Daimler:Wandel, Wandel, Wandel

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2019 will Daimler-Chef Dieter Zetsche das erste Modell der neuen Elektro-Marke EQ auf den Markt bringen, bis 2025 sollen es zehn sein. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Daimler-Chef Dieter Zetsche verkündet Rekordzahlen - und krempelt den Konzern zugleich komplett um.

Von Max Hägler und Stefan Mayr, Stuttgart

Bevor Daimler-Boss Dieter Zetsche spricht, flimmert das obligatorische Einstimmungsvideo über die Leinwand. Autos, Lastwagen, Menschen kommen ins Bild, sehr schick alles. Und dann dieser Satz in der Präsentation: "Unsere Kunden müssen gar kein Auto besitzen." Eine bemerkenswerte Aussage für den weltweit größten Hersteller von Premium-Autos. Noch vor wenigen Jahren hätte das für große Irritation gesorgt. Heute wollen sie diesen Satz als Beleg sehen für die Zukunftsfähigkeit des Konzerns. Er ist auf jeden Fall ein Indiz dafür, wie rasant sich diese Branche gerade verändert.

Vom "fundamentalen Wandel" in der Branche und vom "größten Wandel" in der Firmengeschichte spricht Zetsche denn auch. Und beides ist direkt ablesbar bei der Vorlage der Jahresbilanz in der Carl-Benz-Arena. Da ist wieder von Rekordzahlen die Rede: 2,2 Millionen Pkw verkaufte der Stuttgarter Konzern 2016 und 800 000 Nutzfahrzeuge. Der Umsatz stieg um drei Prozent auf 153 Milliarden Euro, das Konzernergebnis erreichte mit 8,8 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. Das ist die eine Seite. Das Jetzt. Oder sogar schon das Gestern.

Der Blick auf das Morgen, auf 2017, fällt indessen bescheiden bis vorsichtig aus. Er gehe von einem "leichten" Wachstum in einem schwierigen Marktumfeld aus, sagt der Daimler-Chef. Den Aktionären gefällt das nicht, der Aktienkurs sinkt noch während der Veranstaltung um 3,5 Prozent. Das hat auch mit den politischen "Volatilitäten" zu tun, mit dem Brexit in Großbritannien und dem neuen US-Präsidenten und seinem Kurs. Aber wie sehr Daimler in Sorge ist angesichts der neuen Autowelt, die sich da auftut, das bleibt unklar. Er wolle nicht sprechen über Trump, das bringe dem Unternehmen nichts, sagt Zetsche. Ob diese neue Regierung die Investitionspläne des Konzerns beeinflusse, der in den USA, dem zweitwichtigsten Einzelmarkt, 22 000 Mitarbeiter beschäftigt? "Nein", brummt Zetsche. Ende der Ansage.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Wandel in der Branche. Überspitzt gesagt: Künftig fahren die Menschen in elektrisch angetriebenen Roboterautos, die ihnen gar nicht mehr selbst gehören. Der großvolumige Benz in der eigenen Garage - er ist dann zumindest für einige der bisherigen Kunden passé.

Noch nicht jetzt, aber doch demnächst. Zetsche, selbst 63, hat mit seinem Team deswegen vor wenigen Monaten eine neue Sparte gegründet. Sie trägt ihre Mission schon im Namen: Case. Das C steht für Connectivity, A für Autonomity, S für Shared Driving und E für E-Mobility. Das sind - auf englisch - die oben genannten Eckpunkte des Wandels. Eine dreistellige Anzahl von Mitarbeitern kümmert sich nun um das vernetzte und autonome Auto, das geteilt und von Elektromotoren angetrieben wird. "Jedes einzelne dieser Themen hat das Potenzial, unsere Branche auf den Kopf zu stellen", sagt Zetsche. Es geht darum, ob Daimler in 10 oder 20 Jahren noch so eine stolze Weltmarke ist - oder schlimmstenfalls nur noch ein Zulieferer für US-Konzerne. Ist Daimler für diese Zukunft gerüstet? Experte Stefan Bratzel von der Wirtschafts-Fachhochschule Bergisch Gladbach fällt ein differenziertes Urteil: "Im autonomen Fahren ist Daimler sehr gut aufgestellt", sagt der Professor, "aber bei der E-Mobilität läuft er BMW und Tesla hinterher." Allerdings sei das Rennen noch nicht zu Ende, die Entscheidung falle erst Anfang der 2020er-Jahre.

Zetsche bestätigt den Nachholbedarf indirekt: "In Sachen Elektromobilität haben wir den Schalter umgelegt." Bis zum Jahr 2025 will Daimler unter dem Markennamen EQ zehn rein elektrisch betriebene Modelle auf den Markt bringen. Auf der Bühne neben Zetsche steht ein bulliges, silber-schwarzes Exemplar der neuen Linie. Wo konventionelle Autos einen Kühlergrill haben, leuchten bei diesem Elektrowagen blaue LEDs und ein weißer Stern. Rückspiegel hat der Wagen nicht, er dient ja auch der Vorausschau. Aus dem Unternehmen heißt es, der erste EQ werde 2019 auf die Straße kommen. Es soll ein mittelgroßer SUV sein. Das ist weit nach dem US-Konzern Tesla, der den Maßstab gesetzt hat in Sachen Elektromobilität.

Seit elf Jahren steht Zetsche an der Spitze des Dax-Konzerns. Zu seinem Start war der Konzern wegen der Chrysler-Fusion aufgebläht, Zetsche hat ihn wieder auf die eigenen Autos und Lastwagen konzentriert. Jetzt krempelt er das Unternehmen mit seinen 282 000 Beschäftigten weiter gründlich um: neue Marken, neue Kooperationen, neue Abteilungen, neue Management-Methoden und Zukäufe. 2017 und 2018 will Daimler jeweils etwa 15 Milliarden Euro investieren, davon allein acht Milliarden in Forschung und Entwicklung. Auch das ist Rekord.

Nach elf Jahren an der Spitze von Daimler will Zetsche vor allem eines: "Aufbruchstimmung"

Die Liste der digitalen Daimler-Experimente ist lang. Die App Moovel zeigt dem Nutzer an, wie man mit Rad, Auto, Bus oder anderen Verkehrsmitteln am besten von A nach B kommt. Beim Vermietdienst Car2go können sich Menschen kurzfristig ein Auto leihen. Mit der Pilot-App Croove kann man in München sogar seinen eigenen Wagen weitervermieten - egal ob Uralt-Käfer oder S-Klasse. Beide Töchter machen Verluste, doch Daimler investiert weiter. Bei Croove wird sogar über eine bundesweite Offensive nachgedacht. Auch an zwei Taxiapps und dem Fernbus-Unternehmen Flixbus ist Daimler beteiligt. Außerdem gibt es das Handy-Bezahlsystem Mercedes Pay. Und sie forschen an Drohnen, die von Lieferwagen losfliegen sollen, 500 Millionen Euro werden in solche Projekte investiert. Dazu kooperiert Daimler jetzt auch noch mit dem umstrittenen Fahrdienstvermittler Uber. Gemeinsam will man Robotertaxis anbieten.

Was davon von Dauer sein wird? Keiner weiß es. "Ich sehe mich nicht in der Lage, eine verantwortliche Aussage zu machen", sagt Zetsche auf die Frage, wann die neuen Geschäftsmodelle relevant zum Gewinn beitragen werden. Aber: Der Konzern investiere nicht blind hinein, "wo es lustig und cool ist", betont der Chef. Der Eindruck könnte ja entstehen bei all den bunten Logos, die da aufflimmern. Zetsche nennt das: "Aufbruchstimmung".

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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