem Ex-Mann verordnet. Wir haben keine gemeinsamen Kinder. Aber danach war es mir ein Anliegen, dass wir wieder miteinander reden können, weil wir uns noch mögen. Auch die Liebe war ja nicht völlig weg, sondern unsere gemeinsame Zeit war einfach vorüber. Das musste ich lernen, zu akzeptieren. Wenn einer nicht will, dann will er eben nicht.

Heute gehen mein Ex-Mann und ich ab und zu essen. Drei, vier Jahre nach der Trennung haben wir langsam wieder ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Ich habe mich auch einmal mit der neuen Partnerin meines Ex-Mannes getroffen. Es war gut, um Frieden zu schließen, mehr war nicht nötig."

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Sakino Mathilde Sternberg, 68, hat eine psychologische Praxis in Berlin.

Überleben

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